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Schwarz, deutsch, kölschZwei Kölner schildern den täglichen Rassismus

Lesezeit 10 Minuten
Joanna K. Köln

Joanna K. ist ausgebildete Physiotherapeutin und lebt in Köln-Ehrenfeld.

Köln – Da, wo wir uns treffen, läuft Musik von Eros Ramazzotti, die Besitzer sind Türken der dritten Generation – und mein Gesprächspartner ist schwarz. Das „Häppchen“ am Bahnhof Köln-Süd liegt nicht in Manhattan, wirklich nicht. Es ist ein ganz normales Bistro mitten in Köln.

Assad N. bestellt einen Kaffee für einen Euro fünfzig. Man kennt sich. „Angenehmer Laden“, sagt der 32-Jährige. „Ich war einer der ersten Gäste. Das verbindet“. Seit über zwanzig Jahren lebt Assad (ich darf ihn fortan in im Text so nennen) in Köln. Vorher in Bonn. Geboren ist er in Kairo, weil sein Vater dort an der liberianischen Botschaft arbeitete. Der Vater stammt daher. Die Mutter aus dem Nachbarland Sierra Leone. Und Assad? „Ich lebe in Köln, ich arbeite in Köln, ich mag Köln, aber meine Sehnsuchtsorte sind Liberia oder Sierra Leone“. Da sei die Heimat. Die Heimat seiner Gefühle. Gefühle von Zugehörigkeit, von Wohlbefinden.

Wie soll man das erklären? Assad schiebt die Kaffeetasse gedankenverloren hin und her. Ja, wie soll er das erklären? Denn auch in Sierra Leone, räumt er ein, gehöre er nicht wirklich dazu. „Ich bin dort ein Ausländer, ich bin Beute, werde nicht selten angepumpt, weil man mich für reich hält.“ Und trotzdem sei das Gefühl gegenüber dem Land größer. In Deutschland zu leben, ziehe er aber vor. Er liebe den „Komfort der Strukturen“ hier. Es sind seine Strukturen. Kein Land in Europa habe einen so guten gesetzlichen Rahmen, wie ihn ein global agierendes Land brauche. Nur sei dieser Rahmen nicht ausreichend mit Leben gefüllt, findet er. Es fehle an gegenseitigem Respekt. „Die Menschen in Deutschland sind auf die Vielfalt einfach nicht vorbereitet.“

Viele Nuancen im Rassismus

Wer dunkelhäutig ist, mag das am deutlichsten spüren. Denn dunkelhäutig zu sein, ist immer noch etwas Besonderes in Deutschland. Dabei gab es vor mehr als hundert Jahren schon die Verbindung in die Kolonien und nach 1945 die Ehen mit schwarzen Besatzungssoldaten, es gab deren Kinder. Assads Blick verrät, dass er zwangsläufig viel darüber nachgedacht hat.

„Jeder ist Rassist auf seine Weise“, sagt er und holt bewusst aus. Deshalb reagiere jeder auf Fremdes. Das sei in Liberia nicht anders als in Deutschland oder auch damals in seiner frühen Kindheit in Ägypten. Die, die anders sind, erkennt man am Aussehen, an der Sprache, an ihrer Statur. Und an ihrer Farbe. „Manche Afrikaner fühlen sich besser, wenn sie heller sind“. Auch das sei eine klare Form von Rassismus.

Assad sieht Alltagsrassismus auch in Deutschland als normal an. Zwischen bewusster und ungewollter Zurückweisung, aber auch schlicht ungehobeltem, überheblichem und beleidigendem Verhalten gebe es viele Nuancen. „Ich habe gelernt, zu unterscheiden und je nach dem reagiere ich.“

Nadelstiche des Alltags

Wenn Assad Beispiele schildert, sind sie nur manchmal zum Lachen, die meisten machen wütend. Grobe Angriffe sind es nicht. Eher Nadelstiche des Alltags, die ihm immer wieder das Gefühl vermitteln, weniger geschätzt zu sein, mit Klischees belegt und als Sonderfall angesehen zu werden. Bis hin zu dem Eindruck, dass man so Leute wie ihn potenziell für ein Risiko hält. Setzt er sich in der Bahn neben eine Frau, nimmt sie fast immer ihre Handtasche auf die andere Seite. Vielleicht macht sie es bei anderen auch. Aber trotzdem. Er ignoriert es. Es passiert fast jeden Tag. In der Bäckerei wird er grundsätzlich geduzt. Auch wenn ihm ein Brillenverkäufer erklärt, diese oder jene Brille sei nur für „normale Nasen“, höre er über die Bemerkung hinweg. Aber als ihm am 11. im 11. zwei Leute hinterher riefen, „mach doch mal Platz für den Neger. Der will sich hinsetzen“, ärgerte er sich dann doch über den Mangel an Zivilcourage der anderen Fahrgäste. „Aber eigentlich habe ich mir diese Erwartung längst abgeschminkt.“

Auf die Polizei, das klingt durch, will er sich im Streitfall lieber nicht verlassen. Als Junge in Bonn hat er einmal ganz selbstbewusst und aufgebracht die Äußerung eines Busfahrers anzeigen wollen, der die drei dunkelhäutigen Jugendlichen „Nigger“ genannt hatte. Das Ende vom Lied: Sie mussten den Bus verlassen, zu Fuß nach Hause gehen und der aufnehmende Polizist stellte lapidar fest: „Schon unseren Kindern wird in der Schule beigebracht, dass ihr Nigger seid.“ Assad will trotzdem niemanden das Recht auf seine Meinung absprechen, sei sie noch so skurril oder beleidigend. „Solange er mir nicht auf die Füße tritt.“ Was allerdings der Polizist gesagt hatte, das traf. Assad räumt die Tasse zur Seite, so als wolle er den Blick durch nichts verstellt sehen. „Ich spreche besser Deutsch, als mancher Deutsche, meine kulturelle Kompetenz ist größer“. Wie er sich als Dunkelhäutiger in Deutschland fühle, will er sich deshalb nicht durch andere bestimmen lassen.

Grundvorsicht bleibt

Der 32-Jährige hat viel studiert. Manches ausprobiert. Er leitet Musik-Workshops. Auch in Sierra Leone. Er komponiert, textet. Seine Geschwister sind über ganz Europa verstreut. „Meine Schwestern sind die eigentlichen Schmuckstücke der Familie“, sagt er lachend und stolz. Beide bekleiden hohe Manager-Jobs. Assad dagegen ist gerne Sozialarbeiter. Wo könnte er anderswo seine Erfahrungen und Erkenntnisse aus so vielen Begegnungen und Ländern, die er besuchte, seine vielen Sprachen nutzbringender einsetzen? fragt er.

Das „Häppchen“ hat sich mittlerweile mit Pendlern auf dem Nachhauseweg gefüllt, mit Leuten, die sich verabredet haben für die gemeinsame Heimfahrt oder auf ein Taxi warten. Die Musik ist jetzt jünger, das Publikum hat „Migrationshintergrund“. Ja, solche Treffpunkte sind ihm lieber, gesteht er. Die Grundvorsicht bleibt. „Ich gehe jeden Tag mit dem Gedanken aus dem Haus, jemand könnte etwas gegen mich haben. Unbewusst.“

Joanna K. (31): „Rassismus ist wie Unkraut. Man findet es in jedem Garten“

„An mir ist schon so mancher Friseur verzweifelt“. Joanna K. lacht und ihre Augen blitzen spöttisch, wenn sie sich die Szene in dem Salon ins Gedächtnis ruft. „Ich sehe immer noch die Schweißperlen auf seiner Stirn“, sagt sie. „Nä Mädchen, dat kann ich nich“, habe er schließlich unwillig eingeräumt. Mit afrikanischen Locken fertig zu werden, erfordere eben besondere Kenntnisse. Sie seien grundsätzlich doppelt so lang, wie sie aussähen. Das war in Ehrenfeld. Und Ehrenfeld ist ihre Heimat.

Joanna K. ist 31 Jahre alt und ein echt kölsches Mädchen. „Mehr Kölner kann man gar nicht sein.“ In der Schule musste sie sich den Dialekt erst einmal abgewöhnen. Und trotzdem macht man ihr das Kölsch- und Deutschsein ständig streitig. Und das nur, weil sie schwarze Haut hat. „Man fühlt sich selber nicht fremd, wird aber als fremd wahrgenommen“, sagt die ausgebildete Physiotherapeutin. „Das ist schmerzlich, ärgerlich. Das macht traurig.“ Neunmal am Tag von Patienten gefragt zu werden, „woher kommen Sie eigentlich?“ – das nerve. Wenn sie sage, aus Köln, hakten viele noch einmal nach. „Na, ich meine, wo Sie eigentlich herkommen“. Über eine gelassene Reaktion entscheidet immer Joannas Tagesform.

Ja, sie sehe hinter den Fragen oft auch echtes Interesse, unbeholfen vielleicht oder unbeabsichtigt unhöflich. „Manche waren in Kenia auf Safari und wollen gerne darüber reden. Ich bin dann sozusagen der Auslöser.“ Dann kommen so Bemerkungen, wie: „Sie kriegen ja Gott sei Dank nie einen Sonnenbrand“. Das nimmt sie dann mit Humor. Die dagegen, die es böse meinen, mache sie direkt aus. „Rassismus ist wie Unkraut. Man findet es in jedem Garten“, sagt Joanna. Egal aus welcher Gesellschaftsschicht die Leute kämen. Und ja, eine bestimmte Rhetorik sei wieder salonfähiger geworden.

Mutter aus Neuss, Vater aus Ghana

„Schwarzsein ist deshalb die Herausforderung meines Lebens.“ Aber sie allein entscheide, dass sie deutsch sei. Niemand sonst. Wenn Joanna über die Gründe nachdenkt, die ihre braune Haut für andere Leute zum Thema macht, kommt sie unweigerlich auf das Image von Schwarzafrika zu sprechen. Auf die Geschichten von Rückständigkeit, kolonialer Ausbeutung, auf schlechte Regierungsführung, Not und Korruption und auch auf die Flüchtlinge von dort. Nur was hat sie mit Afrika zu tun?

Braun sein, ist offenbar nur schick für Weiße. Sie legen sich bekanntlich in die Sonne, um nachzuhelfen. Aber deshalb sind sie immer noch Weiße, dokumentieren damit, dass sie sich einen Urlaub gönnen konnten und sind damit als privilegiert einzustufen. Ein bisschen braun, nicht schwarz. Das ist die eigentliche Wertekette.

Joanna sagt, wie Assad, dass das unter Afrikanern nicht anders ist. Je heller, desto attraktiver.

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Joannas Mutter ist eine Weiße aus Neuss, ihr Vater kam aus Ghana zum Studium nach Deutschland. Aufgewachsen ist sie die ersten Jahre bis zum Schulbeginn in Neuss bei der Oma. Die Großeltern gingen sehr offen und tolerant mit der Partnerwahl ihrer Tochter um und dem geliebten Enkelkind. Bei dem Opa hatte das besondere Gründe. Im Zweiten Weltkrieg war er als junger Kerl mit seinem Jagdflieger abgeschossen worden und mit dem Fallschirm im Wald gelandet. Ein schwarzer GI fand den Verletzten, brachte ihn ins Lazarett und rettete ihm so das Leben. Wie einen eigenen Sohn habe ihr Opa den dunkelhäutigen Schwiegersohn aufgenommen.

Es ist 31 Jahre her – ihre Mutter war zu der Zeit gerade mit ihr schwanger – als Arbeitskollegen dem Großvater eine nackte, schwarze Barbie mit weißem Kopf ins Auto legten und das offenbar witzig fanden. Der Opa fand es nicht witzig.

Vom Spielen ausgeschlossen

Erste Zurückweisungen erlebte Joanna im Kindergarten. Da plötzlich wurde ihr erst klar, dass mit ihr offenbar etwas anders war. Die Kinder schlossen sie beim Spielen aus. Oft saß sie alleine am Tisch. Ein vierjähriges Mädchen. Ende der 90er Jahre. Joanna wollte da bald nicht mehr hin.

Sie selber hat die Kita für den eigenen Sohn deshalb genau ausgewählt. „Bevor ich ihn anmeldete, habe ich einige Runden mit dem Kinderwagen um das Haus gedreht, um zu schauen, wer da rein und rausgeht, wie bunt gemischt die Elternschar ist.“

Zur Sache

Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Bund e.V. (ISD) hat sich zur Aufgabe gemacht, die Interessen schwarzer Menschen in Deutschland zu vertreten. Ziel ist es, eine positive Identitätsfindung und ein schwarzes Bewusstsein zu fördern. (awi)

Es ist nicht nur dieser Imagefilm, der in den Köpfen vieler abläuft, die mit schwarzen Menschen in diesem doch so vermeintlich weißen Deutschland konfrontiert sind. Es ist das Ungewohnte und vielfach auch Ungewollte, schwarze Deutsche für berechtigt in diesem Land zu halten. Besonders bitter war für Joanna die Erfahrung beim Tod der Oma. Ihr Vater und sie wollten die sterbende Frau noch auf der Intensivstation besuchen. Und wurden über Stunden nicht vorgelassen. Bis sie sich massiv zur Wehr setzten. Zwei schwarze Deutsche, die ihre Bitte in fließendem Deutsch vortrugen. Dass sie in Verbindung zu der weißen Oma standen, konnten sich die Krankenschwestern und Ärzte wohl nicht vorstellen.

Rassismus trifft Sexismus

Als erwachsene Frau hat Joanna erlebt, wie Sexismus und Rassismus sich ergänzen. „Du bist ja ganz hübsch für eine schwarze Frau“. Solche Bemerkungen waren keine Seltenheit. Dass jemand überhaupt glaubt, so etwas sagen zu dürfen, macht sie fassungslos.

Anders stellt sich die Frage, ob man mit der Verunglimpfung, mit den bösesten Klischees schon Witze oder zumindest provokantes Marketing machen darf? Die H&M-Werbung vom „coolsten Affen im Dschungel“ führte erst kürzlich zu einem Sturm der Entrüstung. Sind die Macher aber vielleicht doch unvoreingenommener und damit viel weiter im Bestreben, rassistischen Vorurteilen entgegenzuwirken?

Joanna sieht das kritisch. In der Kombination mit einem Weißen, der als der Clevere dargestellt werde, wirke der Auftritt des schwarzen Jungen eben doch rassistisch. Lobbyarbeit hält sie deshalb nach wie vor für wichtig. Sie macht in der Initiative schwarzer Deutscher (ISD) mit. Joanna setzt sich gerade auf und lacht: „Sie werden es nicht glauben, aber das jährliche Bundestreffen ist für mich wie Wellness“, sagt sie, „ich bin dann eine von vielen und falle nicht auf.“

An Karneval sind beide im übrigen zu Hause geblieben. „Ich gebe zu, mit den als Afrikanern verkleideten Negerköpp habe ich ein Problem,“ sagt Joanna.

Selbst als kölsches Mädchen.

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