Streetart im Hotspot KölnKuschelkurs mit Öffentlichkeit oder Wertschätzung der Kunst?

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An der Haltestelle Geldernstraße/Parkgürtel in Nippes entstand kürzlich eine der längsten Graffiti-Galerien Kölns. 

  • Das Image von Streetart wandelt sich. Stand sie früher für Provokation, ist sie im Mainstream angekommen.
  • Künstler nehmen den öffentlichen Raum fröhlich in Beschlag – und die Stadt gibt sich den Nimbus, bunt zu sein.
  • Köln gehört neben Berlin zu den Hotspots der Szene, die immer neue Murals auf Häuserwänden hervorbringt.

Köln – Als die Streetart-Künstler John Iven und Ron Voigt im Sommer über zwei Monate die Bahnbögen im Bahnhof Ehrenfeld mit ihren Motiven gestalteten, da war das fast so etwas wie ein Event. „Wir kamen tagsüber fast gar nicht zum Arbeiten, so viele Leute haben uns angequatscht“, erzählt John Iven.

Fröhliche Neugier, viel sommerliches Geplauder über Streetart und die entstehenden Motive. „Die Reaktionen waren fast durchweg positiv – quer durch alle Altersgruppen.“ Das „Streetart-Bermuda-Dreieck“ rund um den Bahnhof mit seinem kleinen Platz an der Stammstraße erzählt mit der wohl längsten Streetart-Wand Kölns wie ein Mikrokosmos die Wandlungsgeschichte von Streetart und zeugt ebenso von ihrer Bandbreite.

Da ist die Skyline von Ehrenfeld als Motiv mit Lokalkolorit, daneben die fröhlichen lachenden Fische von El Pez, einem Streetart-Künstler aus Barcelona, für die gute Laune und links des Bahnbogens der brennende Hafen von Piräus – ein politisches Motiv, das im Zuge der Eurokrise entstanden ist.

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Auftragskunst der DB

Ist das Kunst, oder kann das weg? Hätte man die Frage beim Anblick so manchen Stücks Urban Art vor ein paar Jahren gestellt, wäre die Antwort bei sehr vielen klar gewesen: „Weg natürlich! Und bitte auch noch mal dick mit Anti-Graffiti-Lack überpinseln!“

Heute bestellt nicht nur wie im Fall des Ehrenfelder Bahnhofs die Deutsche Bahn AG Streetart als Auftragskunst. Oberbürgermeisterin Henriette Reker weihte im Mai stolz die „Graffiti-Galerie“ an der U-Bahnhaltestelle Geldernstraße/Parkgürtel ein, wo zuvor 20 Graffiti-Teams aus ganz Köln die Mauern entlang der U-Bahn-Station sowie der Gleise in Richtung Niehl in ein Meer aus Farben und Buchstaben verwandelt hatten.

Und der Nippeser Bezirksbürgermeister pries bei gleicher Gelegenheit ebenso stolz Nippes als „Zentrum der Graffiti“. Selbst 90-jährige ließen sich ihr Haus von professionellen Fassadenkünstlern mit großflächiger Floristik verzieren, um unkontrollierten Schmierereien vorzubeugen, erzählen Iven und Voigt.

Image von Kunst im öffentlichen Raum hat sich gewandelt

Augenscheinlich hat sich das Image von Kunst im öffentlichen Raum also gewandelt. Besonders in Metropolen gehört Streetart mittlerweile selbstverständlich zum Stadtbild und die Städte ihrerseits haben das junge moderne Image der Streetart als Werbeträger für den Tourismus entdeckt: Seht her, wir sind hipp. London, Barcelona, Athen – und eben Köln.

Die Stadt gehört neben Berlin zu den Hotspots der Szene, die immer neue riesige Wandbilder, sogenannte Murals, auf Häuserwänden hervorbringt. Inzwischen fünf verschiedene Anbieter konkurrieren mit ihren gut gebuchten Street-Art-Führungen um Touristen und Kölner gleichermaßen und können allesamt gut davon leben.

Vor allem Ehrenfeld und das Belgische Viertel haben sich zu Hotspots entwickelt. In Festivals wie City-Leaks ergänzen Streetart-Künstler aus aller Welt alle zwei Jahre die Kölner Welt der Murals um immer neue meterhohe Kunstwerke.

Aber auch in den kleinen Details blüht die Straßenkunst: Wer etwa die Körnerstraße aufmerksam entlang geht, entdeckt sie an vielen Stellen, die kleinen Kacheln und Past-Ups, die sich zu Gesamtkunstwerken formieren. Klar, das findet nicht jeder schön, aber offenbar wird Urban Art nicht nur immer mehr toleriert, sondern vielerorts sogar geschätzt.

Früher ging es bei der Street Art meist um Protest, um politische Provokation und Regelbruch. Man kam nachts, kletterte mit Leitern in abenteuerlichen Aktionen die Fassaden empor. Heute nehmen Künstler den öffentlichen Raum oft fröhlich und freundlich in Beschlag – und bringen gleich den High-Tech-Kran mit. Kuschelkurs mit der Öffentlichkeit sagen die einen, endlich Wertschätzung für diese Kunstform meinen die anderen.

Streetart-Führungen gut gebucht

Die Soziologin Christiane Varga, Autorin der Studie „50 Insights – Die Zukunft des Wohnens“, die sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt hat, konstatiert eine Professionalisierung des Metiers. Und das Ergebnis werde von den Leuten inzwischen tatsächlich als Kunst wahrgenommen. Gleichzeitig ist angesagt, dass Städte sich als bunt und lebendig präsentieren.

Man gibt sich durch Streetart das Lebensgefühl von hip und irgendwie unangepasst. Das veränderte Image der Streetart geht mit der Rückeroberung des öffentlichen Raumes in den Städten einher. Nach der Beobachtung von Varga lösen sich die Grenzen zwischen Zuhause, Arbeitsplatz und öffentlichem Raum zunehmend auf. Die Menschen eignen sich den öffentlichen Raum an – egal ob über Urban Gardening, Umhäkeln von Straßenlaternen oder eben Streetart. Weil draußen das neue drinnen ist.

Iven und Voigt (41) sind absolute Kenner der Szene. Mit 14 Jahren fingen sie mit der Spraydose an, organisierten später mit ihrem Kunst und Kulturverein Colorrevolution e.V. das erste City-Leaks-Festival in Köln und verdienen inzwischen mit ihrer Firma „Goodlack Fassadenkunst“ mit Streetart ihr Brot.

Sie formulieren es nüchterner: „Streetart ist im Mainstream angekommen.“ Sie sei dekorativer, massentauglicher geworden. Damit bestehe freilich gleichzeitig die Gefahr, dass die Kunstform ihre Seele verliere. Fast nostalgisch berichtet Voigt von der Zeit rebellischer Streetart: „Als hier in der Ehrenfelder Liebigstraße die »Kapitalismuskrake« als Motiv an einer Hauswand prangte und das noch einen riesigen Skandal ausgelöst hat und Debatten über Kunstfreiheit.

Da hat sich die Stadtgesellschaft dran gerieben, es gab sogar eine Petition.“ Nachdem der Chef der Genossenschaft, auf dessen Wand das Werk gemalt war, gestorben war, ließ der neue Chef es übermalen. Heute stehe die Stadt angesichts des gewandelten Images Streetart sehr wohlwollend gegenüber. Man achte bei Auftragsarbeiten aber sehr wohl darauf, dass die Motive nicht allzu provokant würden.

„Man kauft sich den subversiven Touch, das Feeling ein. Aber im Grund hat der Kapitalismus uns gekapert“, sagen Iven und Voigt. Was auch daran erkennbar ist, dass immer mehr Streetart-Künstler für das Malen von Werbung engagiert werden. „Das ist für die Firmen manchmal billiger als Plakatierungen“, erklärt Voigt.

Auch die beiden finanzieren ihr Leben durch Auftragsarbeiten – versuchen freilich, sich die Kunden auszusuchen und auch gegebenenfalls Nein zu sagen, wenn es ideologisch nicht passt. „Wir würden keine Werbung für Bayer oder Coca Cola machen“.

Balance aus Pflicht und Kür

Gleichzeitig versuchen sie ähnlich wie viele andere Streetart-Künstler, in einer Balance aus Pflicht und Kür die anarchische Seele der Streetart als kreativer Stachel im Fleisch weiter zu pflegen. Denn es gibt sie ja, die Beispiele, in denen es Streetart noch gelingt zu provozieren, sogar über den Moment hinaus. Der „gehäutete Hase“ des belgischen Streetart-Künstlers Roa in der Senefelder Straße zum Beispiel.

Bei seiner Entstehung 2011 löste er heftige Debatten ob der ästhetischen Zumutbarkeit für die Anwohner aus – zu den vehementesten Verteidigern des hängenden Hasen gehörte damals Elfi Scho-Antwerpes. „Er hat seinen Platz behauptet und mahnt vielleicht heute aktueller als damals, dass Fleischkonsum nicht nur eine leckere Seite hat.“

Ein großer Coup gelang den beiden 2013 mit „Surveillance of the Fittest“, mit dem sie die NSA-Affäre kommentiert haben – fertiggestellt just einen Tag bevor ans Licht kam, dass auch Angela Merkels Handy abgehört wurde. Der riesige Weißkopfadler, unter dessen Fittichen Hunderte belämmerte Schafe dreinlaufen, er schaffte es bis auf die Titelseiten vieler großer Tageszeitungen. Beheimatet direkt neben einem Discounter am Ehrenfeldgürtel, gelang es an diesem Ort auch im besten Sinne, mit der Kundschaft ins Gespräch zu kommen.

„Die Message hat jeder verstanden. Das ist das Tolle an Streetart. Es sind gewissermaßen Standbilder zu zeitgeschichtlichen Themen, an denen sich der Zeitgeist ablesen lässt. Die Message darf weder zu platt noch zu stark codiert sein, damit jeder einen Zugang findet“, erläutern die beiden. Am Ende sei Streetart dann auch aller Kommerzialisierung zum Trotz erzählte Geschichte.

Da sehen sie in Bezug auf die Gegenwart quasi vor ihrem inneren Auge blühende Landschaften: Rechtsruck, Klimawandel, vermüllte Meere – die nächsten Projekte haben sie längst im Kopf.

Und Mainstream hin oder her: Wer durch Ehrenfeld radelt, der findet sie noch, die anarchische Streetart, die sich verwaiste Flächen erobert mit kleinen Stickern, Postern und Kacheln, die dann mit einem verbeulten Kaugummiautomaten oder einem alten Fahrrad eine Symbiose eingehen.

Die Ecken, in denen die einen faszinierende Stillleben erblicken und die anderen Anarchie und Verwahrlosung sehen. Selbst bei der Auftragskunst der Deutschen Bahn am Ehrenfelder Bahnhof, die so freundlich und unpolitisch daherkommt, haben Iven und Voigt für die, die genauer hinsehen ein Statement untergebracht: „Hambi bleibt“, steht in Mini-Lettern auf einem Holzhäuschen auf Stelzen.

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