Schüler kriegen hier richtig was gebacken

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Schulministerin Yvonne Gebauer ist gespannt, was Sheyenne da aus dem Ofen zaubert.

Schulministerin Yvonne Gebauer ist gespannt, was Sheyenne da aus dem Ofen zaubert.

Ehrenfeld – Lisa baut schon an ihrem zweiten Turm aus Kapla-Holzbausteinen. Neben ihr steht ein übermannshohes Werk, für das sie zusammengenommen nur zwei Schulstunden gebraucht hat. „Lisa ist ein Mädchen mit einem enormen Gefühl für Statik“, sagt Michael Boes-Schulte, stellvertretender Schulleiter der Förderschule für Emotionale und Soziale Entwicklung Lindweiler Hof. Wenige Schritte entfernt sind drei Uno-Spieler in ihr Blatt vertieft. Den zwei jungen Herren im Alter von elf und dreizehn Jahren hat sich eine etwas reifere Spielerin zugesellt. Auf ihren Erwachsenenstatus kann sich Schulministerin Yvonne Gebauer allerdings nicht ausruhen – unter Kartenspielern sind eben alle gleich.

Durch ihren Besuch will Yvonne Gebauer den Blick auf die Arbeit der Förderschulen öffnen und zeigen, wie die speziellen Förderangebote in der Praxis aussehen. Für die Kinder der Förderschule Lindweiler Hof ist die Schulministerin keine Unbekannte. Vor Ostern war sie bereits einer Einladung gefolgt und hat einen bleibenden Eindruck bei Erst- bis Zehntklässlern hinterlassen. Wenn sie jetzt mit Alessandro und Moritz Karten spielend zusammensitzt, ist eine gewisse Vertrautheit zu spüren. Das mag auch an der besonderen Atmosphäre des Raumes liegen, in dem gespielt, gegessen und geredet wird. „Die Brücke“ bietet den Kindern in emotionalen Ausnahmesituationen die Möglichkeit „herunterzukommen“, sich aus schwierigen Konfliktsituationen zu entfernen, ihre Aggressionen durch das anders strukturierte Umfeld fast auf der Stelle zu überwinden. Wenn sie sich gefangen haben und innerlich zur Ruhe gekommen sind, gehen sie zurück in ihre Klasse. Während ihrer Abwesenheit läuft der Unterricht ungehindert weiter. Der Bildungsauftrag, um den es ja letztendlich in der Schule gehe, könne auf diese Weise erfüllt werden, erläutert Schulleiter Ingo Beemelmanns.

Die Situation in der „Brücke“ steht beispielhaft für den Praxisalltag und gewährt konkrete Einblicke in die Arbeit an den Förderschulen für den Schwerpunkt Emotionale und Soziale Entwicklung. „Manche möchten sich ausruhen, andere wollen ihr Herz ausschütten und suchen den intensiven Kontakt“, weiß Projektleiterin Martina Plaggenborg. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Ulrike Kreitz hat sie das „Brücken“-Konzept für ihre Schule umgesetzt. Wie viele Förderschulen in der Region Köln profitiert auch der Lindweiler Hof von dem richtungsweisenden Ansatz. Der sanktionsfreie und sichere Ort, an dem die Kinder keine Konsequenzen fürchten müssen, greift dort, wo bestrafende Maßnahmen bisher versagt haben. Durch speziell in der Traumapädagogik geschulte Lehrkräfte bringt die „Brücke“ als Teil eines intensivpädagogischen Moduls merkbar positive Resultate.

Von ebenso großer Bedeutung für die Entwicklung der Kinder und ergänzender Teil des Moduls ist der handwerkliche Bereich. Hinter dem umsichtig gewählten Begriff „Hand-Wert“ verbergen sich verschiedene „lebenspraktische“ Lernangebote wie der Schulgarten, Holzarbeiten, der Bau eines Bienenhotels oder eines Igelhäuschens und der „Brotbackofen“. Stephan Weber, der eigentlich Tischler ist und „Hand-Wert“ leitet, hat den selbst gebauten Ofen von seiner vorigen Arbeitsstelle mitgebracht und damit auch jede Menge Möglichkeiten für die Herstellung gebackener Leckereien. Vom Einkauf der Zutaten bis zum Genuss der selbstgebackenen Waren sind die Schüler für den Gesamtprozess verantwortlich. Einen Arbeitstag so realistisch wie möglich zu erleben, ist das eigentliche Ziel des Brotbacktages. Wenn sich einmal wöchentlich der Duft von Brot und Pizza über das Schulgelände legt, lockt das außer den Schülern auch die Nachbarschaft – es gibt schon „Bestellungen“ für das Eigenprodukt.

Mit geübten Handgriffen schiebt Zehntklässlerin Sheyenne das Pizzablech in den Ofen, sie ist seit Monaten mit Temperaturen um die 500 Grad vertraut. Ohne Scheu spricht sie über sich und ihre „beste Schule“, in der sie gelernt hat, mit ihrer Wut umzugehen. „Nur wenn ich eine schlechte Note bekomme, werfe ich schon mal einen Stift oder ein Mäppchen.“ Sonst habe sie sich aber gut im Griff. Ihren Hauptschulabschluss hat sie in der Tasche, bald geht sie für ein freiwilliges soziales Jahr zum DRK, um Kindern mit ähnlichen Problemen zu helfen. Danach will sie eine Lehre zur Einzelhandelskauffrau beginnen.

„Zu uns kommen Kinder, die in den Regelschulen nicht mehr zurechtkommen“, erklärt Ingo Beemelmanns. Häufig weisen sie klinische Auffälligkeiten wie schwerwiegende Verläufe von ADHS oder Autismus auf, leiden an Traumata, mangelnder Impulskontrolle oder Wahrnehmungsstörungen. In kleinen Klassen mit bis zu zehn Schülern und einem multiprofessionellen Team werden sie optimal betreut und können nach einiger Zeit oft zurück an eine Regelschule. In der Diskussion um die Berechtigung von Förderschulen bezieht Schulministerin Yvonne Gebauer eine klare Position: „Für mich stellt sich immer die Frage:Was ist das beste Lernangebot, wer ist das beste Lernangebot?“ Für Kinder, die aufgrund ihrer Besonderheit besonderer Förderung bedürfen, sei die Regelschule im Zweifelsfall nicht der richtige Förderort. Ein flächendeckendes Angebot an Förderschulen wolle sie auf jeden Fall sichern und aufrechterhalten.

Ingo Beemelmanns, Schulleiter

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