Siebenjähriger in Köln-Widdersdorf getötetProzess gegen Müllwagenfahrer eingestellt

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Die Unfallstelle in Widdersdorf

Köln – Dreieinhalb Sekunden: ein kurzer Moment nur, ein Augenblick, der zwischen Leben und Tod entscheidend sein kann. Dreiheinhalb Sekunden hatte  Müllwagenfahrer Hakan S. (38, Name geändert) laut Anklage Zeit,  um den siebenjährigen Grundschüler im Seitenspiegel wahrzunehmen, der neben ihm auf dem Gehsteig auf dem Rad fuhr, hinter seinem Vater her, auf dem Weg zur Schule. An einem Montag morgen im Mai vergangenen Jahres, kurz vor acht, auf dem Mathesenhofweg in Widdersdorf.

Doch S. sah das Kind nicht, als er den tonnenschweren Müllwagen in  die verkehrsberuhigte Stichstraße lenkte,  mit elf Stundenkilometern weiter fuhr, zuvor noch den vorausfahrenden Vater mit Handzeichen zum Weiterfahren animierte und die Tragödie ihren Lauf nimmt. Der Schüler wurde von der Hinterachse des Müllwagens erfasst und starb noch an der Unfallstelle an den Folgen schwerster Kopfverletzungen. Wegen fahrlässiger Tötung wurde S. am Mittwoch der Prozess vor dem Schöffengericht gemacht.

„Er hat das Kind nicht gesehen“

Der Medienauflauf ist enorm, als S. mit einem Aktendeckel vor dem Gesicht den Saal betritt. Der Fall hatte auch überregional für Bestürzung, Anteilnahme und Aufregung gesorgt. Den Kopf tief gebeugt, sitzt der sichtlich gezeichnete AWB-Fahrer mit unbeweglicher Miene neben seinem Anwalt Udo Klemt. Er wirkt wie versteinert, hat selbst zwei schulpflichtige Kinder (14, 16) und ist seit dem tragischen Unfall krank geschrieben.

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Ob er jemals wieder einen Müllwagen lenkt, ist offen. Er sei ein erfahrener Berufsfahrer, sagt Klemt über seinen Mandanten, der seit mehr als zehn Jahren bei den AWB beschäftigt ist. Die Strecke in Widdersdorf kenne der Angeklagte wie seine Westentasche, sei dort mindestens 200 Mal mit dem Müllwagen schon unterwegs gewesen. Was passierte, sei ein „tragisches Unfallgeschehen, dem mit dem Strafrecht nicht begegnet werden kann“, betont Klempt und setzt die Aussagen des Kfz-Gutachters in ein anderes Licht.

Entgegen den Ausführen des Sachverständigen sei der Mathesenhofweg damals mit parkenden Fahrzeugen am Straßenrand besetzt gewesen. Deshalb habe sein Mandant den Schüler, der hinter den Autos auf dem Gehweg fuhr, „vermutlich gar nicht sehen können.“ Fakt sei  jedoch: „Er hat das Kind nicht gesehen.“ Sein Mandant habe bis zum heutigen Zeitpunkt „nicht überwunden, dass er den Verkehr nicht lange genug überwacht hat.“ Aber letztlich handele es sich bei dem tragischen Geschehen um ein „Augenblicksversagen“, die strafrechtliche Verantwortung eher gering.

Die Anklage listet zehn Zeugen auf, sieben sind geladen, gebraucht wird letztlich keiner, nicht einmal der Verkehrssachverständige wird gehört. Sein Gutachten war die Grundlage für die Anklage. Doch Verteidiger Udo Klemt hat nach einem Rechtsgespräch mit allen Beteiligten, darunter auch die Anwältin der Nebenklage, die die Eltern des verstorbenen Jungen vertritt, seine Ansicht durchsetzen können und eine Einstellung des Verfahrens erreicht. Seinem Mandanten bleibt ein Urteil erspart.

Angeklagtem versagt fast die Stimme

„Man sieht Ihnen an, wie sehr Sie mit dem Geschehen noch zu kämpfen haben“, spricht die Vorsitzende Richterin Britta Adrian dem Angeklagten ihr Mitgefühl aus. Und sie macht keinen Hehl daraus, „dass auch wir als beruflich mit dem Geschehen Konfrontierte sehr betroffen sind“. Hakan S. lässt seinen Anwalt für sich sprechen, nur einmal wendet er sich direkt an die Eltern des Opfers und es versagt ihm beinah die Stimme: „Es tut mir sehr leid für die Familie. Wenn ich könnte, würde ich es wieder gut machen, aber das geht leider nicht.“

2000 Euro für Kinderhospiz

Gegen ein Monatsgehalt von 2000 Euro wird das Verfahren eingestellt. Das Geld soll einer gemeinnützigen Einrichtung zugute kommen, einem Kinderhospiz in Olpe. Die Verfahrenskosten trägt die Staatskasse, den Verteidiger und die Nebenklage-Anwältin muss Hakan S. ebenfalls zahlen. „Es ist ein Kind gestorben, das ist etwas, was nicht mehr gutzumachen ist“, sagt Anwalt Klemt zum Schluss in die bereitgestellten Mikrofone.

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