Serie „Die Spezialisten“Kölnerin fertigt Perücken – viele Krebspatienten sind Kunden

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Tatjana Richartz

Tatjana Richartz

Köln – Manche Kinder, vor allem Mädchen, wissen bereits ganz früh, was sie später werden wollen, was Eltern meist belustigt oder entzückt zur Kenntnis nehmen und hoffen, dass sich die Flausen legen. Bei Tatjana Richartz hätten sie ewig warten können. Als echtes kölsches Mädchen kam sie sofort mit dem Karneval in Berührung, malte bereits im Kindergarten Gesichter an und drehte ihren Klassenkameradinnen in der Grundschule mit Hilfe von Wattestäbchen Locken.

Damals sei der Beruf ja ein bisschen verrufen gewesen. Trotzdem habe ihr die Mutter dazu geraten, erstmal eine Ausbildung im Friseurhandwerk zu machen. „Dann kannst Du später immer noch Maskenbildner werden.“

Nachfrage nach gutem Zweithaar

Tatjana Richartz

Perückenmacherin, Friseurmeisterin und Visagistin, Kettengasse 10-16. ☎  0221-30161030. Öffnungszeiten: Dienstags bis freitags 11-20, samstags 10-18 Uhr.

Inzwischen ist Richartz beides – Friseurmeisterin und Maskenbildnerin. Außerdem hat sie eine Ausbildung als Fachkraft für Zweithaar vor der IHK absolviert, schließlich Anfang 2017 ein Geschäft in der Kettengasse eröffnet und sich auf die Herstellung von Perücken spezialisiert.

Das Knüpfen von Zweithaar sei bis in die 60er Jahren noch Bestandteil der Friseurausbildung gewesen, erklärt die 35-Jährige. Heute lerne man stattdessen Haarverlängerung und Nageldesign. Wie hoch die Nachfrage nach gutem Zweithaar ist, weiß sie, seitdem immer mehr Chemotherapie-Patientinnen zu ihren Kundinnen gehören oder Frauen, die aufgrund einer anderen Erkrankung keine Haare mehr haben. Eine Perücke – egal, ob aus Echthaar oder aus Kunsthaar – komplett neu von Hand anzufertigen, würde sich aus mehreren Gründen nicht lohnen, erklärt die Expertin. „Das sind mindestens 80 Stunden Arbeitszeit“, weil jedes einzige Haar eingeknüpft werden müsse, was so ein Teil schier unbezahlbar mache.

Haare, wo keine sind

Richartz weiß, wovon sie spricht. Als junge Quereinsteigerin im Bereich Maskenbildnerei habe sie zunächst keinen Ausbildungsplatz gefunden, erzählt sie. Dadurch, dass sie sich auf Haare verstand und gut schminken konnte, wurde die Musik- und Filmbranche auf sie aufmerksam. Für ihre Musikvideos hielten ihr etliche Prominente wie Xavier Naidoo den Kopf hin.

Die Kölnerin machte Haare, wo keine waren, stattete Mitwirkende in Roland Emmerichs Kinofilm „Anonymus“ mit Gesichtshaaren aus, wurde für die Salzburger Festspiele engagiert und bekam schließlich am Deutschen Theater in Berlin eine Chance. Die Arbeit sei toll gewesen. „Nur war Berlin nicht meine Stadt“, bekennt die Kölnerin, die deshalb nach drei Jahren ins Rheinland zurückkehrte.

Als eine junge Frau aus ihrem privaten Umfeld an Krebs erkrankte, wurde ihr erstmals so richtig bewusst, was das auch kosmetisch für eine Frau bedeutet. „Wir machen hier für Künstler Maßanfertigungen, aber die Menschen, die das wirklich brauchen, müssen sich was von der Stange kaufen.“ Tatjana Richartz möchte, dass jede Chemo-Patientin, die zu ihr kommt, anschließend nicht das Gefühl hat, mit einem Fremdkörper herauszugehen.

Perfekt auf den Kopf angepasst

Um das Endprodukt preislich im Rahmen halten, bestellt Richartz nach einem ersten Termin, bei dem Kopfmaß genommen, Farbe bestimmt und Fotos gemacht werden, acht bis zehn Perücken-Rohlinge. Hat sich die Kundin für ein Modell entschieden, wird es mit Hilfe von winzigen Abnähern perfekt auf den Kopf angepasst. Anschließend wird die Frisur geschnitten, eventuell der Scheitel geändert oder es kommen Locken rein. „Wichtig ist, dass die Kundin kommt, so lange sie noch ihre Haare hat.“

Eine gute Kunsthaar-Perücke kostet von 800 Euro aufwärts, hat jedoch eine längere Lebensdauer als viel teureres Echthaar. Mittlerweile hat sie so viele Aufträge von Krebs-Patientinnen, dass sie im Laden „eigentlich eine zweite Tatjana bräuchte“.

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