Streit der WocheSoll Kölns City autofrei werden?

Lesezeit 5 Minuten
AutofreiesKoeln-2-01

Eine Innenstadt ohne Blech – geht das auch in Köln?

  • Was für viele wie eine Utopie klingt, ist für einige europäische Städte schon seit Jahren Realität. Das belgische Gent ist von Autos ebenso befreit wie das spanische Pontevedra.
  • Eine Innenstadt ohne Blech – geht das auch in Köln?
  • Tim Attenberger, 40, stellvertretender Leiter der Lokalredaktion Köln, benutzt nur äußerst selten ein Auto und bewegt sich innerhalb von Köln vor allem mit dem Fahrrad, der Bahn und zu Fuß.
  • Alexander Holecek , 28, Lokalredakteur, will seine Freunde in der Innenstadt auch in Zukunft mit dem Auto besuchen. Die KVB empfindet er als Zumutung und versucht in Köln, wo es geht, auf Bus und Bahn zu verzichten.

Unser Streit der Woche: Soll Kölns City autofrei werden?

Pro: Die Lebensqualität der Menschen würde sich bessern

von Tim Attenberger

Köln verfügt in der Innenstadt fast überall über eine mittelalterliche Struktur mit engen Straßen und schmalen Gehwegen. Obwohl ohnehin nur wenige freie Flächen existieren, sind die Seitenstreifen zusätzlich mit Parkplätzen belegt. Wer sich vor Augen führt, wie viel Platz abgestellte Pkw in der Innenstadt verbrauchen, dem wird schnell bewusst, wie sinnvoll es wäre, Autos weitgehend aus der Innenstadt zu verbannen.

Alles zum Thema Kölner Verkehrs-Betriebe

Die Lebensqualität für die Menschen würde sich erheblich verbessern. Eine autofreie Innenstadt bedeutet weniger Lärm, eine saubere Luft und mehr Freiraum. Wo sich heute im Stau Pkw an Pkw aneinanderreiht, könnten morgen Spaziergänger unterwegs sein und in aller Ruhe in einer Außengastronomie ein Glas Wein genießen – ohne sich dabei vom Geräusch aufheulender Motoren und dem Geruch von Benzindämpfen stören lassen zu müssen. Für die Bewohner der Innenstadt wäre es möglich, tagsüber zu lüften und auch in heißen Sommernächten das Fenster zu öffnen.

Erheblicher Eingriff in die eigenen Gewohnheiten

Das bedeutet selbstverständlich auch einen erheblichen Eingriff in die eigenen Gewohnheiten und stört das Gefühl, möglichst weit über sich selbst und sein Verhalten bestimmen zu können. In einer hochgradig individualisierten Gesellschaft wird das von vielen als Angriff wahrgenommen. Deshalb ist es wichtig, auf dem Weg zu einer autofreien Innenstadt möglichst viele Menschen mitzunehmen und die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Dazu gehören ein hervorragend ausgebautes Radwegenetz und ein funktionierendes Bus- und Bahnnetz – an beidem mangelt es zurzeit in Köln. Die Stadt muss bei diesen Aufgaben ohnehin deutlich schneller vorankommen. Das Ziel einer autofreien Innenstadt wäre ein zusätzlicher Ansporn.

Völlig autofrei wird Köln nie sein

Völlig autofrei wird eine Stadt allerdings nie sein. Die Bewohner, Handwerker und Lieferdienste müssen auch weiterhin einen Zugang haben. Beschränken lassen sich aber die Zeiträume, in denen sie mit dem Auto unterwegs sein dürfen. Die Fahrzeuge müssten dann ausschließlich in Parkhäusern abgestellt werden. Rettungsfahrzeuge könnten natürlich weiter unbegrenzt fahren. Die Belieferung innerhalb der Kernstadt ließe sich mit Hilfe von Elektro-Lastenrädern abwickeln. Um zu überprüfen, wer fahren darf und wer nicht, wäre es möglich, Kameras zu installieren. Die Technologien, die eine autofreie Stadt benötigt, sind längst vorhanden.

Der Blick in das belgische Gent – ebenfalls eine Stadt mit mittelalterlichem Zuschnitt – zeigt, dass es sich bei der Idee, das Auto aus der Innenstadt zu verbannen, keineswegs um ein Luftschloss handelt. Seit 2017 ist das Konzept dort Realität geworden. Die Zahl der Radfahrer ist stark gestiegen und die der Autofahrer ist gleichzeitig zurückgegangen. Gent hat zwar deutlich weniger Einwohner als Köln – dennoch sollte die belgische Stadt als Vorbild dienen. Eine progressivere Verkehrspolitik würde Köln sehr gut zu Gesicht stehen.

Contra: Die autofreie City würde zuerst an der KVB scheitern

von Alexander Holecek

Wir könnten uns auch einfach leise Kindergärten wünschen oder fettfreie Mayonnaise. Das klingt auch verlockend und wäre ähnlich realistisch wie eine Innenstadt ohne Autos. Alleine die Idee zeigt wieder mal, wie weit man in dieser Stadt entfernt ist von einer realistischen Selbsteinschätzung. Wie so viele Verkehrsprojekte würde die autofreie Innenstadt zuerst an der KVB scheitern. Wer den Menschen verbieten will, mit dem Auto zur Schildergasse oder ins Theater zu fahren, muss eine absolut zuverlässige Alternative anbieten.

Es bräuchte ein dichteres Haltestellennetz und trotzdem Express-Züge zu Park-and-Ride-Stationen außerhalb der autofreien Zone. Die U-Bahnen müssten im 60-Sekunden-Takt fahren – und zwar rund um die Uhr. Denn wenn das Auto verboten würde, bliebe die Bahn als einzige Möglichkeit, um in dringenden Fällen schnell rein- und rausfahren zu können.

Das wird es in Köln in diesem Jahrhundert nicht geben

All das aber wird es in Köln in diesem Jahrhundert nicht mehr geben. Es müsste schon jemand das Beamen erfinden und jeglichen Transport überflüssig machen. Bis dahin wird die KVB immer zu langsam, unzuverlässig und teuer sein. Zudem stinken die Bahnen oft und sind zu voll.

Schon die Vorstellung frustriert, an einem Sonntagnachmittag im Advent in einer überfüllten und verspäteten Bahn zum Hauptbahnhof zu fahren und sich über den Weihnachtsmarkt quetschend bis zur Philharmonie die Garderobe derangieren zu müssen, statt einfach ins Parkhaus zu fahren. Und niemand würde in der Stadt einen Fernseher kaufen, ihn mit der Bahn aus der Bannmeile transportieren, um ihn dort doch ins Auto zu tragen.

Zu viele Sondergenehmigungen für Autos in Köln

Wir sollten uns auch von der Phantasie lösen, dass es in dem Szenario nur noch Fußgängerzonen gäbe. Die Straßen müssten immer befahrbar bleiben für Rettungswagen, Lieferverkehr, Handwerker und Baufahrzeuge. Kaufhäuser, Kneipen und Krankenhäuser können nicht mit Lastenrädern und Schubkarren beliefert werden. Es müsste so viele Sondergenehmigungen geben, dass trotzdem viele Autos in der Stadt sind.

Außerdem: Was passiert mit Menschen, die in der Innenstadt wohnen und Möbel kaufen? Oder umziehen, mit Gepäck und Kindern verreisen? Müssen die immer erst mit der Bahn rausfahren und dann aufs Auto umsteigen? Was wird aus Rentnern, die schlecht zu Fuß sind und einfach nicht mehr in die Stadt kämen?

Es gibt zu viel Autoverkehr in der Kölner Innenstadt

Es gibt zu viel Autoverkehr in der Innenstadt, keine Frage. Aber statt ihn blind zu verbannen, sollte er klüger verteilt werden. Warum werden nicht nur diejenigen durch die Stadt geleitet, die wirklich dorthin wollen? Warum werden nicht Schneisen, die die Innenstadt zerschneiden, unter die Erde verlagert – zum Beispiel die Nord-Süd-Fahrt und die Cäcilienstraße. Dann wäre mehr Platz für Fußgänger und die Lebensqualität für alle Bewohner und Besucher der Stadt würde steigen.

Warum sollte sich Köln in Verkehrsfragen Orte wie Gent und Pontevedra zum Maßstab nehmen, nur weil die irgendwas ausprobieren?  

KStA abonnieren