Sexismus im Kölner KarnevalDumme Sprüche und blaue Flecken

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Hand am Po

Symbolbild

  • Hier die Hände am Hintern, da ein ungefragtes Bützje, dort ein dummer Spruch: Übergriffe sind im Karneval fest verankert.
  • Doch wo endet der Flirt und beginnt die Übergriffigkeit? Welcher Spruch ist noch ok und welcher geht zu weit?
  • Ein Streifzug durch Köln an Weiberfastnacht zeigt, auf wie viele Arten Grenzen überschritten werden können.

Weiberfastnacht, 9.40 Uhr, ein Büdchen in der Kölner Innenstadt. „Tschullligung, junge Frau, würdense misch grad ma vorbei lassen?“, nuschelt der angetrunkene Hippie der Fledermaus von hinten ins Ohr, während er ihr beide Hände auf die Taille legt und sich an ihr vorbei Richtung Bier-Kühlschrank quetscht. „Klar“, sagt sie, „auch gerne ohne Anfassen.“ Keine Reaktion.

An Weiberfastnacht 2020 wurden laut Polizei in Köln 10 Fälle sexueller Belästigung angezeigt. 2019 waren es 14 Fälle, darunter ein Verdacht wegen Vergewaltigung. 2016, im Jahr nach der berüchtigten Kölner Silvesternacht, belief sich die Zahl der gemeldeten Sexualdelikte auf 22. Ob tatsächlich die Zahl der Übergriffe gestiegen oder gesunken ist, oder ob sich nur die Meldebereitschaft verändert hat, lässt sich aus den Zahlen nicht ablesen. Schätzungen zur Dunkelziffer gibt es nicht.

14.20 Uhr, eine Karnevalsparty im Kölner Norden. Die rosa Schweinedame schiebt sich durch die Menge. „Du darfst auch mal lächeln!“, ruft ihr der Giraffen-Mann entgegen, bevor er wieder im Gewühl abtaucht. Ein paar Meter weiter fasst ein Mann mit Kronkorken am Hut einem weiblichen Krümelmonster beherzt an den blauen Puschel. Sie scheint es durch das Kostüm nicht zu merken. Die Kölsche Band auf der Bühne kündigt eine Zugabe an: „Dann müsst ihr jetzt aber auch sexy sein!“

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Sexualdelikte im strafrechtlichen Sinn sind nur eine Dimension von Sexismus im Kölner Karneval. Anzügliche Sprüche, herabwürdigende oder aus der Zeit gefallene Kommentare, Blicke, flüchtige Berührungen: All diese Dinge können nicht zur Anzeige gebracht werden. Wer sich an den jecken Tagen durch die verkleideten Massen schiebt merkt schnell: Kampagnen wie #MeToo mögen das Thema Sexismus im Alltag präsenter gemacht und dafür sensibilisiert haben, dem Tiger an der Theke ist das ab dem dritten Kölsch jedoch relativ egal.

Früher Abend, Raucherpause vor einer Party-Location. „Soll ich euch mal meine Geheimwaffe zeigen?“,  fragt der betrunkene Cowboy die fremden Frauen wieder und wieder. „Lass mal stecken“, beschwichtigt ihn sein Kumpel, und erklärt dann in die Runde: „Er meint das sexuell. Also Belästigung eben.“ Die Frauen haben sich längst abgewandt.

In Zusammenhang mit einer kulturellen Tradition, die sich auch durch Grenzüberschreitung und Enthemmung definiert, über Sexismus zu sprechen, ist heikel. Sex und Karneval – für viele geht das miteinander einher. Wo Flirten endet und Belästigung beginnt, ob Sprüche und vermeintliche Komplimente etwas zum Lachen oder bereits verbale Übergriffigkeit sind, entscheidet im Zweifelsfall die Person, der es wiederfährt. „Anfassen geht halt gar nicht“, erklärt eine Serien-Heldin an einer Kölner Theke. Eine Meerjungfrau an einer U-Bahn-Station zieht die Grenze härter: „Ich kann diese dämlichen Sprüche nicht mehr hören.“

Abends, eine Theke in der Kölner Südstadt. „Kommt Mädels, wir trinken Schnaps!“, sagt der betrunkene Basketballer, während er und sein Kumpel sich zwei fremde Frauen greifen und Richtung Bar schubsen. „Nee, lass mal“ und „Danke, aber kein Schnaps“, entgegnen die Frauen freundlich, während sie sich aus den Umarmungen befreien. Eine von ihnen wird am nächsten Tag blaue Flecken bemerken – dort, wo sich die Finger des trinkfreudigen Sportlers in den Oberarm gegraben haben.

Sexismus und sexualisierte Gewalt sind Themen, die auch die Behörden an Karneval im Blick haben. Kampagnen wie „Das 'G' in 'Karneval' steht für 'Grapschen'! Merkste selber, ne?“ sollen das Bewusstsein der Feiernden schärfen. Die Kölner Initiative gegen sexualisierte Gewalt im öffentlichen Raum hat zwischen Weiberfastnacht und Veilchendienstag eine mobile Anlaufstelle nahe der Zülpicher Straße eingerichtet. Stadt und Polizei bieten online „Informationen zur Sicherheit von Frauen“. Neben Anlaufstellen werden dort praktische Tipps gelistet. „Es ist immer eine gute Idee, das Handy griffbereit zu haben“, heißt es etwa. Und: „Benutzen Sie keine Kopfhörer, damit Sie eventuelle Gefahrensituationen rechtzeitig wahrnehmen können.“ Eine Sammlung von Informationen zu angemessenem Verhalten von Männern findet sich dort nicht.

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