„Kontakt zu einigen Kindern verloren“Streetworker sorgen sich um Familien am Kölnberg

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Blick auf die Wohnungen der Hochhaussiedlungen

  • Seit Spielplätze, Bolzplätze und Jugendzentren wegen der Corona-Pandemie geschlossen sind, fehlen den Kindern am Kölnberg wichtige Anlaufstellen und Alternativen.
  • Streetworker und auch der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte schlagen Alarm. Man sorgt sich vor allem um benachteiligte Kinder und Jugendliche in sozialen Brennpunkten.
  • Wir waren vor Ort und haben mit Streetworkern und Bewohnern der Hochhaussiedlung über die schwierige Situation gesprochen.

Köln – Von der Betonwüste ins Feuchtbiotop sind es keine zwei Kilometer. Sieben Minuten mit dem Fahrrad. Aber es musste erst Corona kommen und mit den Kontaktverboten und den Schulschließungen die große Langeweile, bis Yolanda das erste Mal in ihrem Leben von den Wäldern an der Meschenicher Kiesgrube vor ihrer Haustür Notiz nahm. „Ich wusste vorher gar nicht, dass es hier ein Naturschutzgebiet gibt“, sagt die 17-Jährige.

Yolanda ist am Kölnberg geboren und aufgewachsen, mitten in der Hochhaussiedlung. Es gab Jahre, da hatte Schule nicht die allerhöchste Priorität in ihrem Leben, vorsichtig ausgedrückt.

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Yolanda (17) vor ihrer Haustür in der Hochhaussiedlung

Inzwischen aber ist Yolanda auf einem guten Weg, Unterricht und Hausaufgaben geben ihrem Alltag eine feste Struktur. Doch die ist mit den Schulschließungen Anfang März von einem auf den anderen Tag weggebrochen – wie bei allen Kindern und Jugendlichen am Kölnberg.

Kaum Ausweichmöglichkeiten – Jugendzentrum geschlossen

„Hätte ich denen vor ein paar Wochen vorgeschlagen: Kommt, wir machen mal eine Radtour in den Wald, dann hätten die mir den Vogel gezeigt“, sagt Amir Raksh-Bahar vom Kinder- und Jugendzentrum in Meschenich und lacht. „Die hätten geantwortet, sie wollen lieber im Jugendzentrum abhängen oder grillen.“

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Amir Raksh-Bahar (32) ist aufsuchender Streetworker im Viertel.

Doch auch das Jugendzentrum ist coronabedingt geschlossen, ebenso Bolzplätze und Spielplätze im Viertel. Raksh-Bahar und seine Chefin Azbiye Kokol sind zurzeit Streetworker im Homeoffice, gezwungenermaßen.

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Der Spielplatz ist geschlossen, wird aber trotzdem oft benutzt.

Das Sportangebot für die Kinder und Jugendlichen? Gestrichen. Die Mal- und Bastelworkshops? Fallen aus, die Kinder können sich zu bestimmten Zeiten immerhin Stifte, Papier und Bastelvorlagen im Jugendzentrum abholen. Die Hausaufgaben-Nachhilfe? Stark ausgedünnt. Sie findet jetzt digital statt für die 30 Kinder, deren Eltern zu Hause einen Computer haben und den Internetanschluss bezahlen können – oder denen das Jugendzentrum eines von 20 Tablets zur Verfügung gestellt hat, gesponsert von einer Stiftung.

Ordnungsamt kontrolliert am Kölnberg

Viele Minderjährige wüssten zurzeit wenig mit ihrer freien Zeit anzufangen, sagt Raksh-Bahar. Vor allem größere Familien, die in kleinen Wohnungen leben, schickten ihre Kinder möglichst oft nach draußen, die Ansteckungsgefahr steht da oft erst an zweiter Stelle.

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Die Fläche vor dem Bolzplatz ist ein neuer Hotspot. An diesem Nachmittag ist hier wenig los, aber Kronkorken, leere Joghurtbecher und Chipstüten auf dem Boden zeugen davon, dass Jugendliche hier häufig und bis in die Nacht hinein in großen Gruppen zusammenstehen. „Manchmal kommt das Ordnungsamt und sagt, wir sollen Abstand halten“, erzählt Yolanda.

Ein paar hundert Meter weiter im Jugendzentrum stapeln sich Carepakete mit Milch, Nudeln, Saft und Keksen, die an die Bedürftigsten ausgegeben werden. Das soll besonders kritische Situationen in den Familien lindern. „Wir kennen das ja von unseren Kindern hier im Jugendzentrum“, sagt Raksh-Bahar: „Wer hungrig ist, wird leichter aggressiv. Und dem wollen wir vorbeugen.“ Azbiye Kokol sagt: „Zu einigen Kindern haben wir den Kontakt schon verloren, das ist problematisch.“

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Auch der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte schlägt Alarm. Weil die gewohnten Anlaufstellen fehlten, sorge man sich vor allem um benachteiligte Kinder und Jugendliche in sozialen Brennpunkten, sagt Vizepräsidentin Sigrid Peter. „Wir müssen befürchten, dass sie nun oftmals allein sind mit ihren Sorgen und Nöten.“ So sei die Zahl der Anzeigen wegen häuslicher Gewalt laut Bundesregierung in Deutschland bereits um zehn Prozent gestiegen. Der Verband fordert mehr finanzielle Soforthilfen und den Ausbau von Angeboten „verschiedener Player“ wie dem Kinderschutzbund.

Die Sozialarbeiter Kokol, Raksh-Bahar und ihre Kollegen haben ein Hygienekonzept geschrieben, mit dem sie die Politik überzeugen wollen, das Jugendzentrum am Kölnberg wenigstens stundenweise öffnen zu dürfen, sie wollen eine Art Notbetreuung für schulmüde Kinder anbieten. Yolanda erkundet derweil weiter die Gegend. Aber auch das wird ihr allmählich langweilig. Sie freue sich, wenn die Schule endlich wieder beginne, sagt sie. „Dann habe ich wieder meine feste Struktur.“

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