Sorge vor CoronaSo läuft es aktuell in Kölns Seniorenheimen – „Auch Einsamkeit tötet“

Lesezeit 8 Minuten
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Gespräche mit den Bewohnern sind während der Pandemie wichtiger denn je.

  • Die Kölner Pflegeheime sind in Sorge vor neuen Corona-Ausbrüchen und erneuten Isolierungen ihrer Bewohner.
  • Das Personal macht Überstunden und befindet sich in ständiger Alarmbereitschaft.
  • Oberbürgermeisterin Henriette hat von der Stadt finanzierte Schnelltests angekündigt.

Köln – Bis Anfang Oktober wähnte sich das Caritas-Altenzentrum St. Maternus im Glück: In sieben Monaten Pandemie hatte sich kein Verdachtsfall in dem Rodenkirchener Heim bestätigt. Viele Angehörige hatten im Frühjahr angerufen, weil sie fürchteten, das Virus sei in dem Haus ausgebrochen – dabei wütete es ein paar Steinwürfe weiter, im namensverwandten Seniorencentrum Maternus (hier lesen Sie mehr).

Für die Tagespflege wurde zwar auch ein Bewohner aus jenem Haus zur Caritas gebracht, in dem 28 Menschen mit oder an Corona starben – die Tagespflege wurde indes bald geschlossen, die Einrichtung blieb von der Seuche verschont.

Kölner Seniorenheim: Mitarbeiterin positiv auf Corona getestet

Als jetzt die Nachricht kam, eine Mitarbeiterin sei positiv getestet worden, „hat das niemanden wirklich überrascht“, sagt Pflegedienstleiterin Anna Mysliwietz. „Es ist ja keine Einrichtung davor gefeit.“ Die Station, auf der die Pflegerin arbeitete, musste sofort in Quarantäne, jede Kontaktperson wurde getestet. Alle weiteren Tests blieben negativ. „Aber die Sorge bleibt. Jede Mitarbeiterin hat die Angst, das Virus in die Einrichtung zu tragen“, sagt Mysliwietz.

Alles zum Thema Henriette Reker

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Pflegedienstleiterin Anna Mysliwietz, Altenzentrum St. Maternus.

Längst sind die Kölner Senioren- und Pflegeeinrichtungen wieder in erhöhter Alarmbereitschaft. Am Tag des Gesprächs in Rodenkirchen kommt die Nachricht: Köln ist Risikogebiet. Wenige Tage später liegt der Inzidenzwert bei über 100, am Freitagmittag bei 120,1. Überlegungen, Besuche einzuschränken, gebe es nicht, sagte Oberbürgermeisterin Henriette Reker am Freitag. Den Heimen würden künftig von der Stadt finanzierte Schnelltests zur Verfügung gestellt, um das Risiko zu senken. Es wäre ja furchtbar, wenn dort wieder Isolierungen nötig wären.“

Schon gibt es wieder Ausbrüche in Heimen – und Katastrophen wie die Ausbrüche in Wolfsburg, Würzburg oder Rodenkirchen sollen unbedingt vermieten werden. In Köln war die Zahl der infizierten Heimbewohner am Mittwoch auf 70 Bewohner und 70 Angestellte gestiegen – 23 von ihnen wurden im Krankenhaus behandelt. In Delmenhorst (Inzidenz über 200) erließ die Stadtverwaltung ein Ausgangsverbot für die Heime, Besuche wurden auf einen pro Woche und 45 Minuten beschränkt.

Nicht nur für die Bewohnerinnen und Bewohner, auch für das Personal in den Heimen sind die steigenden Infektionszahlen mit Sorgen verbunden. Es ist wie fast überall im Moment: Abwägungssache. „Man darf nicht vergessen, dass auch Einsamkeit tötet“, sagt Anna Mysliwietz. „Die Nachricht, dass wir die Tagespflege schließen müssen und die Bewohner keinen Besuch mehr empfangen dürfen, war im Frühjahr ein großer Schock für uns. Es ist schrecklich, Menschen, die am Ende ihres Lebens noch eine möglichst entspannte Zeit haben möchten, zu isolieren. Es geht uns ja darum, ihnen eine entspannte, gesellige Zeit zu ermöglichen.“

„Viele Bewohner haben es nicht verstanden“

„Das Schlimmste daran ist, dass viele von ihnen nicht verstehen können, warum das passiert. Dass sie uns mit den Masken nicht erkannt haben und wir ihnen nicht erklären konnten, warum ihre Angehörigen nicht mehr kommen dürfen“, sagt Katrin Schäfer, Betreuerin und Einzugsberaterin in der Einrichtung in Rodenkirchen. Schäfer und Mysliwietz sitzen in einem Besprechungsraum der Einrichtung, mit viel Abstand, hinter einer Plexiglasscheibe. Die Besucher tragen FFP-2-Masken, am Eingang wurde Fieber gemessen. Die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner in dem Haus sind demenziell verändert. „Viele Angehörige waren aufgebracht, als das Besuchsverbot kam, viele Bewohner haben es nicht verstanden, wir mussten viel beruhigen, das ist im Team sehr gut gelungen. Wir hatten aber natürlich auch ein paar eigene Sorgen“, erinnert sich Schäfer.

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„Meine Eltern zählen mit Vorerkrankungen zur Risikogruppe, wir mussten eigentlich jeden sozialen Kontakt vermeiden. Verstanden gefühlt habe ich mich von Freunden, die sagten: Super, dass du den Job machst! nur bedingt.“ Das Klatschen der Menschen auf den Balkonen „fand ich sehr nett“, sagt Schäfer. „Aber ich habe in der Gesellschaft nicht nur Solidarität und Rücksichtnahme erlebt, sondern auch viel Egoismus. Froh war ich, dass mir hier im Haus viel Verständnis entgegengebracht wurde – wir haben uns hier gegenseitig Mut gemacht und uns motiviert, jeden Tag alles zu tun, was wir können.“ „Altenpflegerinnen werden in Deutschland oft so dargestellt, als müssten sie nicht viel nachdenken – der Job hat ein schlechtes Image, das finde ich traurig“, sagt Mysliwietz. „In Polen, wo ich herkomme, ist das ein hoch angesehener Beruf, die Ausbildung dauert fünf Jahre.“ Wenn sie über ihre tägliche Arbeit und den Zusammenhalt während er Krise reden, leben die zwei Frauen auf. Wenn sie von der gesellschaftlichen Debatte über alte Menschen und die Pflege und dem eigenen Ansehen sprechen, werden sie nachdenklich. 

Ulrike Zimmermann (51), seit Pflegerin in dem Haus, gesellt sich in die Runde. „Ich hatte viele schlaflose Nächte – aus Angst, das Virus ins Haus zu bringen, gerade, als es den Ausbruch in dem benachbarten Heim gab“, sagt sie. „Dazu kam die Einsamkeit der Menschen, die kaum auszuhalten war. Meine Großtante war 99, sie ist während des Besuchsverbots in einem Heim gestorben. Sie war allein.“ Ein paar Kilometer den Rhein runter, zu Gast bei Mitarbeiterinnen des Seniorenzentrums Riehl, den ehemaligen Riehler Heimstätten. In einem großen Besprechungsraum sitzen bei geöffneten Fenstern und neun Grad Außentemperatur Gabriele Patzke, Geschäftsführerin der Sozial-Betriebe-Köln, Anna Seelentag, Leiterin des Bereichs Pflege, Kirsten Jakubczyk, Leiterin der Sozialen Betreuung, und die Pflegerin Hilde Kämpfe.

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Anna Seelentag, Gabriele Patzke und Kirstin Jakubczyk (v.l.) über den Umgang mit der Krise in Seniorenheimen.

„Mit Beginn der Pandemie haben wir über Wochen und Monate eine Anspannung erlebt, wie ich sie in meinem Berufsleben bis dahin nicht kannte. Wir haben Tag und Nacht gearbeitet, 16-Stunden-Tage waren normal“, sagt Patzke. „Von Anfang an mussten ständig neue Vorschriften erfüllt werden“ ergänzt Seelentag. „Plötzlich sollte in jedem Haus eine Isolier- und eine Quarantänestation vorgehalten werden. ‚Machen Sie das‘, hieß es. Aber es ging faktisch eigentlich nicht. Quarantäneschleusen widersprachen dem Brandschutz – und wir hatten in einigen Häusern gar nicht genug Räume.“ Dazu die Befundmitteilungen vom Gesundheitsamt, die Tag und Nacht reinkamen. „Wir konnten kaum so schnell reagieren, wie es neue Regeln, Maßnahmen und Herausforderungen gab“, sagt Patzke. „Von der kurzfristigen Aufhebung des Besuchsverbots an Muttertag wurden wir beispielsweise ohne Vorwarnung überrascht.“

Mehrere Fälle auf einer Pflegeheim-Etage

Und dann traten im Juni, als die Pandemie gerade Pause zu machen schien, mehrere Fälle auf einer Etage eines Pflegeheims auf. „Da hatten wir das Gefühl, ständig unter Beobachtung zu stehen,“ sagt Seelentag. Zwölf demenzkranke Bewohnerinnen und Bewohner und vier Pflegerinnen und Pfleger waren zwischenzeitlich infiziert. Positiv getestet worden war zuerst eine Pflegerin, die zunächst keine Symptome aufgewiesen hatte. „Die Berichterstattung hatte manchmal den Unterton, dass wir etwas falsch gemacht hätten“, ergänzt Patzke. „Natürlich hatten wir auch große Sorge, dass sich das Virus weiterverbreitet – Gott sei Dank konnten wir das verhindern.“

Inzwischen fühlt sich das Personal besser gewappnet. Es gibt Besuchsbegleiter, die eingestellt wurden, um bei den Besucherinnen und Besuchern Fieber zu messen und auf die Einhaltung von Hygienevorschriften zu achten, die Lager sind mit Schutzkleidung, Desinfektionsmittel und Masken gefüllt, die am Anfang der Pandemie zehn- bis zwanzigmal teurer waren als normal. „Gemeinsame Weihnachtsfeiern werden in den Häusern dieses Jahr nicht in gewohnter Form möglich sein“ erläutert Jakubczyk, „dafür arbeiten wir daran für unsere Bewohnerinnen und Bewohner und deren Angehörige eine Art stimmungsvollen Weihnachtsspaziergang auf unserem Gelände zu organisieren.“ Die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen im Pflegebereich habe in den vergangenen Monaten zugenommen, sagt Gabriele Patzke. „Und es wird mehr über die Bedeutung der Pflege geredet, ich hoffe, dass das so bleibt.“ Mit Klatschen und Lippenbekenntnissen sei es nicht getan.

„Der Applaus war zwar oberflächlich, aber Zeichen der Wertschätzung“

„Unsere Arbeit müsste besser bezahlt werden, Pflegehelfer in Teilzeit brauchen oft sogar einen Zweitjob, um über die Runden zu kommen“, sagt Hilde Kämpfe. Die 55-jährige Pflegerin ist gerade Großmutter geworden, sie hat Asthma und gehört damit zur Corona-Risikogruppe. Über den Applaus habe sie sich genauso gefreut wie über den einmaligen Pflege-Bonus, sagt sie. „Der Applaus war zwar oberflächlich, aber es war ein Zeichen der Wertschätzung, die wir in den vergangenen Jahren sehr selten erlebt haben.“ Für den weiteren Verlauf der Pandemie plädiert Kämpfe für ein bisschen mehr Gelassenheit. „Wir tun unser Bestes um Infektionen zu verhindern, wir werden es aber nicht in allen Fällen verhindern können. Wenn wir beispielsweise die Bewohner fragen, ob sie das Risiko eingehen wollen oder lieber keinen Besuch empfangen wollen, entscheiden sich die meisten für den Besuch.“

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Die Ohnmacht, die die Einsamkeit der Menschen im Frühjahr verursacht habe, sei schwer erträglich gewesen. „Aber es war für mich auch eine Erleichterung – weil das Risiko von Infektionen so verringert wurde“, sagt Kämpfe.

Die Menschen, die in den Pflegeheimen arbeiten, richten sich auf einen langen, ungewissen Winter ein. „Wir sind ständig auf Stand-by, um im Ernstfall reagieren zu können. Es könnte sein, dass bei uns wie ja in der gesamten Gesellschaft sehr viele Menschen immer wieder in Quarantäne müssen“, sagt Gabriele Patzke. „Ein neues Besuchsverbot wäre das Schlimmste“, sagt Anna Mysliwietz. „Man kann nicht ausschließen, dass es nochmal dazu kommt“, meint Anna Seelentag. Und Patzke sagt: „Wir haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 72 Ländern. Viele haben im Sommer ihre Heimaturlaube abgesagt um sich keinem Risiko auszusetzen und so unsere Bewohnerinnen und Bewohner zu schützen. Wir sind jetzt weiter gefordert, als Team zusammenzustehen. Und dann hoffen wir, dass die Menschen durch die Krise erkennen, dass die Pflege wichtig ist.“ Und nicht erst dann, wenn sie selbst alt sind.

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