Schüler fordern psychologische Hilfe„Kenne niemanden, der noch gerne zur Schule geht“

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Ein Großteil der Schülerinnen und Schüler fühlte sich durch die Corona-Pandemie beeinträchtigt. (Symbolbild)

Köln – Am Freitag starten in NRW die Sommerferien. Endlich. Dabei war dieses dritte von Corona betroffene Schuljahr sehr kurz – aber für alle Beteiligten auch sehr anstrengend. Emma Winkelmann vom Gymnasium Thusneldastraße in Köln Deutz, Mitglied der Bezirks-SchülerInnenvertretung Köln, zeichnet ein sehr tristes Bild von der Stimmungslage unter Schülern: „Ich kenne niemanden, der noch gern in die Schule geht. Niemand steht morgens auf und sagt: toll, ein neuer Tag in der Schule.“

Auf die Koalitionsverhandlungen von NRW-CDU und -Grünen in Düsseldorf blickt die 16-jährige Elftklässlerin mit gedämpfter Zuversicht: Die Hoffnung auf Änderungen am Schulsystem sei da. Bildung sei schließlich Ländersache, die kommende NRW-Regierung habe also alle Möglichkeiten. „Aber wir fürchten, dass sich wieder nicht viel tun wird“, sagt Winkelmann.

Schule Winkelmann

Emma Winkelmann ist Mitglied der Bezirks-Schülerinnenvertretung Köln.

Wen wundert’s? Das Düsseldorfer Schulministeriums hat sich in den letzten zehn Jahren nie beliebt gemacht. Sylvia Löhrmann von den Grünen (Schulministerin von 2012 bis 2017) und Noch-Schulministerin Yvonne Gebauer von der FDP (seit 2017) wird eine erhebliche Mitschuld an der jeweiligen Abwahl ihrer Parteien zugeschrieben.

Die wichtigste Forderung der Schülerschaft an die sich gerade sortierende neue Landesregierung formuliert Emma Winkelmann so: „Die psychosoziale Betreuung an den Schulen muss in den Vordergrund gerückt werden, auch zur Bewältigung der Pandemie, aber nicht nur.“ Der Prüfungs- und Leistungsdruck seien enorm und kaum erträglich. „Schule ist so negativ inzwischen, was so schade ist, denn Bildung könnte so anders sein.“

Druck durch Corona und Integration von Geflüchteten

Eva-Maria Zimmermann, Geschäftsführerin der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Köln, hat Verständnis für das Gefühl der Überforderung bei den Schülern: „Das System Schule ist auf Kante genäht“, sagt sie. Man habe so getan, als sei mit dem Ende der Masken- und Coronatestpflicht an den Schulen wieder Normalität eingekehrt. Die Prüfungen fanden statt wie vor Pandemiezeiten, in üblichem Umfang und üblicher Schwierigkeit. Doch der Unterricht in den letzten zweieinhalb Jahren sei ja weit entfernt gewesen vom Normalbetrieb. Nicht nur wegen der Pandemie, sondern auch wegen eines generellen Lehrermangels, fehlender Schulsozialarbeiter und eklatanter Mängel bei Digitalisierung und Ausstattung der Schulen.

Schule Zimmermann

Eva-Maria Zimmermann

Dazu komme aktuell die humanitäre Sonderaufgabe, zum Teil traumatisierte Kinder und Jugendliche aus der Ukraine zu integrieren. An den Schulen in NRW sind knapp 24.000 aufgenommen worden. Zimmermanns Fazit zum Ferienbeginn: „Die generelle Belastungssituation ist extrem zurzeit, nicht nur bei den Schülerinnen und Schülern, sondern auch bei den Lehrerinnen und Lehrern. Er herrscht überall ein extremer Druck.“

„Jede Schule müsste eine Schulpsychologin bekommen“

Die psychologische Beanspruchung von Kindern und Jugendlichen hat seit Pandemiebeginn deutlich zugenommen. Gut dokumentiert wird das in der bundesweiten COPSY-Studie, für die in drei Wellen mehr als 1000 elf- bis 17-jährige Kinder und Jugendliche sowie 1500 Eltern von Sieben- bis 17-Jährigen befragt wurden.

Nach der letzten Befragung im vergangenen Herbst fühlten sich noch 82 % der Kinder und Jugendlichen durch die Pandemie belastet. 35 Prozent fühlten sich in ihrer Lebensqualität eingeschränkt, doppelt so viele wie vor der Pandemie. Psychische Auffälligkeiten, Ängstlichkeits- und Depressivitätswerte sowie die Häufigkeit psychosomatischer Beschwerden waren in der dritten Befragungswelle leicht gesunken, lagen aber noch immer deutlich über den Werten von vor der Pandemie.

„Es müsste jede Schule eine Schulpsychologin oder einen Schulpsychologen bekommen“, sagt Schülersprecherin Emma Winkelmann. „Die Schule ist der Ort, an den alle gehen müssen, die Hürden, sich dort Hilfe zu holen, sind nicht so hoch wie anderswo.“ Lehrer-Gewerkschafterin Eva-Maria Zimmermann unterstützt diesen Wunsch: „Die Kinder brauchen Unterstützung, das können wir Lehrer nicht mehr alles auffangen.“

„Keine Überlastung“ bei Familienberatung

Andreas Hamerski leitet die Dienststelle Familienberatung und Schulpsychologischer Dienst der Stadt Köln. „Ja, wir erleben Kinder und Jugendliche, aber auch Familien momentan sehr belastet“, bestätigt er. Den Eindruck, dass es ausnahmslos allen Schülern schlecht gehe und alle kaum noch ihre Prüfungen schafften, will er aber nicht stehen lassen. Genauso wenig wie die Annahme, Kinder, Jugendliche und Familien würden alleingelassen mit ihren psychischen Nöten. „Es gibt ein großes Repertoire an Hilfemöglichkeiten“, betont Hamerski.

So gebe es in Köln 14 Familienberatungsstellen, bei denen online oder telefonisch ein Termin vereinbart werden könne, auch von Schülern. Wer älter ist als 14 Jahre, könne ohne seine Eltern um Hilfe bitten. Es werde dann zunächst ausgelotet, was ein guter gemeinsamer Weg sein könnte: Etwa ein virtuelles Treffen, ein gemeinsamer Spaziergang am Rhein, ein weiteres Telefonat. Im Normalfall werden bei Kindern unter 14 Jahren die Eltern einbezogen.

Zudem habe man mit der Jugendberatung Digital (JuDi) für Menschen unter 27 Jahren eine Möglichkeit geschaffen, per Chat oder Email Kontakt mit einem Psychologen aufzunehmen (www.onlineberatung.koeln). Jeden Dienstag von 14.30 bis 16.30 gebe es dort eine offene Sprechstunde. In dieser Zeit könne sich jeder ohne Termin zeitnah Hilfe holen. Anders als bei niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychologen, die aktuell restlos ausgebucht sind, verspüre man einen „gewissen Termin- und Anmeldedruck“, aber keine totale Überlastung, sagt Hamerski.

„Wer das Büro in der Schule hat, kann nicht neutral sein“

Die Probleme, mit denen Schülerinnen und Schüler sich aktuell an die Schulpsychologische Beratungsstelle wenden, unterscheiden sich nicht von jenen aus der Zeit vor der Pandemie: Das seien etwa Mobbing, Schulnoten, die bevorstehende Wiederholung einer Klasse, ein anstehender Schulwechsel, auffälliges Sozialverhalten. „Kein Jugendlicher und kein Elternteil ruft an und sagt: Ich glaube, ich habe eine Depression“, sagt Hamerski. Erst im Rahmen einer detaillierten Anamnese mit den Schülern und Eltern kämen manchmal tieferliegende Probleme zum Vorschein. Zugrundeliegende Ängste etwa oder andere psychische Probleme, eine belastende Familiendynamik oder durch die Pandemie oder den Krieg in der Ukraine erlebte Verunsicherungen und Sorgen.

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Helfen können die Psychologen, indem bei jüngeren Kindern in der Diagnostik unter anderem Seh- und Hörvermögen mit im Fokus stehen. Bei älteren Schülerinnen und Schülern werden auch eine mögliche Unter- oder Überforderung in den Blick genommen. Es können unter anderem Anregungen zur besseren Organisation von Schule und Freizeit gegeben werden, eine Hilfestellung zum Erlernen des Lernens, oder es wird im gemeinsamen Gespräch der Kontakt zu den Eltern oder der Schule stabilisiert. 

„Beim Schulpsychologischen Dienst haben wir 35 Mitarbeitende, damit sind wir gut aufgestellt, jede der rund 300 Schulen in Köln hat eine feste Ansprechperson“, so der Chef der Dienststelle. Davon, an jeder Schule einen Psychologen fest zu installieren, hält er nichts. Schulsozialarbeiter seien ein gutes und wichtiges Bindeglied, aber die psychologische Beratung müsse seiner Ansicht nach fachlich unabhängig sein und bleiben. „Wer das Büro in der Schule hat, wird vom System vereinnahmt und kann nicht mehr neutral und unabhängig sein“, sagt Hamerski. Zudem sei keinerlei Anonymität mehr gewahrt, wenn ein Schüler den Raum betritt, von dem jeder weiß, dass dort der Psychologe sitzt.

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