Schwierige EvakuierungenWarum es wegen Corona kaum Bombenentschärfungen in Köln gibt

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Eine Bombe wird nach ihrer Bergung in Köln abtransportiert. (Archivfoto)

  • Die Entschärfung von Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg werden in der Corona-Krise nur im Notfall durchgeführt.
  • Die Evakuierung bindet Kräfte des Ordnungsamts, in Anlaufstellen für Anwohner besteht erhöhtes Infektionsrisiko.
  • Ärgerlich ist die Aussetzung für die Baubranche, die zum Teil nicht weiterarbeiten konnte, weil zwischendrin Bombensondierungen überhaupt nicht stattfinden konnten.

Köln – Die Nacht auf den 7. Oktober war für etwa 7000 Menschen aus Sülz und Klettenberg eine überaus ungemütliche. Sie mussten ihre Wohnungen verlassen oder konnten nach der Arbeit nicht nach Hause zurück, weil ein Bombenblindgänger unmittelbar an der Luxemburger Straße kontrolliert gesprengt werden musste. Ein Großkampftag war das auch für die Stadtverwaltung, die aufrief, sich vom Evakuierungskreis fernzuhalten, in der Anlaufstelle im Südstadion Hygiene-Abstände zu beachten und auf den Straßen Rettungsgassen für Krankentransporte zu schaffen. Denn nicht nur 68 kranke oder gehbehinderte Anwohner mussten mit Rettungswagen in Sicherheit gebracht werden, sondern außerdem noch zwei Corona-Infizierte, die nicht selbstständig ihre Quarantäne unterbrechen durften.

Vor der Pandemie waren Evakuierungen leichter und deshalb sind seit Corona solche Nächte seltener geworden in Köln. Die Stadt hat die sogenannten Kampfmittelsondierungen, also das Absuchen etwa von Baugründen nach Bombenblindgängern, in den vergangenen Monaten stark minimiert, um Entschärfungen oder Sprengungen und die damit einhergehenden Evakuierungen zu vermeiden. Zu Beginn der Pandemie Anfang März wurden zunächst sämtliche Sondierungen komplett eingestellt und erst knapp zwei Monate später unter strengen Auflagen schrittweise wieder zugelassen. So sind seit Krisenbeginn nur vier Blindgänger auf dem Stadtgebiet entschärft und drei gesprengt worden – sämtliche Fälle waren Zufallsfunde.

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Im vergangenen Jahr gab es insgesamt 26 Entschärfungen, davon zwei Sprengungen, teilte die Stadt auf Anfrage mit. Auch die Zahl der Sondierungen liegt in diesem Jahr pandemiebedingt deutlich unter der des Vorjahres. Zwischen Jahresbeginn und Anfang Oktober sind insgesamt 45 Bereiche in Köln per Luftbildauswertung überprüft worden, bei denen der Verdacht bestand, dass Kampfmittel in der Erde schlummern. 2019 waren es im gleichen Zeitraum 77 Orte, davon 17 zwischen März und Mai, die in diesem Jahr für Sondierungen komplett ausfielen. Die Stadt und der zuständige Kampfmittelbeseitigungsdienst der Bezirksregierung Düsseldorf haben also den gesamten Entschärfungsapparat deutlich zurückgefahren.

Hygiene-Regeln in Not-Anlaufstellen

Denn sollten die Not-Anlaufstellen überfüllt sein, wird es dort schwierig, den vorgeschriebenen Abstand halten. Zwar herrscht dort ständig Maskenpflicht, trotzdem besteht in den provisorischen Einrichtungen immer ein Ansteckungsrisiko, wenn sie von vielen Anwohnern genutzt werden. Außerdem können wie in Zollstock auch anderswo Infizierte oder deren Kontaktpersonen in Quarantäne leben. Sie aus dem Evakuierungsgebiet zu bringen, stellt die Rettungsdienste vor zusätzliche Risiken, die die Stadt nur dann eingehen möchte, wenn es nicht anders geht. Das gleiche gilt für Kranken- und Altentransporte in Corona-Zeiten: Jeder zu enge Kontakt, der zu vermeiden ist, soll ausbleiben. Die Bezirksregierung hat der Stadt aber auferlegt, mit Überprüfungen auf mögliche Blindgänger nur dann anzufangen, wenn auch eine unmittelbar anschließende Aufgrabung und Entschärfung einer Bombe garantiert ist. Dafür wiederum ist aber in der Regel eine Evakuierung nötig – mit all ihren Unwägbarkeiten in Pandemie-Zeiten.

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Krankenwagen bei einer Evakuierung nach einem Bombenfund

Zudem bindet jede Evakuierung Kräfte des derzeit durch die Corona-Kontrollen überlasteten Ordnungsamts. So mussten zuletzt mehrfach etwa große Teile der Spätschicht abgezogen werden, um Evakuierungen zu überwachen, die auch regelmäßig von Anwohnern oder Schaulustigen behindert wurden. Sowohl bei einer Sprengung in Müngersdorf im vergangenen Sommer als auch kürzlich in Klettenberg liefen immer wieder Passanten in das Evakuierungsgebiet. Das Personal des Ordnungsamts stand für Kontrollen von Bars, Restaurants oder illegalen Feiern dann nicht zur Verfügung.

Verzögerungen bei Bauprojekten

Besonders ärgerlich ist der Aufgrabungsstopp indes für die Bauwirtschaft. Wenn der Boden nicht nach Blindgängern durchsucht wird, kann an einigen Stellen nicht weitergebaut werden. So gebe es Bauvorhaben, die rund zwei Monate in Verzug geraten oder in die Zukunft verschoben worden sind, heißt es von der Stadt. Welche Baustellen das waren, sagte die Stadt mit Verweis auf Datenschutz-Gründe nicht. Ansonsten war die Branche von der Pandemie weitgehend nicht betroffen, der Betrieb auf den Baustellen lief selbst zu Hochzeiten des Lockdowns weiter.

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Das Ordnungsamt sorgt dafür, dass Anwohner den Gefahrenbereich verlassen.

Inzwischen kehrt jedoch ganz allmählich wieder der Normalbetrieb ein. Ausgefallene oder aufgeschobene Sondierungen nachzuholen, braucht aber Zeit. Bis wann der Rückstand abgearbeitet werden kann, steht auch für die Stadt noch in den Sternen. Zumal Sondierungen nur dann wieder möglich sind, wenn im zu erwartenden Evakuierungsradius kein Krankenhaus liegt. Die Stadt schützt diese Einrichtungen auch, weil dort womöglich Corona-Patienten liegen und weil eine Evakuierung die in der Pandemie ohnehin geforderten Krankenhäuser zusätzlich belasten würde.

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Im Januar, wenige Wochen vor den ersten Infektionsfällen in Köln, wurden Teile der Uniklinik und ihres Bettenhauses nach einem Bombenfund nahe des anatomischen Instituts evakuiert. Ein solcher Kraftakt träfe die Uniklinik nun zur Unzeit. So sollen Sondierungen in der Nähe von Krankenhäusern bis auf weiteres verboten bleiben – anders als in der Nähe von Pflegeheimen, wo das Verbot Ende Juli aufgehoben wurde. Eine Lockerung sei vom Pandemie-Verlauf abhängig zu machen und daher derzeit nicht absehbar, sagt die Stadt.

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