Seit 30 Jahren rappen sie gegen Hass

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Mitte der 90er Jahre war die Hochzeit der Microphone Mafia um die Gründer Kutlu Yurtseven (Mitte) und Rosario Pennino (l.)

Mitte der 90er Jahre war die Hochzeit der Microphone Mafia um die Gründer Kutlu Yurtseven (Mitte) und Rosario Pennino (l.)

Die Geschichte der Kölner Band Microphone Mafia ist nicht nur eine über die Entstehung des Hip Hop in Deutschland, sondern auch eine über das Leben von Arbeitsmigranten und ihrer Kinder im Köln der 1980er und 90er Jahre. Untrennbar verbunden mit ihrer Musik, zum Großteil sogar Voraussetzung dafür, sind darum die persönlichen Erfahrungen, die Kutlu Yurtseven sowie Rosario Pennino, die Gründungsmitglieder der Microphone Mafia, während ihrer Jugend in Flittard zu dieser Zeit gemacht haben.

Die inzwischen 46 und 47 Jahre alten Männer sind als Söhne türkischer und italienischer Einwandererfamilien „im Schatten der Bayer-Werke aufgewachsen“, wie Yurtseven sagt. Mit dem Buch „Eine ehrenwerte Familie: Die Microphone Mafia – mehr als nur Musik“ haben die beiden Kölner jetzt einen ebenso musikhistorisch wie soziologisch spannenden Rückblick in diese Zeit veröffentlicht.

„Den eigenen Platz finden“, beschreibt Yurtseven, der 1973 in Porz geboren wurde und heute in Kalk lebt, als zentrale Aufgabe seiner Kindheit. Fünf Jahre zuvor war sein Vater zunächst allein nach Köln gekommen, bis zu seinem Tod 2013 arbeitete er mehr als 20 Jahre bei Ford. „Es war die Zeit der Gastarbeiter-Anwerbung, als meine Mutter nach kam, sagte die Frau auf dem Amt «gehen Sie doch nach Chorweiler, da sind viele Türken» zu meinen Eltern“, so Yurtseven. Aber da wollte meine Mutter nicht hin, weil wir nicht „unter uns“ leben wollten, erinnert sich der 46-Jährige: „So sind wir schnell richtige Kölner geworden“. Seit der Grundschule kennen sich Pennino und Yurtseven, bei der Mutter von „Rossi“ lernte der junge Kutlu nicht nur leckeres italienisches Essen, sonder auch Lieder wie „Bandiera Rossa“ kennen. Eine Zeit, in der deutsche Lehrer den Einwandererkindern nicht zutrauten, mehr als die Realschule zu schaffen, aber auch das Gemeinschaftsgefühl im Kölner Veedel oder der Karneval prägten das Leben der Jungs sowie viele andere Migrantenfamilien.

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Dann kam Ende der 80er Jahre Hip Hop nach Deutschland – und damit ein Lebensgefühl und Musik, die Kutlu Yurtseven für immer begleiten sollten: „Auf dem Marktplatz von Flittard wurde gebreakt, was das Zeug hielt“, so Yurtseven. „Was dort geteilt wurde, galt auch anderswo – die Erfahrung, dass beim Hip Hop egal ist, welchen Lebenslauf man mitbringt.“ Rosario Pennino beschreibt das so: „Wir kannten nicht den Türken, den Italiener, oder den Deutschen. Wir waren einfach wir.“ Das so entstehende Selbstbewusstsein war gepaart mit der Unbeschwertheit ihrer Jugend. 1989 entstand daraufhin „TCA Microphone Mafia“. Ihren ersten Auftritt haben die beiden Rapper aus Flittard – damals noch mit vier weiteren Bandmitgliedern – in Stammheim, Yurtsevens Vater stand in der ersten Reihe. „Ich verstehe zwar nicht, was du da machst, aber deine Augen glänzen - mach weiter“, sagte er zu dem damals 16 Jahre alten Sohn. Yurtseven tut es bis heute. Auch und gerade in den frühen 90er Jahren, in der Zeit rassistischer Anschläge und Pogrome von Rostock, Mölln oder Solingen, entwickelte sich der politische Anspruch, für den Musik und Texte der Microphone Mafia bis heute stehen.

Die Multikulturalität ihrer Band bescherte den Musikern daraufhin größere Bekanntheit, denn der angespannten Stimmung im Land wollten Politiker und Medien entgegenwirken. Im Rahmen der Initiative „Medien gegen Rassismus“ spielten TV-Sender wie RTL und Viva die ersten beiden Singles „Hand in Hand“ oder „No!“ der Microphone Mafia, in denen auf Deutsch, Italienisch, Türkisch und Englisch gerappt wurde, in Dauerschleife. Es folgten mehr als 8000 verkaufte Tonträger sowie viele Auftritte, etwa bei der Kölner „Popkomm“ oder als Vorband des US-Rap-Urgesteins Grandmaster Flash in Deutschland, aber auch darüber hinaus. „Dann hat uns Sony einen Plattenvertrag angeboten“, sagt Yurtseven. „Wir haben unterschrieben und dachten, das ist der Durchbruch.“ 1996 erschien das Album „Vendetta“, darauf auch der laut Yurtseven „wichtigste Song der Mafia“ mit dem Titel „Menschen“ („Insanlar“). Zu der Zeit schickten sich Bands wie die jungen „Fantastischen Vier“ bereits an, den Hip Hop in Deutschland endgültig aus dem Nischendasein ins Rampenlicht der kommerziellen Musikvermarktung zu holen. Das Image dieses Hip Hop sollte jetzt aber lieber gut gelaunt und unpolitisch sein, Spaß bereiten. „Dafür waren vor allem deutsche Texte gewünscht“, so Kutlu Yurtseven. Diesem Wandel, für die Kölner Rapper einhergehend mit Druck ihrer Plattenlabel, verweigerte sich die Microphone Mafia. „Die Verträge wurden gekündigt, wir seien nicht mehr kompatibel und zu politisch hieß es“, sagt er. Die Mitglieder der „Mafia“ ließen sich nicht beirren, wollten sich treu bleiben – auch zum Preis des ganz großen Erfolgs. Yurtseven und Pennino gründeten 2002 ihr eigenen Label. Ereignisse wie der Nagelbombenanschlag der Rechtsterroristen des NSU an der Keupstraße 2004 in Mülheim bestätigten ihre Entscheidung. Die Band trat weiterhin auf, bei politischen Festen, Kulturgruppen oder Gewerkschaftsveranstaltungen.

Zu dem Engagement, etwa in der Initiative „Keupstraße ist überall“, kam 2007 die Begegnung mit Esther Bejerano. Die heute 95 Jahre alte Auschwitz-Überlebende aus Köln und Yurtseven verstanden sich auf Anhieb. Songs wie „Deserteur“ und 2009 das gemeinsame Album „Per La Vita“ als „Esther Bejerano & Microphone Mafia“ folgten. Seitdem tourt man gemeinsam, Auftritte im TV und sogar eine Einladung des Bundespräsidenten für die gelebte Zivilcourage sind Früchte dieser Arbeit. „Für mich ist das eine späte Rache an den Nazis“, sagt Bejerano. „Unsere Texte und das Projekt sehen für das Verlangen nach einer Welt ohne Rassismus, Faschismus und Krieg, davon lebt diese Musik“, fasst Kutlu Yurtseven zusammen.

Als Vorbild für sich und seine Leidenschaft, den Hip Hop, nennt der 46-Jährige allerdings keine Szene-Klischees und Ghetto-Rapper. „Für mich ist mein Vater eines der größten Idole. Er steht für eine Generation, die alles gegeben und uns immer unterstützt hat“, so der Musiker. Ihm und vielen anderen Familien mit ähnlicher Geschichte hat die Microphone Mafia darum eigenes ein Lied gewidmet. „Ein Denkmal“. Und auch für 2020 steht ein neues Werk in Aussicht: Zum 30-jährigen Bandjubiläum kündigt die Microphone Mafia eine große Tournee und das Erscheinen des neuen Albums „La Storia“ an.

DAS BUCH

Das Buch „Eine ehrenwerte Familie: Die Microphone Mafia – Mehr als nur Musik“ ist im Verlag Papy Rossa erschienen, umfasst 227 Seiten und kostet 14,90 Euro. Erhältlich ist es neben weiteren Informationen zu Musik und Werk auch auf den Seiten der Kölner Band im Internet. (ihi) www.microphone-mafia.com

Rosario Pennino, Microphone Mafia

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