Kölner Bestatter„Wir erleben fast surreale Szenen auf dem Friedhof“

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Die Coronakrise bringt für Angehörige besondere Härten: Bestatter erlebt „fast surreale Szenen auf dem Friedhof“. Unser Foto zeigt einen Mann auf dem Friedhof und ist ein Symbolfoto.

  • Das Coronavirus verändert nicht nur unser aller Leben, es verändert auch die Art und Weise, wie wir sterben.
  • Selbst Enkel dürfen in Köln nicht mit zur Beerdigung des Opas.
  • Wir haben uns mit einem Bestatter aus Köln über die neue Situation unterhalten.

Köln – Die Bilder, die Brian Müschenborn aus Italien gesehen hat, waren für ihn als Bestatter fast nicht auszuhalten. „Das hat mir die Tränen in die Augen getrieben, welch furchtbares Ende das Leben eines Menschen nehmen kann.“ Einsam auf einer Intensivstation ohne den Beistand seiner Liebsten zu sterben, und dann inmitten zahlreicher anderer Särge wie ein Namenloser in einem Militärlaster in irgendein Krematorium fern der Heimat gefahren zu werden. „Das ist grausam, es widerspricht meinem Gefühl und all dem, was ich seit 20 Jahren über Individualität und Würde im Tod vermittele: Die Begleitung des Sterbenden, ein bewusstes Verabschieden und eine persönliche Gestaltung der Trauer.“

Auch wenn Müschenborn und seine Kölner Kollegen inständig hoffen, dass es hier nicht so schlimm kommt wie in Italien: Wer in diesen Tagen in Köln stirbt oder als Angehöriger einen Menschen verliert, muss auf wertvolle Rituale verzichten. Corona prägt auch das Sterben und Trauern: Keine persönlichen tröstenden Worte, keine Umarmung am Grab und keine Trauerfeier. Die sind verboten und auch ein zu Lebzeiten sehr sozial eingebundener Verstorbener wirkt bei der Bestattung wie ein völlig Vereinsamter: So wie der in dieser Woche verstorbene Kölner, dessen fünf Enkel ihn so gerne auf seinem letzten Weg begleitet hätten. Aber selbst Enkel dürfen seit Corona nicht mit am Grab stehen. Nur die Ehefrau und die eigenen Kinder sind zugelassen. „Das sind für mich fast surreale Szenen, wenn ganz ohne Trauerfeier in einer stillen Prozession maximal drei oder vier Menschen im Sicherheitsabstand von 1,50 Meter voneinander zum Grab schreiten. Das ist ein Szenario, das ich sonst von anonymen Bestattungen kenne.“

Psychologisch eine schwierige Situation

Trauerpsychologisch sei es für nahe Angehörige sehr schwierig, ausgeschlossen zu werden. Müschenborn hat sich als Vorsitzender des Kölner Bestatterverbandes mit anderen Kollegen bei den Behörden darum bemüht, zumindest Enkel zuzulassen. Vergeblich: Es bleibt bei der strengen Regelung. Noch dramatischer ist es, wenn der Verstorbene an Corona litt oder unklar ist, ob Corona die Todesursache war. Dann muss die Leiche nach dem Seuchenschutzgesetz als infektiös behandelt werden: So wie der ältere Herr, der mit Lungenentzündung im Krankenhaus lag, entlassen wurde und jetzt Wochen später zuhause starb. „Er musste aus Sicherheitsgründen behandelt werden wie ein Coronafall.“ Das heißt: Die Leiche wird mit Mundschutz, Schutzbrille und Schutzkittel für die Bestattung vorbereitet, in ein Leinentuch gehüllt und in einen desinfizierten Leichensack in den Sarg gelegt. Die Angehörigen dürfen keinen direkten Kontakt mehr haben.

An Corona Verstorbene werden zum für Katastrophenfälle vorgesehenen Spezialfriedhof Leidenhausen in Porz gebracht, wo die Särge bis zur Bestattung aufbewahrt werden. Diese muss bei einer Erdbestattung spätestens zehn Tage nach dem Tod, bei einer Urnenbestattung spätestens nach zwei Monaten erfolgen. Die Hilflosigkeit und die verweigerte Gestaltung der Trauer könnten eine traumatische Erfahrung werden, vermutet Müschenborn. Sein Vorschlag ist daher, die Fristen für die Urnenbestattung wegen Corona unbürokratisch zu verlängern. „Man könnte doch die Zweimonatsregelung für eine Weile außer Kraft setzen. Dann bewahrt man die Urne für – sagen wir – drei Monate bei sich auf und plant dann die Bestattung, wenn eine Trauerfeier wieder möglich ist.“ Aber obwohl in diesen Tagen vieles möglich sei, an dieser Landesregelung werde noch eisern festgehalten.

Trauerfeier sollte später nachgeholt werden

Und so rät der Bestatter Betroffenen dazu, die Trauerfeier - auch ohne die physische Anwesenheit des Verstorbenen - in jedem Fall später nachzuholen. Entweder als weltliche Feier oder im Rahmen eines Gottesdienstes, wenn das nach der akuten Coronakrise wieder möglich ist. Die evangelische Kirche und das Erzbistum bieten diese Möglichkeit ausdrücklich an.

„Dieses Ritual ist für die Trauerbewältigung sehr wichtig und würdigt den Verstorbenen als Person.“ Sonst könnten nach einem Verlust psychische Probleme auftreten. Die in Köln tätige Gestalttherapeutin und Trauerbegleiterin Brigitte Eimermacher bestätigt das. „Für das Begreifen und Verarbeiten ist sehr wichtig, sich dem Verlust zu stellen und das Ritual nachzuholen.“ Dies sei noch essenzieller, wenn der Verstorbene unter Corona litt und womöglich im Sterben alleine gelassen werden musste. Dann könne es sein, dass sich auch Schuldgefühle festsetzen, die im Rahmen einer Trauerbegleitung verarbeitet werden könnten.

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Für Enkel oder andere Angehörige und Freunde, die nicht an der Bestattung teilnehmen dürfen, empfiehlt sie, Möglichkeiten zu überlegen, genau in dieser Stunde in Gedanken anwesend zu sein und den Moment zu gestalten: Etwa, indem man sich um ein Bild des Verstorbenen mit einer Kerze versammelt. Über ihn spricht oder gemeinsam ein Ritual gestaltet.

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