Samy Deluxe im Interview„Rassismus steckt in jedem von uns“

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Samy Deluxe am Hafen in seiner Hamburger Heimat

Samy Deluxe am Hafen in seiner Hamburger Heimat

Sie machen seit mehr als 20 Jahren erfolgreich Musik. Als Sie mit der Musik angefangen haben, steckte Deutschrap noch in den Kinderschuhen. Heutzutage ist er fast komplett im Mainstream angekommen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Samy Deluxe: Mainstream hört sich immer so böse an, als hätte man irgendetwas falsch gemacht, wenn man dort ankommt. Aber damals, als wir angefangen haben, hatten wir den Vorteil, dass wir überhaupt nicht wussten, dass daraus jemals ein Job oder ein kommerzielles Genre werden könnte. Bei meinen Auftritten in den ersten fünf Jahren, also von circa 1995 bis 2000, habe ich wirklich nur maximal die Fahrtkosten eingenommen und nach dem Auftritt dann meine Demotapes verkauft, um an etwas Geld zu kommen. Es war eine super idealistische Zeit, die uns den Vorteil gab, dass wir keinen Druck hatten. Wir haben das nicht wegen des Geldes gemacht.

Zur Person

Samy Deluxe, 1977 als Samy Sorge in Hamburg geboren, ist mit mehr als einer Million verkauften Tonträgern einer der kommerziell erfolgreichsten deutschen Rapper. Er lebt in Hamburg, dort ist er auch aufgewachsen. Sein Vater, der aus dem Sudan stammt, verließ Deutschland, als Samy zwei Jahre alt war. Deluxe textet oft über Herkunft und Heimat.

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Seinen Durchbruch hatte er 2000 zusammen mit seinen Bandkollegen DJ Dynamite und Tropf mit der Band Dynamite Deluxe. Das erste Album, Deluxe Soundsystem, das ihm zum Durchbruch verhalf , kam auf Platz vier in den deutschen Albumcharts, verkaufte sich über 150.000 mal und wurde mit einer Goldenen Schallplatte ausgezeichnet. (red)

Für die Kids heute ist das oft etwas anders: Wenn die anfangen, in dieses Rap-Geschäft einzusteigen, erwarten sie direkt etwas. Und wenn dann nicht im ersten Jahr das große Geld um die Ecke kommt, geben sie schneller wieder auf, weil sie denken, dass es doch kein guter Beruf ist. Trotzdem freue ich mich für die neue Generation und darüber, dass wir mittlerweile das größte kommerzielle Genre sind. Auch wenn dabei mitschwingt, dass es viele neue Rapper eher als Geschäft und nicht so idealistisch wie ich und meine Kollegen damals sehen. Aber darüber darf man sich nicht beschweren, ich freue mich über das Wachstum. Ich bin keiner dieser Menschen, die sagen, dass früher alles besser gewesen ist.

Sie haben in vielen Liedern Wert darauf gelegt, auf Missstände und gesellschaftliche Probleme hinzuweisen, sie zu kritisieren. Wie etwa im Song „Weck mich auf“, den Sie bereits vor 17 Jahren veröffentlicht haben. Sind Sie mittlerweile aus dem Alptraum, den Sie dort beschreiben, aufgewacht?

Nein, nicht wirklich. Bei gesellschaftskritischen Songs ist es ein bisschen wie bei Liebesliedern: Manche grundsätzlichen Sachen ändern sich eben nicht. Die einzige Zeile, die bei „Weck mich auf“, glaube ich, nicht mehr aktuell ist, ist: „Wir haben bald alle BSE“. Ich habe in letzter Zeit keinen mit panischer Angst davor rumlaufen sehen. Aber wenn man über soziale Missstände, über Trennung von Gesellschaftsschichten, Klassen oder Rassen redet, sind das einfach Dinge, die im Menschen tief verankert sind. Wenn ich heute einen Song darüber schreiben würde, wäre der in 17 Jahren auch noch aktuell.

Wenn man eine ultimative Wahrheit ausspricht, wie „es gibt Rassismus“, dann hat man eben immer Recht. Wobei es auch Leute gibt, die wahrscheinlich politisch korrekte, nette Menschen sind, mir dann aber sagen, dass sie es so traurig finden, weil sie dachten, der Rassismus wäre weg gewesen. Aber die sind eben alle weiß und nicht jeden Tag schwarz. Da weiß man teilweise nicht, dass es Rassismus gibt. Dieser Illusion geben sich die Minderheiten aber gar nicht hin.

Rassismus war also immer da und wird es immer geben?

Rassismus ist in jedem von uns drin, es ist auch nicht unbedingt eine extrem, unglaublich böse Ausgeburt der Hölle, sondern einfach eine Folge von Dummheit – Angst und Unaufgeklärtheit. Mein ganzer sozialer Aktivismus, den ich gemacht habe, war daher immer für etwas. Man hat noch nie gesehen, dass Samy Deluxe eine Kampagne gegen Nazis macht. Ich bin für mehr Toleranz, für Integration. Ich mache keine Kampagne gegen Aids, sondern für Verhütung. Mein Ansatz ist immer positiv. Deswegen habe ich auch keine Angst vor Organisationen, die erstmal pauschal gegen irgendetwas sind, weil die sich meistens, das hat die Geschichte an Parteien wie der NPD oder DVU bewiesen, am Ende alle selber untereinander streiten und einfach verfallen, weil das ganze Ding nicht auf Positivität oder einem Idealismus aufgebaut ist.

Wie wichtig ist es, dass Rapper neben dem klischeehaften Bild aus Party, Luxusautos und Blingbling auch noch ihre Meinung äußern?

Wenn man mal 15 Jahre zurück geht, vielleicht auch bis in die 90er, da gab es 50 verschiedene deutsche Rap-Gruppen, und von denen haben dann vielleicht mehr als die Hälfte ziemlich schlaue Sachen gemacht, sodass man den Eindruck hatte, das Genre sei intellektuell relativ gut durchwachsen. Das Gute am Hip-Hop ist unter anderem, dass es eigentlich Musik der Unterschicht ist. Und in Deutschland war die Entwicklung sehr konträr zu der in Amerika, wo der Hip-Hop von der Unterschicht direkt in die Oberschicht aufgestiegen ist. In Deutschland hat es erst mit den Fantastischen Vier angefangen, sie waren die ersten, die auf Deutsch Platten rausgebracht haben.

Nette Jungs aus bürgerlichen Verhältnissen . . .

Kompletter Mittelstand, keine Badboys. Im Laufe der Jahrzehnte sind die potenziellen Badboys dazugekommen, was ja eigentlich auch cool ist. Aber dadurch sind eben andere Ansprüche und andere kulturelle Hintergründe vorhanden. Wenn man mit einer Leidenschaft aufwächst und sieht, dass andere Leute damit Millionen machen, hat man einen anderen Fokus. Deshalb will ich das den heutigen Rappern gar nicht vorwerfen, auch wenn man natürlich merkt, dass viele Leute einfach auf dieser Welle mitschwimmen wollen und nicht ganz so idealistisch ihre Musik machen.

Sie selber haben gerade ein MTV-Unplugged-Album aufgenommen – mit vielen bekannten Kollegen wie Xavier Naidoo, Afrob, Denyo, Megaloh, Curse. Wie besonders ist so ein Projekt für einen Künstler?

Es ist besonderes, weil in Deutschland erst wenige Rapper so ein Ding gemacht haben. Für mich war es jetzt der perfekte Zeitpunkt. Ich hatte das Gefühl, dass dieses Ding gut auf den Punkt bringen könnte, was ich bisher gemacht habe – es fungiert quasi wie ein Best-of-Album der letzten 20 Jahre.

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Wobei es aufwendiger war, als alles, was ich bislang gemacht habe, weil dabei einfach mehrere Sachen gleichzeitig passieren. Man macht eine Platte, zudem entsteht daraus ein Film und es war auch noch ein Live-Event, in das ich viel Detailverliebtheit gesteckt habe.

Sie treten am Freitag zur Eröffnung des c/o Pop Festival auf. Warum haben Sie sich für ihre Rückkehr nach Köln gerade dieses Festival ausgesucht?

Naja, ganz so ist es im Showbusiness nicht. Man kann sich nicht selber aussuchen, wann man wo spielt. Man wird irgendwo gebucht, und wenn man Bock darauf hat, spielt man dort.

Zum Festival

Das c/o-Pop-Festival beginnt am Mittwoch, 29. August, am Tanzbrunnen mit dem Auftritt von Samy Deluxe (Beginn: 18.30 Uhr). Zuvor tritt Afrob auf (17.30 Uhr), anschließend (ab 20.15 Uhr) die Beginner. Das Konzert ist ausverkauft, für viele weitere Veranstaltungen des Festivals, das bis Sonntag, 2. September, dauert, sind noch Tickets zu haben.

Auf mehreren Bühnen, unter anderem in der Philharmonie, im Stadtgarten und im Gloria-Theater, spielen bei der 15. Auflage der c/o Pop viele namhafte Künstler. Am „Super-Samstag“ (1. September) treten im Belgischen Viertel vom Nachmittag an viele Nachwuchsmusiker in Geschäften und Gaststätten auf. Der Eintritt ist frei. (red)

In diesem Fall kam es durch die Beginner, ich bin quasi deren Vorgruppe für den Tag. Ein bisschen unter Wert verkauft vielleicht, weil ja viele Leute auch wegen mir kommen.

Wobei Sie mit Afrob quasi ebenfalls eine Vorband haben...

Ja, die Kombination ist super, weil die Leute mit uns allen viel verbinden und es super gut passt, wenn wir alle zusammen spielen. Dieses True-School-Hip-Hop-Ding mögen die Leute.

Hip-Hop war schon immer von gemeinsamen Projekten geprägt. Neuestes Beispiel: Materia und Casper mit ihrem „1982“-Album. Was macht Ihre langjährige Beziehung zu Afrob und den Beginnern besonders?

Wir sind wie eine Familie, die sich Ewigkeiten kennt, und wenn wir uns sehen, ist es wie ein Klassentreffen. Als wären wir alle zusammen in der Schule gewesen, was wir ja quasi auch waren – jedenfalls in der Schule des Hip-Hop-Lebens. Ich kann das daher gar nicht genau erklären. Das ist so, als würde man mich fragen, was toll daran ist, wenn ich meine Mutter treffe. Weiß nicht, das ist eben meine Mutter. Das passt einfach. Und Afrob und die Beginner sind alles langjährige Freunde, mit denen ich darüber hinaus auch eine lange, gemeinsame musikalische Geschichte habe.

Sie sind schon oft in Köln aufgetreten. Gibt es etwas, was Sie hier besonders genießen?

Ich glaube, ich war 1998 mit der „Fünf Sterne Deluxe“-Tour das erste Mal hier. Da haben wir im Stadtgarten gespielt, sind danach einfach losgelaufen und auf die Ringe gekommen. Die Stadt ist super gebaut für Gäste, die nur einen Tag da sind. Es ist alles total logisch. In manch anderer Stadt findet man das Zentrum gar nicht oder man weiß überhaupt nicht, dass man gerade im Zentrum ist. Hier ist das anders. Und ich habe in Köln seit dem ersten Tag, den ich da war, so viel Gastfreundschaft erlebt. Man muss in meinem Beruf ja oft in verschiedene Städte reisen, und ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich einmal dachte „Mist, ich muss nach Köln“. Ich habe immer Bock auf die Stadt.

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