Schießerei am Kölner GroßmarktGericht weist Klage von Kaufmann Karim Panahi ab

Lesezeit 5 Minuten
Die Polizei untersucht den Sportwagen, auf den geschossen wurde.

Die Polizei untersucht den Sportwagen, auf den geschossen wurde.

Köln – Karim Panahi versucht mühsam, mit der linken Hand sein Teeglas zu heben. Auch nach mehreren Operationen kann er kaum Dinge greifen. Ein Relikt vom 19. Juni 2011, als Beamte eines Spezialkommandos (SEK) bei einer pannenreichen Festnahmeaktion auf dem Großmarkt 109 Schüsse auf ihn abgefeuert hatten. Insgesamt 19 Eingriffe weiß er hinter sich. Die halbe Nase hatten die Elite-Polizisten ihm weggeschossen. Die zerfurchte Wange, die durchsiebten Arme, der Nacken sind teils wieder hergestellt. Wären da nicht die Alpträume nachts und eben jene linke Hand, die nicht mehr zupacken kann. „Das wird wohl nie wieder etwas“, sagt der 57-jährige Geschäftsmann.

Das könnte Sie auch interessieren:

Er hat das Land Nordrhein-Westfalen auf Schadenersatz verklagt. 400 000 Euro für das erlittene Leid, die Schmerzen, den Verlust seines florierenden Lebensmittelhandels mit gut zehn Millionen Euro Umsatz im Jahr.

Alles zum Thema Bonner Straße (Köln)

Das Landgericht Köln hat gestern seine Klage abgewiesen. Die Schüsse auf Panahi waren gerechtfertigt, folgerte die Zivilkammer. „Nach Auswertung der Ermittlungsergebnisse im Strafverfahren sowie der durchgeführten Beweisaufnahme ist die Kammer davon überzeugt, dass der Kläger selbst einen Schuss aus seinem Fahrzeug abgegeben hat.“

Erneut stützen die Zivilrichter die Notwehrversion der SEK-Beamten. Die Einsatzkräfte hatten nach dem desolaten Einsatz behauptet, der Kaufmann sei seinerzeit in seinen Audi R8 eingestiegen, habe den Wagen angelassen. Als der Zugriff erfolgte, habe er gleich mehrfach auf die Beamten gefeuert, sei dann geflüchtet. Nach ein paar hundert Metern endete die Fahrt auf der Bonner Straße an einem Bordstein. Ein SEK-Beamter mit der Kennziffer 120 gab daraufhin nochmals einen Schuss auf den Schwerverletzten in seinem 320 PS starken Boliden ab. Angeblich will er eine Waffe in der Hand des Flüchtigen gesehen haben.

Notwehr-These zweifelhaft

Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ förderten jedoch ein ganz anderes Bild zutage. Auch tauchte ein Videofilm aus einer der Überwachungskameras auf dem Großmarktgelände auf, der die Notwehr-These stark in Zweifel zog. Die Zivilrichter folgten hingegen der Meinung ihrer Kollegen der Strafkammer. Tenor: Panahi ist selbst schuld.

Ein Blick zurück sorgt für Aufklärung: Im Frühsommer 2011 entzweite sich der Unternehmer mit seiner Frau. Panahi warf ihr vor, Firmengelder unterschlagen zu haben. Zuvor hatte er sich illegal Schusswaffen beschafft, weil seiner Frau bereits zwei Mal die Tageseinnahmen gestohlen worden waren. Ein weiterer Streitpunkt: Der Geschäftsmann begann, Kokain zu nehmen – und zwar täglich.

Im Juni schaltete seine Frau die Polizei ein. Panahi habe ihr im Streit um die Tochter mit dem Tode gedroht. Auch verfüge er über mehrere Schusswaffen, hieß es. Die Beamten reagierten mit einem Riesenaufgebot. Als der Händler in seinen Wagen stieg, erfolgte ein so genannter „Notzugriff“, der im Desaster endete. Panahi überlebte wie durch ein Wunder.

Nach seiner Festnahme wurde er unter anderem wegen versuchten Totschlags angeklagt. Niemand zweifelte die Aussage der SEK-Beamten an – weder die Mordkommission noch die Staatsanwaltschaft. Dabei widersprachen die Aussagen der Schützen dem Einsatzclip. So hatten die Spezialkräfte behauptet, der Angeklagte habe gleich mehrfach gefeuert. Nichts davon ist wahr, weil nur aus einer der beiden Waffen Panahis im Auto eine Kugel fehlte. Weder aber wurde das Projektil am Tatort gefunden, noch unterstützte das Einsatz-Video die Aussagen der Beamten.

Schuss um Sekundenbruchteil schneller

Eine neuerliche Untersuchung durch die Aachener Staatsanwaltschaft ergab zumindest, dass einer der SEK-Beamten als erster auf die Frontscheibe geschossen hatte – und zwar um einen Sekundenbruchteil schneller als Panahi selbst. Dennoch hielt die Justiz an der Notwehrvariante fest.

Panahi hingegen wurde erst nach gut fünf Jahren der Prozess gemacht. Der Geschäftsmann hatte stets beteuert, nicht auf dem Parkplatz am Kölner Großmarkt geschossen zu haben, sondern erst während seiner kurzen Flucht. Auch wurde seine Waffe auf der Bonner Straße gefunden. Diese Darstellung aber verfing im Prozess nicht.

In ihrem Urteilsspruch folgte die Strafkammer der Polizeilinie. Mit Blick auf den Angeklagten führte der Vorsitzende aus: „Nach dem Ergebnis der Verhandlung steht für das Gericht fest, dass Sie zuerst aus dem Auto heraus geschossen haben“ – obschon Gutachter sich gegenteilig geäußert hatten. „Divergenzen“ im Aussageverhalten der beteiligten Beamten tat der Vorsitzende Richter mit dem Hinweis ab, dass man sich nach so langer Zeit nicht mehr an alles erinnern könne.

Gericht folgt Aussagen der Polizisten

Seinerzeit wurde Panahi nur vom Totschlagsvorwurf freigesprochen, weil er nicht habe ahnen können, dass es sich bei den SEK-Beamten in Zivil um Polizeikräfte gehandelt habe. Trotz aller Widersprüche stand für die Strafrichter fest, wer als Erster gefeuert hatte: der Kaufmann Panahi.

Vor dem Hintergrund läuft nun auch die Schadensersatzklage des Unternehmers und Ingenieurs ins Leere. Panahis Anwalt Stefan Teveling zeigt sich wenig überrascht über das Urteil: „Die Zivilrichter haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, das Tatgeschehen aufzuklären, sondern sind trotz aller Widersprüche einfach nur dem Urteil der Strafkammer gefolgt.“

Dabei ergaben sich auch im Zivilprozess laut Verhandlungsprotokoll erhebliche Ungereimtheiten. Befragt zum letzten Showdown, nachdem der Flüchtige seinen Wagen gegen den Bordstein gesetzt hatte, schilderte SEK-Mann 120 folgende Geschichte: Nach dem Ende der Flucht habe Panahi etwas Dunkles wie eine Waffe in seiner erhobenen Hand gehabt, deshalb also der finale Schuss. Andere Polizisten will der Beamte 120 nicht wahrgenommen haben.

109 Schüsse abgefeuert

Der zweite Zeuge, ein Streifenbeamter, schildert hingegen, dass er zuerst am Wagen gewesen sei und seine Pistole in den Wagen gehalten habe. „Ich habe bei dem Insassen keine Waffe gesehen.“ Die Widersprüche kümmerten die Richter nicht: Allein der Umstand, dass Panahi „zum Gebrauch einer Schusswaffe bereit war“, habe die SEK-Beamten zur Abwehr der Gefahr für ihr eigenes Leben zum Schusswaffengebrauch berechtigt, um „den Kläger „angriffsunfähig zu machen“ – und sei es auch mit 109 Schüssen.

Karim Panahi will nun Rechtsmittel einlegen. „Ich bin Deutscher geworden, weil ich dachte, dass man in diesem Land sein Recht bekommt. Wenn nötig, gehe ich bis zum Europäischen Gerichtshof.“

KStA abonnieren