Von E-Scootern bis MedizinUni Köln will spektakuläre Entdeckungen patentieren lassen

Lesezeit 5 Minuten
Neuer Inhalt (1)

Der Gelbe Fleck im Auge ist der Bereich, mit dem Menschen am besten sehen können.

  • Viele Forscher an der Kölner Universität arbeiten in sogenannten „patentrelevanten” Gebieten. Sie entwickeln E-Scooter oder Behandlungsmethoden für Krankheiten.
  • Was die Zahl der bisherigen Patentanmeldungen angeht, ist nach Ansicht von Experten aber noch „viel Luft nach oben”. Das soll sich jetzt ändern.
  • Besuch in einem Speziallabor der Kölner Uniklinik und einer Kalker Werkstatt zeigen.

Köln – Es sind nur fünf Millimeter, die den Unterschied machen. Fünf Millimeter auf der Netzhaut im Zentrum des Auges reichen aus, damit der Mensch Farben und Konturen erkennen kann: Hier befindet sich der Gelbe Fleck, die Makula, auf dem Millionen Photozellen liegen. Bei vier bis fünf Millionen Menschen in Deutschland sind eben diese Zellen angegriffen oder gar zerstört.

Sie leiden unter der trockenen oder feuchten altersabhängigen Makuladegeneration (AMD), eine der häufigsten Augenerkrankungen bundesweit. Wer an einer AMD erkrankt, erblindet in vielen Fällen nahezu. Die Behandlungsmethoden sind nur manchmal erfolgreich. Professor Thomas Langmann von der Kölner Uniklinik forscht seit vielen Jahren, um die AMD zu stoppen. 2014 hat er mit Professor Harald Neumann von der Uniklinik Bonn ein Patent für eine neue Behandlungsmethode angemeldet, die zahlreichen Menschen die Sehfähigkeit erhalten könnte. Nur ein Beispiel von vielen aus dem Wissenschaftsland NRW: In den vergangenen fünf Jahren wurden nach Angaben des Wirtschaftsministeriums 530 Patente von NRW-Hochschulen angemeldet. „Exzellente Forschung in Nordrhein-Westfalen findet ihren Niederschlag in vielen Patentanmeldungen“, sagt Minister Andreas Pinkwart.

„Entscheidend für den Wohlstand unserer Gesellschaft ist, dass wir diese PS auch auf die Straße bringen.“ So werde Wachstum geschaffen und der Standort gestärkt. Um diesen wissenschaftlichen Schatz zu heben, der sich in den Hochschulen verbirgt, hat das Land gleich mehrere Förderprogramme auf den Weg gebracht.

Alles zum Thema Universität zu Köln

Zudem haben die Hochschulen die Patentverwertungsagentur Provendis gegründet, die sich um die Umsetzung der Patente kümmert. Bei Provendis jedenfalls sieht man noch viel Potenzial in den Hochschulen. „Es gibt 30.000 Wissenschaftler, die in patentrelevanten, also technischen Bereichen, arbeiten“, erläutert Heike Huisken von Provendis. „Es gibt also noch Luft nach oben.“

Ein Besuch im Labor des Forschers Langmann am Lehrstuhl für Experimentelle Immunologie des Auges an der Uniklinik Köln zeigt, wie das Land hilft, Spitzenforschung zu entwickeln. Der 49-Jährige erläutert am Computer, was die AMD am Auge anrichtet. Grob gesagt, bilden sich neben den Photozellen in der Netzhaut Abfallprodukte, die sich zu Bündeln (Drusen) ballen. Werden die Drusen zu groß, zerstören sie die Zellen in der Netzhaut. Zudem wird die Blutversorgung in der Netzhaut gestört, und die Zellen werden nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Schlimmer noch: Um dem Problem zu begegnen, bildet der Körper Botenstoffe, die die Bildung neuer Blutgefäße anregen, um die Sauerstoffversorgung wieder zu verbessern. Doch die neuen Not-Gefäße wuchern unter der Netzhaut und schädigen sie weiter.

Aus diesen undichten Gefäßen tritt zudem Gewebeflüssigkeit und Blut aus, wodurch die Netzhautablösung weiter gefördert wird. Daher der Name feuchte altersabhängige Makuladegeneration.

Bislang wurden Patienten mit Medikamenten (VEGF-Hemmer) behandelt: Eine Injektion wird ins Auge verabreicht, um das Wachstum neuer Blutgefäße zu unterbinden. Langmann und sein Kollege Neumann lenken den Fokus nun auf das Immunsystem: Außer dem höheren Alter und dem Rauchen ist das Immunsystem einer der Hauptgründe, warum es zu einer AMD kommt. In dem Zusammenhang spielt die Polysialinsäure eine wichtige Rolle, eine Art schützender Zuckermantel, der die Zellen umgibt. Bei der AMD ist der Zuckermantel so verändert, dass es zu einer chronischen Immunreaktion mit einer überschießenden Reaktion von Mikrogliazellen kommt. Mit einer Spritze in den Glaskörper des Auges soll der Prozess unterbrochen werden. Im Tierversuch hat das neue Präparat ebenso gute Wirkung gezeigt wie die alten Behandlungsmethoden.

Ohne mehrere finanzielle Förderungen hätte Langmann sein Projekt nicht realisieren können. Mit 50.000 Euro schob die Uni Köln das Projekt an, anschließend unterstützte das Land NRW im Rahmen des Programms „NRW-Patent-Validierung“ die Forschung mit 200.000 Euro.

Mittlerweile haben die Forscher eine finanzielle Unterstützung des Bundeswissenschaftsministeriums in Höhe von drei Millionen Euro erhalten. Derzeit sind sie auf der Suche nach einem Partner aus der Pharma-Industrie, um eine klinische Studie zu finanzieren, mit deren Hilfe die Wirkung des Präparats am Menschen untersucht werden kann. Denkbar wäre, das Patent zu verkaufen oder mit Hilfe der Industrie eine eigene Firma zu gründen.

Derzeit läuft die zweite Runde der NRW-Patent-Validierung: Projekte, die in staatlichen Hochschulen entwickelt wurden, werden bis zu 24 Monate lang mit bis zu 200 000 Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung gefördert. Daneben gibt es das Landesförderprogramm „Patentverwertung der NRW-Hochschulen“, mit dem Wissenschaftler unterstützt werden sollen, Forschungsergebnisse in Patente umzusetzen. Weitere Unterstützung durch das Land gibt es beispielsweise durch Gründungsstipendien und Innovationslabore. Start-ups werden durch den Wettbewerb „Exzellenz Start-up-Center NRW“ und das Förderprogramm „Start-up Hochschul-Ausgründungen“ unterstützt. Allein für letzteres Programm wurden 115 Anträge gestellt und 63 bewilligt. Unter den geförderten Vorschlägen befindet sich auch das Start-up „Steereon“, das an der TH Köln entwickelt wurde. Die Absolventen Felix Vreden (27), Marvin Panek (28), Maximilian Camp (28) und Andre Ostendorf (27) wollen Mobilität und Umwelt zusammenbringen und haben den weltweit ersten allradgelenkten E-Scooter mit dem Namen „Steereon“ entworfen.

Der Roller schafft 25 Kilometer pro Stunde, wiegt nur 22 Kilogramm, verursacht beim Betrieb keine klimaschädlichen Emissionen und ist obendrein zusammenklappbar. Ein Patent für die Allradlenkung wurde durch die TH Köln mit den Gründern und Professor Michael Frantzen vom Institut für Fahrzeugtechnik angemeldet. Die von ihnen neu gegründete Firma Plev Technologies GmbH verwendet das Patent.

Kennen gelernt haben sich Vreden, Panek und Ostendorf in der Formula Student, einem internationalen Konstruktionswettbewerb für Studenten, der seit 2006 ausgerichtet wird. Vreden und Panek tüftelten schon 2015 an einem Prototyp des Rollers und wurden von der TH Köln und Mentor Frantzen unterstützt. Geld gab es ab 2017 vom Start-up-Programm des Landes und vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung. Mittlerweile können sie sich einen fest angestellten Mitarbeiter leisten und haben ihre eigene Werkstatt in Kalk. Ende des Jahres will das Team seine erste Kleinserie mit etwa 200 E-Scootern auf den deutschen Markt bringen. Ein Roller soll ungefähr 3000 Euro kosten. Für die vier Erfinder ist ihr Start-up ein Lebenstraum, den sie sich verwirklichen können. Von der Fahrzeugherstellung, über das Marketing bis zur Erstellung eines Business-Plans, müssen viele Hürden genommen werden, bis das Produkt Marktreife hat. Camp sieht im Bereich der E-Mobilität den „Markt in Bewegung“. Gerne denkt er an eine Exkursion mit seiner Hochschule nach Tel Aviv zurück. Während in Deutschland der Markt noch klein ist, fahren in Israel bereits 120.000 E-Roller über die Straßen. 

KStA abonnieren