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Recherche bestätigt VerdachtKölner Ärztin vergibt Masken-Attest ohne Untersuchung

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Eine Kölner Ärztin stand seit Monaten im Verdacht, falsche Masken-Atteste auszustellen. 

Köln – Auf den ersten Blick sieht alles vorbildlich aus: Ein Zettel an der Praxis-Tür der Ärztin Stefanie L. in Ehrenfeld erinnert Patienten an die Maskenpflicht im Gebäude. Rechts daneben weist ein Schriftzug auf dem Glasfenster darauf hin, dass diese Praxis als Lehrpraxis mit der Universität Köln kooperiert. „Schützen Sie sich und andere“ heißt es auf einem weiteren Blatt Papier am Empfang, das auf die Abstandsregeln hinweist. Aber bei genauerem Hinsehen scheint es die Allgemeinmedizinerin mit der Einhaltung der Corona-Vorschriften dann doch nicht so genau zu nehmen. Das jedenfalls stellten Polizei und Ordnungsamt nach eigenen Angaben bei einer Razzia in der Praxis (hier lesen Sie mehr) fest. Die Behörden hatten Hinweise erhalten, dass Stefanie L. und ihre Helferin keine Masken trugen. Die Ärztin soll den Beamten gegenüber behauptet haben, die Stadt Köln sei keine Behörde, sondern eine Firma. Sie würde außerdem erst eine Maske tragen, wenn man ihr beweisen könne, dass zurzeit eine Pandemie herrsche. Die Stadt prüft derzeit mögliche Konsequenzen.

Auch bei einem Besuch in der Praxis Anfang Dezember 2020 trägt Stefanie L. keine Maske. Bereits seit Monaten steht sie da schon im Verdacht, falsche Masken-Atteste herauszugeben. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ wollte dies testen und vereinbarte einen Termin für ein solches Masken-Attest. Das Ergebnis: Der Verdacht bestätigte sich. Erste Institutionen kündigen jetzt Konsequenzen an.

Ärztin leugnet die Existenz von krankmachenden Viren

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In ihrem Behandlungszimmer fragt die Ärztin, welche Symptome das Tragen der Maske hervorgerufen werden. Auf die Erklärung hin, man könne sich unter einer Maske doch schlechter konzentrieren, nickt sie zustimmend. „Sind Sie denn aufgeklärt über die Pandemie?“, fragt sie und beginnt zu erzählen.

Davon, dass ja noch nie ein Mensch an einem Coronavirus gestorben sei, der Tod all der Menschen habe nichts mit angeblichen Viren zu tun. „Ich bin der Meinung, dass es keine krankmachenden Viren gibt“, sagt sie nachdrücklich.

Sie nimmt einen Stift in die Hand, fängt an, auf einem Notizblock Erklärungen zu ihren Thesen zu zeichnen und sagt, dass diese nachgewiesenen Viren doch in Wahrheit nur Abwehrkräfte des Körpers seien. Im Gegensatz zu Viren scheint die Allgemeinmedizinerin Masken und Impfungen für hochgefährlich zu halten. Für Kinder, so die Ärztin, seien Masken sogar „Folter!“

Aktiv in der „Querdenken“-Bewegung

Eigentlich dürfen Masken-Atteste nur in Ausnahmefällen ausgestellt werden: an Patienten, die aus medizinischen oder psychischen Gründen nicht einmal eine chirurgische Maske tragen können, ohne etwa Atemprobleme zu bekommen. Doch bei den meisten Demonstrationen von Gegnern der Corona-Maßnahmen tragen auffällig viele Protestierende keinen Mund-Nasen-Schutz und ziehen, sobald sich ihnen Ordnungsbeamte oder Polizisten nähern, ein Attest aus der Jackentasche.

Auch Stefanie L. ist laut eigenen Angaben seit März in der „Querdenken“-Bewegungen aktiv. Bei Demonstrationen tritt sie als Rednerin auf. Anfang September beispielsweise zweifelt sie auf dem Heumarkt unter den zustimmenden Rufen des Publikums von „Deutschland sucht das Grundgesetz“ die Existenz von Masernviren an. Wenige Wochen später steht sie bei Nieselregen auf der Bühne einer „Querdenken“-Demonstration an der Deutzer Werft und erzählt, dass Masken nicht gegen Viren – „so es sie gibt“ – schützen würden.

Weil sie einer Webseite zufolge Personen helfen soll, die auf der Suche nach einem Masken-Attest sind, wurde sie im Sommer 2020 bereits von der Ärztekammer Nordrhein verwarnt: Das Ausstellen eines solchen Attests ohne medizinischen Grund sei eine Straftat. „Sollten uns Fälle bekannt werden, werden wie diese zur Anzeige bringen“, schrieb die Ärztekammer in einem Brief, den Stefanie L. selbst im Internet veröffentlichte.

Stefanie L. händigt Attest ohne medizinische Untersuchung aus

Gegen Ende des Termins in ihrer Praxis holt die Ärztin eine Aktenkarte hervor und schreibt darauf: „Konzentrationsschwäche“ – und das, obwohl im Laufe des Gesprächs gleich zweimal betont wird, dass dieses Symptom bislang kaum aufgetreten ist, dass vielmehr auf bestimmten Internetseiten nur grundsätzlich vor diesem angeblichen Risiko gewarnt wird. Das Masken-Attest sei eher vorbeugend gedacht. Die Ärztin lächelt. Es gehe ihr darum, „Schaden abzuwenden“, bevor er entstehe. Ohne ärztliche Untersuchung überreicht sie das Attest: „Hiermit wird obengenannter Patientin bescheinigt, dass sie aus gesundheitlichen Gründen keinen Mund-Nasenschutz tragen darf.“

20 Euro und 10 Cent kostet die Behandlung, dann packt eine Empfangsmitarbeiterin das Papier in einen Briefumschlag. Ein Masken-Attest, mit dem nun ein gesunder Mensch ohne Maske in Köln U-Bahn fahren darf, einkaufen und demonstrieren gehen kann. Die Behandlung, in der fast ausschließlich über gängige Verschwörungstheorien diskutiert wurden, dauerte circa zehn Minuten.

Universität Köln beendet Kooperation

Die Ärztekammer Nordrhein teilte auf Nachfrage mit, sie werde dem Hinweis des „Kölner Stadt-Anzeiger“ auf Stefanie L. nachgehen. Ein Maskenattest, so die Pressesprecherin der Kammer, dürfen Mediziner nicht für „allgemeine, hinnehmbare Beeinträchtigungen“ ausstellen. Selbst bei Lungenerkrankungen stellten Masken nicht automatisch eine unzumutbare Belastung da. Zudem müssten Patienten sorgfältig untersucht werden, bevor sie ein Attest bekämen. „Sofern Ärztinnen und Ärzte bei der Ausstellung von Attesten nicht sorgfältig verfahren, kann dies Gegenstand berufsrechtlicher Maßnahmen gegen sie sein“, schreibt die Sprecherin. Bei Verstößen drohe eine Geldbuße, in schweren Fällen ein Verfahren vor dem Berufsgericht.

In den vergangenen Wochen habe die Kammer zwei dutzend Fälle verfolgt, in denen Ärzte bei der Ausstellung von Masken-Attesten gegen ihre Pflichten verstoßen hätten. Zwei der Fälle beziehen sich auf Kölner Ärzte. Selbstverständlich, teilt die Sprecherin der Kammer mit, gelte auch für Ärzte die Meinungsfreiheit. Gleichzeitig erfordere die gewissenhafte Ausübung des Berufs aber „die Beachtung des anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse“.

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Die Universität Köln kündigte auf Nachfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ an, die Zusammenarbeit mit Stefanie L. unverzüglich zu beenden. Die Ärztin habe sich vor einigen Jahren um die Lehrpraxis-Tätigkeit beworben und sich damals zur schulmedizinischen Ausrichtung bekannt. Doch allein die Inhalte der Videos, die sie als Rednerin bei Querdenken-Demonstrationen zeigen, widersprächen „gravierend“ der medizinischen Lehre. „Ihre Ansichten sind nicht mit einer wissenschaftsbasierten Medizin vereinbar“, stellt Uni-Sprecher Patrick Honecker klar.

Ihre Praxis sei nach dem Hinweis dieser Zeitung bereits aus der Liste der Lehrpraxen entfernt worden. Honecker zufolge haben während der Corona-Pandemie keine Studierenden bei der Ärztin hospitiert. Stefanie L. ließ eine Anfrage zur Stellungnahme bis Redaktionsschluss unbeantwortet.  

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