Schul-Blogger Bob Blume im Interview„Schlechte Lehrer haben es einfach zu leicht“

Lesezeit 9 Minuten
Bob Blume

Schul-Blogger Bob Blume     

  • Der Lehrer Bob Blume ist Blogger des Jahres, Bildungsinfluencer und Autor des Bestsellers "10 Dinge, die ich an der Schule hasse und wie wir sie ändern können"
  • Er erklärt, warum das Bildungssystem vor die Wand fährt, wenn immer mehr Anspruch an Schule auf immer weniger Unterstützung trifft
  • Dass der Fetisch um Lernstoff und Noten wirkliches Lernen verhindert
  • Warum die Verbeamtung von Lehrern überdacht werden sollte

Sie sind frisch gekürter Blogger des Jahres und haben gerade das Buch „10 Dinge, die ich an der Schule hasse und wie wir sie ändern können“ veröffentlicht. Das klingt nach sehr viel Frust für einen, der sich den Lehrerjob ja schließlich ausgesucht hat. Was macht Sie so wütend? Ich mache den Beruf super gerne. Es gibt keinen Job, wo man die Auswirkung seines Handelns so unglaublich gut sehen kann wie als Lehrer. Die Wut kommt daher, dass es diese riesige Diskrepanz gibt zwischen dem Anspruch an Schule und dem, wie sie dabei unterstützt wird – nämlich gar nicht. Wir sollen die jungen Menschen auf die Berufswelt vorbereiten, Persönlichkeiten aus ihnen machen, kompetenzorientiert unterrichten, digital und integrativ sein. Aber das hat keine Konsequenzen, was den Stoff angeht. Da kommt immer mehr dazu, aber es wird nichts weggenommen. So fahren wir das ganze System vor die Wand.

Diese Forderung unterstützen eigentlich alle renommierten Bildungsforscher. Warum setzt die Bildungspolitik das nicht endlich um?

Es gibt im Bildungssystem unheimlich starke Beharrungskräfte. Das Grundproblem ist der Fetisch um den Stoff. Und zwar auch auf der Ebene der Eltern, die das ja selbst so gelernt haben. Sobald man im Buch vorwärtskommt, ist das Lernfortschritt. Die Festlegungen des Bildungsplan sind krass: Ich kann dann wie gefordert in der achten Klasse von der Französischen Revolution bis zur Weimarer Republik kommen. Aber dann kann ich nicht vertieft oder kompetenzorientiert unterrichten. Eins von beiden geht nicht. Aber ich soll trotzdem beides machen.

In NRW waren jetzt Landtagswahlen. Was sollte die neue Schulministerin oder Schulminister als Erstes tun?

Er oder sie müssen mindestens 25 Prozent des Stoffs rausschmeißen. Dann haben wir immer noch 100 Prozent Auslastung. Aber mit diesem Viertel Luft könnten wir dann fragen, wie wir die Dinge angehen, die in allen Leitplänen für Bildung stehen, die aber an den Schulen gar nicht stattfinden können: so was wie Bildung für nachhaltige Entwicklung oder Demokratieerziehung. Für Demokratie ist schlichtweg keine Zeit. Das muss man sich mal vorstellen. 

Sie sind ein vehementer Kritiker von Ziffern-Noten und klassischen Prüfungen. Aber lernen Kinder nicht nur dann, wenn sie wissen, dass sie das in einer Prüfung abrufen müssen?

Prüfung und Noten sind neben dem Fetisch um den Stoff bei uns das Wichtigste. Dabei trainieren Prüfungssituationen Lernen ab, weil es nur darum geht, was muss ich genau wissen, um darauf einen erfundenen Austauschwert in Form einer Ziffer zu bekommen. Die Kombination von Leistung und Ziffern konditioniert die Kinder wie Hunde. Ich würde Noten ersetzen durch die Kategorien „bestanden, nicht bestanden und mit Auszeichnung bestanden“. Aber vorab gibt es Feedback. Das ist für das Lernen sehr wertvoll. Oberstufenschüler, die bei mir Abi in Deutsch machen, geben mir immer wieder ihre Arbeiten. Ich gebe dazu Feedback und sie versuchen, etwas besser zu machen. Das ist unheimlich viel Arbeit und es ist systemisch völlig egal. Die Frage ist aber doch, was der Nutzwert am Ende sein soll - außer einfach eine Punktzahl zu vergeben. Auch bei Nichtbestehen muss ich die Möglichkeit bekommen, in einem zweiten Anlauf zu bestehen. Im Moment hat jemand, der eine Fünf in Mathe schreib, keine Chance hat, das aufzuholen. Dem sagt man dann, hol das mal Zuhause nach, während man im Gleichschritt für alle das nächste Thema startet, das darauf aufbaut. So kommt der nie von dem Mangelhaft weg.

Das könnte Sie auch interessieren:

Was steht denn noch auf der Top-Ten der Phänomene, die Sie an Schule hassen?

Die Bürokratie. Klar müssen Verfahrensweisen ordentlich geprüft werden. Aber das, was überlegt wird, wird nicht mit der Praxis und mit der Einschätzung des Bodenpersonals abgeglichen. Da tritt etwa 2019 ein Digitalpakt in Kraft und man wundert sich 2022, dass die Schulen immer noch nur 1,5 von 7 Milliarden Euro Förderung abgerufen haben. Aber: Voraussetzung für die Förderung ist ein Mediennutzungsplan. Für den habe selbst ich, der seit zehn Jahren mit digitalen Medien arbeite, ein Jahr gebraucht. Einfach mal die Ideen mit dem abgleichen, was vor Ort möglich ist!

CDU und Grüne in NRW wollen nun 10.000 neue Lehrerinnen und Lehrer einstellen. Fragt sich, wo die herkommen sollen, wenn die Arbeit im System immer unattraktiver wird…

Wenn nichts Einschneidendes passiert, geht der Schuss gerade nach hinten los. Immer mehr Lehrkräfte kehren den Schulen den Rücken oder fallen mit Burnout oder Krankheit aus. Die systemischen Bedingungen sind so, dass man enormen Idealismus braucht, um aufzufangen, was man leisten soll. Viele gehen auch in die innere Immigration. Ich befürchte, dass die Lehrerzahlen sinken statt steigen. Wenn man den Auftrag ernst nimmt und dann noch intensiv Schulveränderung umsetzen will, ist das seriös mit einer Vollzeitstelle nicht zu schaffen. Und dann stellt sich so einer wie Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg hin und sagt, das Personalproblem würde gelöst, wenn alle Lehrer ne Stunde mehr arbeiten würden, statt Teilzeit zu machen. Der verkennt völlig, dass es Gründe dafür gibt, warum immer mehr Lehrkräfte in Teilzeit gehen. Weil es sonst nicht zu schaffen ist.

Dabei gehen Sie in Ihrem Buch mit ihrer Zunft durchaus kritisch ins Gericht und konstatieren, dass es eben nicht immer die wirklich Geeigneten sind, die diesen anspruchsvollen Job machen. In Zeiten des Mangels steht ja zu befürchten, dass sich dieses Problem verschärft.

Die zentrale Frage ist, wie kriegen wir die Richtigen an den Start für diesen Beruf. Wir brauchen Leute, die Leidenschaft mitbringen, die ein Gefühl haben für die Zeit, in der wir gerade leben. Weniger die Leute, die einen sicheren Job suchen und Lehrer werden, weil das damals bei ihnen in der Schule ja auch immer gut gepasst hat. Die kommen dann rein, machen die Tür zu, machen ihr Ding und stiefeln wieder raus. Gerade weil der Anspruch an den Job in einer Welt im Umbruch immer anspruchsvoller wird, müsste man da in der Ausbildung mehr drauf achten.

Zumal es ja im System keinerlei Qualitätskontrolle gibt. Wenn ein Lehrer oder eine Lehrerin einmal die Hölle des Referendariats durchschritten ist und im System drin ist, ist es völlig irrelevant, ob er sich ein Bein ausreißt oder sich einen schlanken Fuß macht und jedes Jahr dasselbe Programm abspult.

Das ist auch ein Punkt, den ich an Schule kritisiere: Schlechte Lehrer haben es einfach zu leicht. Als verbeamteter Lehrer kann mir keiner was und ich muss schon Drogen auf dem Schulhof verkaufen, um gegangen zu werden. Das ist wirklich ein Problem.

Das könnte man theoretisch ändern, indem Lehrer nicht mehr verbeamtet werden. Mit der Verbeamtung fehlt den Schulleitungen jede Sanktionsmöglichkeit. In keinem anderen System können Sie quasi konsequenzlos arbeiten wie sie wollen.

Es wäre schon viel gewonnen, wenn Schulleitungen mehr Möglichkeiten hätten, die zu unterstützen, die sich engagieren – etwa mit zusätzlichen Stunden. Das Problem ist nämlich, dass es sich nicht lohnt, mehr zu investieren: Die, die immer mehr drauf gesattelt kriegen, fühlen sich ausgenutzt, während andere einfach keinen Bock haben.

Aus der Nummer kommen Sie jetzt so schnell nicht raus: Wie sieht es denn nun aus mit der Verbeamtung. Sollte man die nicht zumindest überdenken?

Es stimmt: angesichts der fehlenden Sanktionsmöglichkeiten stehe ich ohne Argumente da. Natürlich gibt es aus meiner Sicht Argumente für die Verbeamtung. Aber mittlerweile bin ich – auch durch das digitale Feedback so vieler anderer, denen es so geht wie mir, an dem Punkt zu sagen: Es kann nicht sein, dass einem innerhalb eines Systems die Hände gebunden sind, wenn jemand sich dafür entscheidet, nur noch das zu tun, was nötig ist oder sogar weniger. Also: Auch wenn ich einen Shitstorm dafür ernte, würde ich zugestehen, dass man das Beamtentum überdenken sollte.

Auch ohne diesen fundamentalen Schritt, den politisch eh keiner umsetzt, könnte man ja so was wie verpflichtendes Feedback einführen. Lehrkräfte sind totale Einzelkämpfer und nach dem Referendariat machen sie die Tür im Klassenzimmer zu und es gibt keinerlei Rückmeldung mehr.

Einmal im Halbjahr ein Feedback der Schüler – da wäre ich dabei. Außerdem hat die große internationale Hattie-Studie ja bestätigt, dass das kollegiale Feedback eines der wirkmächtigsten Instrumente ist zur Verbesserung des Unterrichts ist. Aber freiwillig machen das dann ja nur die, die es am wenigsten brauchen…. Deshalb sollte das Kultusministerium halbjährliche gegenseitige Kollegenhospitationen zur Pflicht machen. Das würde dann vielleicht auch die motivieren, der sonst nur Dienst nach Vorschrift machen.

Jetzt neu!

„Stadt mit K – News für Köln“, der tägliche Podcast des Kölner Stadt-Anzeiger. Hier folgen und reinhören:

Spotify

Apple Podcasts

Google Podcasts

ksta.de

Sie fordern außerdem, dass sich alle Lehrerinnen und Lehrer mit sozialen Netzwerken und damit mit der Welt der Jugendlichen beschäftigen sollten. Warum?

Um zu verstehen, was junge Menschen umtreibt, ist es zentral, zu verstehen, wie es ihnen geht und was ihnen wichtig ist. Dafür muss nicht jeder einen eigenen Twitter-Account haben. Es ist außerdem auch wichtig, um zu erfassen, worüber und wie sich junge Menschen informieren und wie unfassbar kraftvoll Algorithmen sind. Wenn ein Fünftklässler TikTok installiert und das falsche Video lange guckt, kann passieren, dass eine Stunde später der Algorithmus nur noch diese Inhalte zur Verfügung stellt, weil er die Bildschirmzeit ermittelt. Ich behaupte, wenn man Social Media aktiv oder passiv nutzt, versteht man das besser. Ich lerne ja auch nicht, wie ich in der Großstadt lebe, wenn ich mir nur Bilder von Großstädten angucke.

Inzwischen informieren sich die allermeisten Jugendlichen ausschließlich über Instagram – auch politisch. Nachrichten werden nur noch gefiltert danach, was denjenigen interessiert. Laut einer Studie kann mehr als die Hälfte von ihnen nicht mehr zwischen Meinung und Sachinformation unterscheiden. Da kann einem durchaus angst und bange werden, oder?

Diese Tatsachen belegen, dass wir mit Hochdruck dafür Raum schaffen müssten, weil es hier um die Zukunft der Demokratie geht. Wer sich nicht sicher ist, ob Medienkompetenz gelehrt werden sollte, muss nur in die Kommentarspalten diverser Social Media Accounts gucken. Aber der Stoff muss ja durch und die nächste Klassenarbeit steht an…. Medienkompetenz muss Dauerthema werden – nicht als einzelnes Fach, sondern als integraler Bestandteil aller Fächer. Der Witz ist, dass eigentlich genau das in den so genannten Leitperspektiven der Bildungspläne drinsteht. Aber es wird verdrängt durch die zahlreichen Inhalte.

KStA abonnieren