Super-RecognizerKölner Polizist kann sich jedes Gesicht nach Sekunden merken

Lesezeit 6 Minuten
Recognizer

Kriminalbeamtin vor einem Auswertungscomputer (Symbolbild) 

  • Oberkommissar Armin J. von der Polizei Köln kann sich verblüffend gut Gesichter merken. Er ist das, was man einen Super-Recognizer nennt.
  • Die seltenen Spezialisten können 80 Prozent aller Menschen, die sie ein Mal gesehen haben, später wiedererkennen. Wir haben mit J. gesprochen.

Köln – Herr Oberkommissar, Sie sind Zivilfahnder bei der Polizei Köln, möchten deshalb nicht mit Foto und vollem Namen in der Zeitung stehen. Sie können etwas, was – statistisch gesehen – 99 Prozent aller Menschen nicht können. Was genau? Zeigen Sie mir ein Bild, auf dem ein Gesicht zu sehen ist. Ich schaue es mir drei bis fünf Sekunden lang an, je nach Qualität. Dann habe ich es im Kopf gespeichert. Und wenn ich diese Person irgendwann, vielleicht auch erst Jahre später, auf einem Foto oder auf der Straße sehe, macht es sofort Klick – und ich erkenne sie wieder.

Sie sind also das, was man einen „Super-Recognizer“ nennt?

Nein, so würde ich mich nicht bezeichnen. Schreiben Sie besser: besondere Fähigkeiten im Bereich der Gesichtserkennung. Super-Recognizer nennt man die Experten von Scotland Yard in London. Die haben das perfektioniert und machen nichts anderes. Die machen Fortbildungen in dem Bereich, haben eine eigene Dienststelle dafür. In Deutschland sind wir längst nicht so weit. Ich habe zwar die selben Fähigkeiten wie die Kollegen in London, mache das aber sozusagen nebenbei.

Alles zum Thema Polizei Köln

Fähigkeit vielseitig bei der Kölner Polizei einsetzbar

Wie bringt diese Begabung Sie bei Ihrer täglichen Arbeit weiter?

Angenommen, es gibt ein gutes Foto von einem Tankstellenräuber aus einer Überwachungskamera. Dann gucke ich erstmal im digitalen Fahndungsportal der Polizei, ob da vielleicht schon ein Bild dieses Täters drin ist. Ich kann mir 5000 Vergleichsbilder hintereinander angucken, und wenn er die Nummer 4533 ist, wüsste ich sofort: Das ist er. Eine andere Möglichkeit ist: Wir ahnen, wo der Täter sich aufhalten könnte, und dann fahren wir eben raus und halten Ausschau nach ihm.

Aber Sie brauchen immer ein Foto als Vorlage?

Ja, ich muss es zumindest einmal kurz gesehen haben. Sie sitzen mir zwar jetzt genau gegenüber. Aber wenn ich Sie in drei Jahren wiedersehe, weiß ich nicht, ob ich Sie erkennen würde.

Das könnte Sie auch interessieren:

Wie gut muss das Foto sein?

Es muss nicht perfekt sein. Es reicht, wenn die Umrisse der Person zu erkennen sind. Eine Frontalsicht ist natürlich einfacher. Wenn ich nur das Profil sehe, baue ich mir die andere Gesichtshälfte im Kopf selber zusammen.

Wie machen Sie das?

Keine Ahnung, das läuft automatisch ab, irgendwo im Bereich des fotografischen Gedächtnisses wahrscheinlich. Ich kann es nicht erklären. Ich habe es auch nie wissenschaftlich untersuchen lassen.

Kann das jeder lernen?

Nein. Man hat es, oder man hat es nicht. So würde ich das sagen. Was Sie bis zu einem gewissen Grad lernen können, ist, Gesichter zu vergleichen – also Symmetrien, Augenpartien, Kopfformen. Aber dieses Intuitive, das werden Sie nicht entwickeln können.

Gehen Sie auch mal entspannt oder gesenkten Blickes durch die Stadt, oder schauen Sie den Leuten permanent in die Gesichter?

Es ist tatsächlich so: Ich scanne ständig Gesichter, das kann ich nicht abschalten. Wenn ich an der Ampel stehe, suche ich mir irgendjemanden aus, schaue in sein Gesicht und stelle mir vor, wie derjenige aussieht, wenn er lacht, wenn er wütend ist oder traurig.

Gerät man da nicht auch mal in unangenehme Situationen?

Doch, das kommt vor. Ich habe zwar noch keinen dummen Spruch gehört, aber es guckt schon mal einer zurück. Dann weiß ich, dass ich ihn wohl zu lange angeschaut habe. Aber das ist nun mal auch ein gutes Training für mich. Den Tipp gebe ich auch meinen Kollegen immer: Versucht, euch in einem starren Gesicht Emotionen vorzustellen. So kann man sich Gesichter besser merken. Oder auch: Wie sähe die Person ohne Haare aus. Oder ohne Bart.

Wie viele Polizisten mit Ihren Fähigkeiten kennen Sie in Köln?

Drei. Ich bin mir aber sicher, dass es noch mehr sind. Die wissen es nur nicht. Ich habe es bei mir ja auch erst vor fünf Jahren bemerkt.

Woran?

Ich habe immer mehr sogenannte Identifizierungsvermerke geschrieben – Vermerke, die man anfertigt, wenn man einen gesuchten Straftäter identifiziert hat. Und so merkte ich, dass ich da irgendwas habe, konnte es aber anfangs nicht zuordnen. Das kam erst später.

Geht diese Fähigkeit mit anderen Talenten einher? Können Sie sich auch Namen oder Stimmen gut merken?

Nein, ich war zum Beispiel ein schlechter Schüler in Mathe, Zahlen liegen mir bis heute nicht. Ich habe gelesen: Wenn ein Bereich im Gehirn besonders stark ausgeprägt ist, dann kann es sein, dass andere Bereiche besonders schwach sind. Vielleicht ist das bei mir so. Aber ich weiß es nicht. Das ist eine Selbstdiagnose.

Sie waren auch Mitglied der Ermittlungsgruppe Neujahr, die nach Silvester 2015 die sexuellen Massenübergriffe am Dom aufklären sollte. Wie konnten Sie da helfen?

Damals waren Super-Recognizer von Scotland Yard für ein paar Tage in Köln. Mein Chef hat meine beiden Kollegen und mich dazugeholt, weil er wusste, dass wir diese Fähigkeiten auch haben. Wir haben eine sogenannte opferorientierte Auswertung gemacht. Wir hatten Fotos von vielen der geschädigten Frauen. Aufgrund ihrer Aussagen haben wir versucht, sie auf Videobändern aus der Nacht zu identifizieren. Wir haben die Bänder dann langsam zurücklaufen lassen und die Frauen darauf verfolgt, bis sie mit den Tätern in Kontakt kamen. So erhielten wir Fotos von den Tätern und konnten viele auch tatsächlich identifizieren.

Wie viele Treffer hatten Sie?

Eine zweistellige Zahl. In ein oder zwei Fällen konnte ich helfen, Vergewaltigungen aufzuklären. Das waren meine persönlichen Highlights. Ich habe auch schon ein paar Mörder auf meiner Liste. Wobei die Gesichtserkennung immer nur ein Teil der Beweisführung ist. Es sind immer auch weitere Beweise nötig, um einen Sachverhalt gerichtsfest zu machen, DNA-Spuren zum Beispiel oder Vernehmungen.

Es gibt ja auch spezielle Software zur Gesichtserkennung. Was kann der Computer in dieser Hinsicht noch besser als Sie?

Nichts. Ich schlage jeden Computer, würde ich behaupten. Das LKA hat so eine Software. In einem Fall habe ich das mal verglichen. Und ich hatte immer Recht. Im Gegensatz zu der Maschine.

Hier geht es zum Test

Die Londoner Polizei setzt seit 2015 mehrere Super-Recognizer in einer Sondereinheit  ein. Sie  helfen, gesuchte Straftäter zu identifizieren.

Wissenschaftler der Harvard University (US-Staat Massachusetts) stießen 2009 eher zufällig auf diese Fähigkeit. Eigentlich untersuchten sie die sogenannte Prosopagnosie, Gesichtsblindheit. Betroffene haben eine angeborene Schwäche, Menschen anhand ihres Gesichts zu identifizieren.

Die Universität Greenwich in London bietet einen Schnelltest an, der zumindest Hinweise darauf gibt, ob man das Talent eines Super-Recognizers hat.

KStA abonnieren