Schnellgericht in KölnVom Einkaufswagen als Waffe bis zum beklauten „Sugar Daddy“

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Symbolbild.

Köln – Häufig kommt es vor, dass sich Opfer von Straftaten im Zeugenstand nicht mehr an jedes Detail erinnern. Bis es zum Prozess kommt, vergehen Monate, manchmal sogar Jahre. Für Verteidiger bietet sich hier die Chance, Widersprüche zu früheren Aussagen aufzudecken und den Zeugen mitunter unglaubwürdig zu machen, um so ein mildes Urteil oder gar einen Freispruch für den Mandanten zu erreichen.

Beim sogenannten Schnellgericht jedoch sieht das anders aus. Beschuldigte sitzen im beschleunigten Verfahren schon wenige Tage nach der Tat auf der Anklagebank. Erinnerungslücken sind hier nicht zu erwarten, denn die Betroffenen stehen noch unter dem direkten Eindruck des Geschehens. So auch am Dienstag in Saal 18 des Kölner Amtsgerichts. Die Angeklagten, auf frischer Tat ertappt, wurden aus der JVA Köln ihrem Prozess zugeführt. Es gab Urteile im Akkord.

Ein Einkaufswagen als Waffe

Noch immer pochte dem Mitarbeiter des Supermarktes auf der Bonner Straße der linke Oberschenkel, als er im Zeugenstand von einem Kunden berichtete, der ihn am 29. Dezember zunächst angepöbelt und dann unvermittelt mit einem Einkaufswagen attackiert hatte, was die Staatsanwaltschaft als Angriff mit einem gefährlichen Werkzeug wertete. Ein Einkaufswagen als Waffe. „Ich hatte ein richtiges Ei am Bein“, sagte der Zeuge, der ein Attest vom Arzt dabei hatte, der den Bluterguss und die Schwellung dokumentiert hatte. „Das ist doch nicht normal!“, sagte das Opfer aufgeregt. Als Kaufmann im Einzelhandel müsse er einige abfällige Bemerkungen von Kunden ertragen. Aber dieses Ereignis habe eine besondere Qualität gehabt.

Völlig betrunken hatte der Angeklagte, ein arbeitsloser Maschinenschlosser, den Supermarkt betreten und sich in ein Gespräch zwischen Mitarbeiter und einer Kundin eingemischt. Die wollte einen speziellen Sekt, der aber nicht vorrätig war. „Der Regaleinräumer hat doch keine Ahnung“, schnauzte der 36-Jährige. Einer üblen Beleidigung auf Arabisch, die der Mitarbeiter verstand, sollte der Rauswurf aus dem Geschäft folgen. Statt sich zu fügen, nahm der Angreifer mit dem Einkaufswagen Schwung und traf „volle Kanne“, wie es der Zeuge beschrieb. Mit vier Mann habe man den Angreifer danach an einer Wand fixiert, zumal der noch gedroht habe, sie  „aufzuschlitzen“.

„Er möchte sich dafür entschuldigen“, sagte Verteidigerin Sandra Nathanielsz. „Das nehme ich nicht an“, sagte der Verletzte laut. Er atmete einmal tief durch, dann äußerte der 39-Jährige: „Es tut mir furchtbar leid, dass ich so aufgebracht bin, aber das war echt krass.“

So sehr sich der Zeuge bei seiner Aussage und dem Anblick des Täters echauffiert hatte, so versöhnlich gab er sich, nachdem Richterin Barbara Hünten diesen wegen gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und Beleidigung zu einer Geldstrafe von 500 Euro (100 Tagessätze zu je fünf Euro) verurteilt hatte. Im letzten Wort hatte der Täter, der auch Heroin konsumiert hatte, nochmals um Vergebung gebeten; im Zuschauerraum sitzend nahm der Verletzte die Entschuldigung doch noch an. „Du musst das in den Griff kriegen“, sagte er in Richtung des Angeklagten, der die rechte Hand auf die Brust legte und beteuerte: „Das war nicht ich, so bin ich nicht.“

Staatsanwältin Nicole Auerbach äußerte am Rande der Verhandlung, dass das beschleunigte Verfahren sich in diesem Fall einmal mehr bewährt habe. Nicht nur habe der Täter direkt einen Denkzettel bekommen. Auch habe das Opfer nun die Möglichkeit gehabt, schnell mit der Tat abzuschließen, statt lange auf einen Prozess zu warten. In dem Fall habe der Geschädigte dem Angeklagten sogar verzeihen können.

Ladendiebe auf frischer Tat ertappt

Das Schnellgericht kommt immer dann zur Anwendung, wenn ertappte Täter über keinen festen Wohnsitz in Deutschland verfügen und so die Gefahr groß ist, dass sie sich einer Strafverfolgung entziehen. Auch muss der Fall einfach gelagert und die Beweislage klar sein. Wie auch bei drei Ladendieben, die sich ebenfalls am Dienstag vor Gericht verantworten mussten. Der eine, ein 38-jähriger Fleischer aus dem marokkanischen Casablanca, hatte am 2. Januar bei einem Discounter in Bayenthal eine Umhängetasche mit Whiskey, Kaffee, Energydrink, Kosmetika und einem Messer im Warenwert von 194 Euro gefüllt und war bei dem Versuch gescheitert, seine Beute unbemerkt aus dem Geschäft zu schaffen. „Er hat ein Drogenproblem“, sagte Verteidiger Georg Katsilieris, dessen Internetpräsenz mit „Freispruch Köln“ überschrieben ist. Dazu sollte es vor dem Schnellgericht nicht reichen, zumindest verhängte Richterin Hünten mit 125 Euro (25 Tagessätze zu je fünf Euro) aber eine äußerst milde Geldstrafe. Immerhin sei kein Schaden entstanden, da die Tasche mit der Beute direkt an den Discounter zurückging.

Am selben Tag hatte ein ebenfalls heroinabhängiger 36-Jähriger, dessen Ehefrau hochschwanger in Rumänien auf ihn wartet, einen Karton mit 18 Dosen Red Bull in seinem Rucksack verschwinden lassen. „Es gibt Kioske, die kaufen sowas gerne an“, so Verteidigerin Susanne Cziongalla, die sich in diesem Fall auf einen Deal mit Richterin und Staatsanwältin einließ. Der Mandant kam mit einer Einstellung und ohne Strafe davon, musste dafür aber ein früheres Urteil von vier Monaten Haft akzeptieren, gegen das er in Berufung gegangen war; die Chancen, hier doch noch Bewährung zu bekommen, standen ohnehin denkbar schlecht. Nun kam der Mann aber zunächst mal wieder auf freien Fuß.

Das ist beim beschleunigten Verfahren die Regel, denn der aktuelle Haftbefehl gilt grundsätzlich nur der Sicherung der Hauptverhandlung. Mitleid hatten Richterin und Staatsanwältin mit einem gelernten Textilmaschinenführer, der seine Wohnung verloren hatte. Bei einem Discounter am Neumarkt wollte er eine Winterjacke entwenden. Ihm sei kalt gewesen und er habe extra das günstigste Modell gewählt, sagte der Angeklagte. Das Verfahren wurde ohne Auflagen eingestellt, die vier Tage im Gefängnis sollten in diesem Fall als Warnschuss ausreichen.

Polizisten beleidigt und attackiert

Nachdem er am 30. Dezember am St. Vinzenz-Hospital in Nippes randaliert hatte, beleidigte ein gelernter Tischler die hinzugerufenen Polizisten und leistete beim Abtransport zum Polizeipräsidium noch Widerstand. Die Beamten vollstreckten offene Haftbefehle, nachdem der 29-Jährige Geldstrafen in ähnlich gelagerte Fällen nicht bezahlt hatte. Der US-Amerikaner, der in Köln eine Freundin hat, sprach beim Prozess die „Black Lives Matter“-Debatte um Polizeigewalt an dunkelhäutigen Menschen in den USA an und äußerte, Polizisten nicht zu mögen. „Immerhin musste er den Jahreswechsel in Haft verbringen“, sagte Verteidigerin Madeleine Biberger und forderte eine milde Strafe. Die erhielt der Mann mit 250 Euro Geldstrafe dann auch.

Nicht aufklären konnte das Gericht den kuriosen Fall um einen vermeintlich beklauten 51-Jährigen, der sich bei der Polizei als „Sugar Daddy“ bezeichnet hatte. Der angeklagte 26 Jahre jüngere Liebhaber soll nach einer gemeinsamen Nacht 900 Euro Bargeld gestohlen und die Beute in der Unterhose versteckt haben. Richterin und Staatsanwältin fragten kritisch nach, ob das Geld nicht womöglich für „gewisse Dienste“ gezahlt worden sei, was der Anzeigenerstatter verneinte. Widersprüchlich erschien es auch, dass der Zeuge bereits zuvor bestohlen worden sein will, den Angeklagten aber dennoch wieder in seiner Wohnung in der Südstadt empfangen hatte. Das Verfahren wurde eingestellt.

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