Spurensuche in KölnEine Geisterbahn zwischen den Spuren der A555

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Die Landstraße zwischen der Autobahn ist heute ein toter Ast im Kölner Verkehrsdickicht. Verkehr rollt hier lange nicht mehr.

Die Landstraße zwischen der Autobahn ist heute ein toter Ast im Kölner Verkehrsdickicht. Verkehr rollt hier lange nicht mehr.

Köln – Der normale Autofahrer darf nicht einbiegen, „Betriebs- und Versorgungsdienst frei“ steht auf dem Schild am Bonner Verteilerkreis. Tausende Autos sind auf dem riesigen Kreisel im Süden Kölns täglich unterwegs. Vor allem die Autobahn 555, einst bekannt als Diplomatenrennbahn in Richtung Hauptstadt Bonn, sorgt dafür, dass keine Ruhe einkehrt an dem Knotenpunkt mit den beiden Tankstellen.

Doch eine Spur liegt seit Jahrzehnten brach: Sie befindet sich zwischen den beiden Fahrbahnen der A555 und endet nach ein paar hundert Metern kurz vor dem Autobahnkreuz Köln-Süd im Nichts. Herbstlaub liegt auf der Geisterbahn, mittelhohe Bäume lassen ihre Blätter auf einen Asphalt fallen, der noch einen verblassten Mittelstreifen trägt. Es ist sehr lange her, dass hier Verkehr rollte.

„Absolut außergewöhnlich“ nennt Frank Buchhold, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Autobahngeschichte, diesen abgestorbenen Ast im Kölner Verkehrsdickicht: „Eine ungewöhnliche Stelle im Gesamtnetz von 13.000 Kilometern Bundesautobahn.“

Was heute vergessen ist, war einst ein Teil der Bundesstraße 9, die heute unter anderem als Bonner Landstraße parallel zur A555 verläuft und Köln mit Bonn verbindet.

Von Anfang der 1940er Jahre bis Mitte der 1960er Jahre nahm die Landstraße einen einmaligen Verlauf: Sie führte zwischen den beiden Fahrspuren der Autobahn entlang, zumindest auf Kölner Gebiet. Es war eine Straße in der Straße – ein deutschlandweites Kuriosum.

Pferde konnten ja nicht auf die Autobahn

Als die heutige A555 im Jahr 1932 unter der offiziellen Bezeichnung „Kraftwagenstraße“ als eine der frühesten Vorstufen der Autobahn in Betrieb ging, verlief die Köln-Bonner Landstraße noch auf voller Länge neben der neuartigen „Nur-Autostraße“.

Am Verteilerkreis hatte sie einen eigenen Anschluss. Das änderte sich, als Anfang der 1940er Jahre das Autobahnkreuz Köln-Süd gebaut wurde. Es wäre zu aufwendig gewesen, die Landstraße auf ihrer bisherigen Trasse über die Schlaufen des Knotenpunkts von A555 und A4 zu führen, also wurde sie mit der A555 verschmolzen.

Verzichten wollten die Planer auf die Bundesstraße 9 nicht. Anfang der 1940er Jahre waren die Geschwindigkeits-Unterschiede noch groß, Autos, Pferde-Fuhrwerke und Motorräder teilten sich das Straßenland. Im Kölner Süden gab es nun die Möglichkeit, die Spreu vom Weizen zu trennen: Schnellere Fahrzeuge sollten die Autobahn nutzen, die langsameren die Landstraße. „Die Pferdefuhrwerke konnte man ja schlecht über die Autobahn fahren lassen“, sagt Buchhold.

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Die Nutzer der Landstraße unterquerten in Höhe der heutigen Anschlussstelle Rodenkirchen die Autobahn-Fahrspur aus Richtung Bonn, die Tunnelstrecke führte direkt in die Mitte der Autobahn. Die Landstraße verlief, eingerahmt von der A555, über das Autobahnkreuz und mündete auf den Kölner Verteilerkreis.

In den späteren Jahren war die eingebettete Landstraße vor allem als direkte Verbindung zum Hahnwald beliebt. Denn die Autobahn hatte lange Zeit nur in Wesseling eine Abfahrt.

„Bautechnisch und gestalterisch war das eine völlig neue Idee“, sagt Buchhold. Aufwendig war aber auch dieses Konstrukt: Die ursprünglich nicht voneinander abgegrenzten Fahrspuren der A555 wurden auf einer Länge von etwa 2,5 Kilometern so weit voneinander getrennt, dass genug Platz blieb für die eigenwillige „Sandwich“-Lösung. Die alte Landstraße zwischen Friedrich-Ebert-Straße und Verteilerkreis wurde unterdessen abgebaut: Hier stand das Autobahnkreuz im Weg.

„Ich kenne keine andere Stelle, wo es so etwas gegeben hat“, sagt Autobahn-Experte Buchhold. Auch Laurenz Braunisch spricht von einer Merkwürdigkeit aus den Anfangszeiten der Autobahn: „Man hat damals noch experimentiert“, sagt der Sprecher des Landesbetriebs Straßenbau.

Heute wäre das alles undenkbar: „Der Mittelstreifen einer Autobahn ist tabu für alles“, so Braunisch. Eine Landstraße würde dort viel zu sehr ablenken. Damals allerdings soll es im Landstraßen-Abschnitt sogar seltener zu Unfällen gekommen sein als auf der übrigen A555.

Mitte der 1960er Jahre war es vorbei mit der Dazwischen-Lösung. Die A555 wurde ausgebaut, für die Landstraße war zumindest teilweise kein Platz mehr. Der Tunnel an der Anschlussstelle Rodenkirchen wurde beseitigt, der Abschnitt bis zum Autobahnkreuz ebenfalls. D

Die Landstraßen-Brücke über die A4 am Autobahnkreuz blieb allerdings bis Anfang der 1990er Jahre bestehen, Jahrzehnte lang wurde sie gewartet, obwohl sie nutzlos geworden war. Der Rest Landstraße vom Autobahnkreuz bis zum Verteilerkreis blieb unangetastet bis heute. „Die Straße zurückzubauen hätte unnötigerweise Kosten verursacht“, sagt Braunisch.

Heute dient die verkehrsumtoste Geisterbahn der Autobahn-Meisterei als Abstellplatz. Die Polizei nutzt sie ab und zu für Verkehrskontrollen. Ansonsten dient sie Autobahn-Begeisterten als Erinnerungshilfe an eine Zeit, als Verkehrsplaner noch verrückte Ideen ausleben durften. Laurenz Braunisch bringt die Landstraßen-Ruine zum Staunen: „Man kann sich gar nicht vorstellen, dass das alles mal Wirklichkeit war.“

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