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Raser-UnfallAuftritt einer Ärztin beim Auenweg-Prozess gerät zum Desaster

Lesezeit 5 Minuten
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Raserprozess Auenweg geht in die Verlängerung

Köln – Den zweiten Prozesstag um den Raserunfall am Auenweg hatte sich Firat M. sicher anders vorgestellt. Eine Ärztin, bei der er vor wenigen Wochen eine Sitzung absolviert hatte, sollte ihn eigentlich entlasten – doch der Zeugenauftritt der 76-Jährigen vor Gericht gerät für den Angeklagten zu einem Desaster.

Konfrontation mit Zeitungsbericht

Zunächst jedoch konfrontiert der Vorsitzende Richter den 24-Jährigen mit dem exklusiven Bericht aus der Dienstagsausgabe des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Thema war eine Schwerpunktkontrolle der Polizei gegen Raser am Neumarkt im August 2016, vier Monate nach der Verurteilung von Firat M. und Erkan F. zu Bewährungsstrafen wegen fahrlässiger Tötung; neben dem Text ein Foto, das Firat M. zeigt, vertieft ins Gespräch mit einem Polizisten. An jenem Abend war M. als Mitfahrer in einem Mercedes Cabrio unterwegs, den die Polizei bei der Kontrolle stilllegte – angeblich, weil der Schalldämpfer manipuliert war.

Beschuldigter gibt sich ahnungslos

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Bislang hatte Firat  M. vor Gericht stets betont, er habe sich nach dem tödlichen Unfall von seinem alten Umfeld und getunten Autos distanziert. Ob der Zeitungsbericht zutreffend sei, fragt ihn der Vorsitzende Richter. M. zuckt mit den Schultern. Er könne sich nicht an eine Kontrolle erinnern.

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Dann tritt Rainer Fuchs in den Zeugenstand, Leiter des „Projekts Rennen“ bei der Kölner Polizei. Auf Nachfrage von Nebenklage-Anwalt Nikolaos Gazeas, der die Eltern der getöteten Studentin Miriam Scheidel (19) vertritt, bestätigt Fuchs, dass Firat M. bei der  Kontrolle tatsächlich „in einem Fahrzeug festgestellt“ worden sei.

Plötzlich kommt die Erinnerung zurück

Plötzlich kommt auch beim Angeklagten die Erinnerung zurück, nun geht er sogar ins Detail: Am Steuer habe damals ein Freund gesessen, dessen Vater Psychologe sei und unter anderem auch die Fahreignung von Verkehrsteilnehmern prüfe, lässt M. über seinen Anwalt Sebastian Schölzel ausrichten. Deshalb habe er sich in dem Wagen von dessen Sohn auch sicher gefühlt. Stillgelegt worden sei das Cabrio aber nicht wegen eines Schalldämpfers, sondern wegen einer zu geringen Profiltiefe der Reifen. „Das ist ja noch schlimmer“, entgegnet Anwalt Gazeas. „Abgefahrene Reifen können ja noch viel eher zu einem Unfall führen.“

Schölzel kontert, der Zeitungsbericht passe in die „Jagd“ auf seinen Mandanten. M. sei als Beifahrer in die Kontrolle geraten, doch suggeriert werde seine Nähe zu einer Rennszene. „Ich verstehe die Aufregung nicht.“ Gazeas erwidert, mit dem Finger auf die Presse zu zeigen, die objektiv berichte, sei „falsch und untunlich“. Der Bericht passe vielmehr ins Bild von Firat M., das der in der Hauptverhandlung zu verdecken versuche. Auch der Richter stellt klar: Firat M. habe geäußert, dass er durch den Unfall auf dem Auenweg eine andere Einstellung zu schnellen Autos bekommen habe. „Da ist es für die Kammer schon von Interesse, ob der Angeklagte in schnellen, sportlichen Autos unterwegs ist.“

Zahl der Autorrennen unverändert hoch

In seiner Zeugenaussage betont Rainer Fuchs von der Polizei zudem, dass die Zahl der illegalen Straßenrennen in Köln seit dem Unfall auf dem Auenweg unverändert hoch sei. Der typische Raser, so Fuchs, sei Fahranfänger, maximal 30 Jahre alt und männlich. Viele hätten einen türkischen Migrationshintergrund.

Für allgemeine Verblüffung sorgt im Anschluss die Zeugin Anna H. (Name geändert). Sie ist Ärztin für Allgemeinmedizin mit einer Weiterbildung in Psychotherapie. Eigentlich ist Firat M.s Mutter bei der 76-Jährigen in Behandlung. Doch auch den 24-Jährigen hat Anna H. schon zu einer Therapiestunde getroffen. Ihre Diagnose ist trotz der kurzen Behandlungsdauer  erstaunlich gefestigt – die Ärztin hat sie in einem „Attest“ niedergeschrieben, das M.s Anwalt dem Gericht vorgelegt hat. Firat M. leide durch den Unfall und einen „Medienkrieg“ gegen ihn an einer posttraumatischen Belastungsstörung, an Depressionen und Ängsten, und er habe Suizidgedanken, berichtet Anna H.

Auftritt der Ärztin

Firat M. habe ihr auch gesagt, das sei gar kein Rennen gewesen – obwohl beide Angeklagte das vor Gericht längst zugegeben haben. Die „übergroße Medienkampagne“ mache sie fest an Zeitungsartikeln, die M. ihr gezeigt hätte. Dass er – der vor Gericht bislang eher einen empathielosen Eindruck macht – in der Therapiestunde so „verzweifelt“ gewirkt hätte, habe sie „sehr traurig“ gemacht, berichtet die Allgemeinmedizinerin. Sie hoffe, dass er nicht ins Gefängnis müsse.

Kritischen Fragen des Richters und des Staatsanwalts zu ihrem Vorgehen bei der Anamnese hält sie nicht stand. Anwalt Gazeas zerpflückt das „Attest“ dann vollends. Es halte den medizinischen Richtlinien und Vorgaben nicht stand, sagt Gazeas. Mehr noch: Es erfülle den „Tatbestand des Ausstellens unrichtiger Zeugnisse“, die Verwendung sei strafbar. Firat M. und sein Verteidiger hätten  versucht, das Gericht über den Zustand des Angeklagten zu täuschen, schimpft der Nebenkläger. „Das ist unfassbar, das ist abscheulich.“ Die Aussage von Anna H. sei „Kabarett auf dem Rücken der Eltern und des Bruders“ von Miriam Scheidel gewesen, eine „Verhöhnung der gesamten Familie.“

Es sei ihm darum gegangen zu zeigen, wie verzweifelt Firat M. gewesen sei, dass er sich an eine „Psychologin" gewandt habe, rechtfertigt Schölzel, räumt aber ein: Sein Mandant werde Anna H. wohl nicht mehr konsultieren. Der Prozess wird am Montag fortgesetzt, kommende Woche Donnerstag könnte das Urteil fallen.

In einer früheren Version dieses Artikels wurde Anna H. irrtümlicherweise als „Psychologin" bezeichnet. Richtig muss es heißen: Sie ist Allgemeinmedizinerin und hat eine Zusatzausbildung als Psychotherapeutin.

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