Schatten der VergangenheitKunstwerke aus dem Dritten Reich an Kölner Fassaden

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Skulpturen von Willy Meller auf dem Rodenkirchener Friedhof

Köln – Erst vor einigen Monaten hat die Vergangenheit die evangelische Kirchengemeinde Bayenthal wieder eingeholt. Anwohnerin Susanne Gross bat darum, die finstere Gestalt, den rahmenden Spruch und die Symbole am Eingang des Gemeindehauses zu entfernen. „Das Portal Ihres Hauses, das ich schon seit Kindesbeinen kenne, hat etwas Bedrückendes“, schrieb sie an das Presbyterium.

Pfarrer André Kielbik sitzt an einem Konferenztisch des Martin-Luther-Hauses und erzählt eine Geschichte, die im Jahr 1933 begann und so schnell kein Ende finden wird. Sie handelt von der Frage, wie eine Gemeinde mit dem Erbe ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit umgeht, das noch heute sehr konkret zu sehen ist. In Form der Umrisse eines SA-Mannes, eines Hakenkreuzes mit Reichsadler und eines Zitats aus einer Hitler-Rede.

Relikte aus der NS-Zeit

Das Martin-Luther-Haus an der Mehlemer Straße ist ein niedriger, langgestreckter Bau inmitten Marienburger Großstadt-Villen. Regelmäßig dient es als Wahllokal, was den Relikten aus der NS-Zeit noch ein wenig mehr Brisanz verleiht. Gebaut wurde es 1933/1934, als in der Gemeinde Bayenthal die Anhänger der „Deutschen Christen“ das Sagen hatten, einer Kirchenpartei, die – parallel zur NS-Ideologie – alles Jüdische bekämpfte und das Führerprinzip propagierte.

Sich selbst nannte die Bewegung in Anlehnung an die paramilitärische Kampforganisation der NSDAP auch „SA Jesu Christi“. 1933 gewannen die Deutschen Christen die Kirchenwahl reichsweit mit deutlicher Mehrheit. Ihre Vertreter besetzten von nun an die wichtigsten Ämter der „Deutschen Evangelischen Kirche“. Als Gegenbewegung gründete sich die „Bekennende Kirche“. 

Gemeindehaus wird zum Bekenntnis zur NS-Ideologie

Das neue Gemeindehaus in Bayenthal wird zu einem Bekenntnis zur NS-Ideologie. Der Entwurf stammt von Architekt Clemens Klotz, die Gestaltung des Portals übernimmt Bildhauer Willy Meller. Beide wohnen in Köln, sind befreundet und arbeiten oft und gerne zusammen. Beide gehören zu den großen Profiteuren der neuen Machthaber. NS-Vorzeigearchitekt Albert Speer persönlich lobt den Neubau in Marienburg als „gebauten Nationalsozialismus“, das Portal als „Wort aus Stein“.

3000 Reichsmark bekommt Meller dafür, „die Seiten des Eingangsportals in echt deutschem Geist zu gestalten in Form einer Darstellung Luthers für das Christentum und eines SA-Mannes für dessen Deutschtum“, wie es im Auftrag des Presbyteriums heißt. Insgesamt wird der Bildhauer aus Weiß zwischen 1934 und 1944 genau 751096,54 Reichsmark für seine Arbeiten einnehmen, wie er notiert. Heute entspräche das mehr als 2,6 Millionen Euro.

Zitat aus einer Rede Adolf Hitlers

Meller formt das Relief eines kräftig gebauten Luthers mit Lutherrose auf der linken Seite und eines SA-Manns mit Reichsadler und Hakenkreuz auf der rechten. Eingerahmt wird der SA-Mann von einem Zitat aus einer Rede Adolf Hitlers vom 1. Mai 1933: „Wenn so die Welt gegen uns steht, dann müssen wir um so mehr zu einer Einheit werden.“

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Mit der Darstellung Luthers und des SA-Mannes und der Beziehung von Kreuz und Hakenkreuz habe Meller „den echten, neuen deutschen Geist“ vor Augen führen sollen, heißt es in einem Aufsatz zur Geschichte der Kirchengemeinde. 1934 wird Heinrich Drießler neuer Pfarrer, er ist nicht nur Mitglied der „Deutschen Christen“, sondern auch der NSDAP. Das Luther-Haus und das zwei Jahre später fertiggestellte Ernst-Moritz-Arndt-Haus in Rodenkirchen stellt er der Hitlerjugend und dem „Bund Deutscher Mädel“ zur Verfügung. Treffen der NS-Frauenschaft Bayenthal enden mit dem „Horst-Wessel-Lied“.

Relief des SA-Mannes nach dem Krieg abgeschlagen

Nach dem Krieg wird das Relief des SA-Mannes abgeschlagen, doch die Umrisse bleiben sichtbar. Als Akt der Verdrängung werden die Überreste abgedeckt. Die Abdeckung verschwindet erst, als Mitte der 1980er Jahre eine erste Auseinandersetzung mit der Vergangenheit einsetzt. Die Gemeinde bringt einen alttestamentarischen Bibelspruch am Relikt an und geht so auf Abstand zu den „Deutschen Christen“, die das Alte Testament als „Abfall der Juden von Gott“ und daher als Sündenfall ablehnten.

Auf einer kleinen Infotafel im Inneren des Hauses wird seit 1984 der Relief-Schatten als Mahnung an die Kirche erklärt, „die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung nicht ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden Weltanschauung und politischen Überzeugungen zu überlassen“. Nach außen sind die Erläuterungen kaum wahrnehmbar.

Kirche müsse kritisch gegenüber jedem Zeitgeist sein

Deshalb folgt 2005 eine Tafel zu den Hintergründen auch an der Außenwand. Versehen mit dem Zusatz, die Kirche müsse kritisch gegenüber jedem Zeitgeist sein und einem Auszug aus der „Barmer Theologischen Erklärung“, dem theologischen Fundament der „Bekennenden Kirche“.

„Es ist schlimmer, davor eine Wand zu stellen, als die Darstellung öffentlich sichtbar zu machen und zu diskutieren“, sagt Pfarrer André Kielbik. Das Portal sei für ihn das Dokument der „dunklen Vergangenheit dieser Gemeinde“ und damit ein Mahnmal, das es zu bewahren gelte.

Die Ästhetik des Relief-Umrisses besitze symbolischen Wert: „Wir haben dort einen Schatten, und dieser Schatten wird immer über der Gemeinde lasten.“ Mit seinen Konfirmanden steht der 56-Jährige immer wieder vor dem Portal und führt ihnen vor Augen, wie konkret die NS-Ideologie einst in den Alltag vorgedrungen ist. „Es besteht Einigkeit bei uns, dass man solche Dinge stehen lässt“, sagt der Theologe. Eine eigens eingeholte Stellungnahme des NS-Dokumentationszentrums stützt die Sicht der Gemeinde. Den Antrag von Susanne Gross, den SA-Mann zu entfernen, lehnte sie entsprechend ab.

Hitler-Zitat bis heute nicht kritisch eingeordnet

Die Anwohnerin hat zwar mittlerweile ihre Meinung geändert. Würde der SA-Mann entfernt, „wäre für alle Zeit nicht mehr dokumentiert, wie die evangelische Kirche sich damals verhalten hat“, sagt sie. Zufrieden sei sie dennoch nicht. So werde das Hitler-Zitat bis heute nicht kritisch eingeordnet, sei die Infotafel zu weit vom Portal entfernt, um von Besuchern entdeckt zu werden. Mit dem Auszug aus der „Barmer Theologischen Erklärung“ suggeriere die Gemeinde zudem, damals „auf der anderen Seite gestanden“ zu haben. „Meines Erachtens hat sich die Gemeinde von diesem Portal noch nicht ausreichend distanziert“, sagt Gross. „Wer will an einem Redeauszug von Hitler vorbei zur Wahl gehen?“

André Kielbik kann diese Argumente nur zum Teil nachvollziehen. Generell stelle sich die Gemeinde sehr wohl ihrer Vergangenheit und gehe offen damit um. Zur Kritik am Hitler-Zitat sagt er aber auch: „Da werden wir noch mal in die Diskussion einsteigen.“ Elke Purpus bewertet den Umgang der Gemeinde mit ihrem NS-Erbe generell positiv, denn es habe hier eine Diskussion stattgefunden. Bei anderen Werken Willy Mellers – einige davon nach wie vor im Kölner Stadtbild präsent – sei dies leider nicht der Fall.

Einer der meistbeschäftigten Bildhauer der NS-Zeit

Dabei sei er einer der meistbeschäftigten Bildhauer der NS-Zeit gewesen, so die Direktorin der Kunst- und Museumsbibliothek der Stadt Köln, die sich umfassend mit dem Lebenswerk des 1974 verstorbenen Künstlers beschäftigt hat. Nicht nur für die NS-Ordensburgen Vogelsang und Krössinsee fertigte er Bauplastiken und Modelle in der Ästhetik der Nazis, auch für das „Kraft durch Freude“-Seebad Prora auf Rügen und das Olympiastadion in Berlin. Meller schuf Reichsadler, athletische Jünglinge, mächtige Stierbändiger. 

An den Treppenaufgängen zur 1941 fertiggestellten Rodenkirchener Autobahnbrücke hängen noch heute drei der einst vier von ihm geschaffenen Reichsadler. Die Hakenkreuze, die die Vögel in ihren Krallen halten, wurden nach dem Krieg entfernt. Entnazifizierte Reichsadler hängen zu lassen, sei nach 1945 durchaus üblich gewesen, sagt Elke Purpus. Der Adler sei schließlich kein spezifisch nationalsozialistisches Symbol gewesen. Nicht nachvollziehbar sei jedoch, dass an der Brücke bis heute kein Hinweis zum Künstler und seinem Wirken zu finden sei.

Großer Reichsadler für den Flughafen Butzweilerhof

Dasselbe gelte für den großen Reichsadler, den Meller in den 1930er Jahren – ohne Hakenkreuz – für den Flughafen Butzweilerhof in Ossendorf geschaffen habe. Es müsse über diese Objekte eine Auseinandersetzung geben, fordert Purpus: „Wir können das nicht einfach so stehen lassen.“

Das hänge auch mit der Person Willy Mellers zusammen. „Wenn der Nationalsozialismus weiter existiert hätte, wäre er einer der bekanntesten Bildhauer geworden“, so Elke Purpus. Nach dem Zusammenbruch des Regimes habe sich Meller, der 1937 der NSDAP beitrat und dessen Kunstschaffen im Sinne der Nationalsozialisten 1939 mit einem Professorentitel belohnt wurde, allerdings nie von dieser Zeit distanziert.

Seine Einkünfte in der NS-Zeit spielte er in seinem Entnazifizierungsverfahren herunter und wurde dafür als „Mitläufer“ eingestuft, auf seinen Professorentitel legte er auch nach dem Krieg großen Wert. Von politischer Verstrickung zwischen 1933 und 1945 wollte er nichts wissen. Seine Arbeiten seien unmöglich von ihren ideologischen Aussagen zu trennen, sagt Purpus.

Erinnerung an NS-Opfer

Das gelte auch für die Skulpturengruppe „Die Opfer“ auf dem Rodenkirchener Friedhof an der Sürther Straße. Sie stammt aus den 1950er Jahren und beweist die Wandlungsfähigkeit Willy Mellers nach dem Untergang des Dritten Reichs. Liegende Figuren repräsentieren die Opfer der NS-Zeit, eine Mutter mit Kind etwa und einen Soldaten. Nicht gemeint habe Meller allerdings die Opfer, die heute allgemein mit dem Nationalsozialismus verbunden und in die Skulptur hineininterpretiert würden, sagt Elke Purpus. KZ-Opfer zum Beispiel. „Wir schauen auf dieses Denkmal mit unserem heutigen Blick“, sagt die Kunsthistorikerin. Daher sei auch hier dringend eine Einordnung in Form einer Informationstafel nötig. Dieter Maretzky, Vorsitzender Bürgervereinigung Rodenkirchen, will sich dafür einsetzen.

Willy Meller passte sich nach dem Krieg den Verhältnissen an und arbeitete weiter. „Er war gut im Geschäft, hat weiter Aufträge bekommen“, so Elke Purpus. An seine NS-Zeit wollte er aber nicht mehr erinnert werden. Wer das Relief des SA-Mannes am Bayenthaler Martin-Luther-Haus 1945 abgeschlagen hat, ist zwar nicht eindeutig überliefert. „Es gibt aber Vermutungen, dass Meller es selbst war“, sagt Pfarrer André Kielbik: „Um es ungeschehen zu machen.“

Weitere noch heute vorhandene NS-Symbole

An der Fassade des Mülheimer Kolpinghauses am Präses-Richter-Platz, das einst von der NSDAP beschlagnahmt wurde, hängt noch heute ein Reichsadler unbekannten Urhebers, dessen Hakenkreuz zwar nach dem Krieg weggemeißelt wurde, in Ansätzen aber noch zu erkennen ist.

Dasselbe gilt für die Hakenkreuze, die die Nazis in den 1930er Jahren zahlreich am Klinkergebäude an der Deutz-Kalker Straße 46 in Deutz anbrachten, wo sie ihr Organ „Westdeutscher Beobachter“ herausbrachten. Das einst von der SPD genutzte Druckhaus hatten sie beschlagnahmt. Die Parteisymbole in der Fassade des obersten Geschosses wurden nach dem Krieg zwar verfüllt, sind heute bei bestimmtem Sonnenstand aber noch zu sehen. (cht)

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