Telefonseelsorge KölnAfD-Erfolg bei Bundestagswahl ruft Ängste hervor – mehr Anrufe

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Telefonseelsorge (Symbolbild)

Köln – Das Ergebnis der Bundestagswahl wirkt sich auch auf die Telefonseelsorge aus. „Manche Leute rufen an, weil sie Angst haben, dass das Leben jetzt unangenehmer für sie wird“, sagt Wolfgang R., der seit sieben Jahren ehrenamtlich für die katholische Telefonseelsorge in Köln arbeitet.

Es sind Menschen mit ausländischen Wurzeln, die, womöglich sogar hier geboren, seit langem in Deutschland leben und nun verunsichert sind vom Erstarken der rechtspopulistischen AfD. Annelie Bracke, Leiterin der Einrichtung, bestätigt, dass die Zahl solcher Anrufer seit Anfang Oktober zugenommen habe. Neben der Sorge, das politisch-gesellschaftliche Klima werde sich verschlechtern, haben es die freiwilligen Helfer mit den Notlagen zu tun, die durch die Zeit hindurch gleich bleiben, von Einsamkeit über schwere Erkrankungen und die Erfahrung sexueller Gewalt bis zu Schwierigkeiten in der Partnerschaft und der Familie.

Angst vor Arbeitslosigkeit

Allmählich gewachsen ist in den zurückliegenden zehn Jahren die Zahl der Ratsuchenden, denen es um die Sicherung ihres Lebensunterhalts geht, ob sie nun unter Druck am Arbeitsplatz leiden, Angst vor dem Verlust der Stelle haben oder mit Hartz IV zurechtkommen müssen. Zurzeit zählt die katholische Telefonseelsorge 67 ehrenamtliche Kräfte im Alter zwischen Mitte 20 und über 80 Jahren, neun davon sind Männer.

Manchmal werde er gefragt: „Wie hält man das denn aus?“, sagt Wolfgang R., 64 Jahre alt und früher Lehrer. Wie verkrafte man es, mit so vielen Problemen konfrontiert zu werden? Tatsächlich seien es „belastende Themen“, aber gerade deshalb erlebe er, wie sinnvoll die Gespräche am Telefon seien, wie viel die Anrufer davon hätten, dass ihnen jemand im „geschützten Raum der Anonymität“ aufmerksam zuhöre. „Wir lösen zwar keine Probleme, aber wir können den Augenblick so gestalten, dass die Menschen etwas Entlastendes, Beruhigendes spüren und vielleicht eine Perspektive gewinnen.“

Außerdem haben die Telefonseelsorger ein Verzeichnis von Beratungsadressen zur Hand, an die sie die Anrufer verweisen können. Damit die Hilfe gelingt, werden die Mitarbeiter zehn Monate lang in einer Gruppe von rund einem Dutzend Teilnehmern vorbereitet, die von zwei Fachkräften geleitet wird. Die nächste Ausbildung beginnt im kommenden Januar.

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„Sinnstiftend“ sei die Arbeit, sagt auch Fremdsprachensekretärin Annette G. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so viel zurückbekomme. Wie Wolfgang R. ist sie durch einen Zeitungsartikel auf das Ehrenamt bei der Telefonseelsorge aufmerksam geworden. „Ich wollte einmal etwas ganz anderes machen und aus den eingefahrenen Gleisen ausscheren“, sagt die 50-Jährige. „Es ist eine gewisse Art von Neugier: Was erwartet mich am Telefon? Man muss offen für alles sein“, fasst sie in Worte, was sie an der Arbeit reizt. Dazu gehöre unbedingt, mit Einfühlungsvermögen auf Fremde einzugehen, die sich hilfesuchend öffnen, das gilt erst recht in Situationen, in denen jemand von Selbsttötung spricht.

Anerkennung soll spürbar sein

Wesentlich sei, die Anerkennung spürbar werden zu lassen, dass der Anrufer gerade Schweres durchmacht, und ihm zu vermitteln, dass man mit ihm fühlt, sagt Annelie Bracke. „Wenn ich intensiv mit jemandem in Kontakt bin, gibt mir das selber viel Kraft und auch Befriedigung“, ist Wolfgang R.s Erfahrung. Kraft können die Mitarbeiter auch aus den Supervisionstreffen alle zwei Wochen schöpfen: In der Gruppe werden Probleme, die nach den Telefonaten belastend nachwirken, besprochen, ebenso kann die eigene Lebenslage, die eigene Verfassung Thema werden, schließlich hat sie Einfluss auf den Dienst.

Voraussetzungen für die Mitarbeit sind, sich gut auf andere Menschen einstellen und mit Krisen umgehen zu können, belastbar, flexibel, teamfähig und für religiöse Fragen offen zu sein. Im ersten, sechsmonatigen Ausbildungsschritt trifft sich die Gruppe wöchentlich für zwei Stunden zur Selbsterfahrung. Die eigenen Entwicklung und sich selbst im zwischenmenschlichen Umgang besser zu verstehen ist Bedingung dafür, am Telefon helfen zu können. Darauf folgt eine viermonatige praktische Schulung, in der Grundkenntnisse in der Gesprächsführung und typische Problem der Anrufer vermittelt werden.

Nach der Ausbildung wird eine Mitarbeit von mindestens drei Jahren erwartet. Die Ehrenamtler sind etwa 13 Stunden im Monat im Einsatz; das entspricht 16 Tagesdiensten à fünf Stunden und acht Nachtdiensten à neun Stunden pro Jahr. Die Einsatzzeiten können flexibel gewählt werden. Mehrmals im Jahr finden Fortbildungen statt, ganztägig oder als Abendveranstaltungen. Dazu kommen Besinnungstage, gemeinsame Gottesdienste, weitere Angebote zu spirituellen und kirchlichen Erfahrungen sowie Feste. Zur Bedeutung der Gemeinschaft sagt Wolfgang R.: „In der Gruppe ist man aufgehoben, man wird von ihr getragen.“

Katholische Telefonseelsorge Köln, Rufnummer 0221/25 70 184, Domkloster 3, 50667 Köln.

Mehr Infos unter mail@telefonseelsorge-koeln.de und www.telefonseelsorge-koeln.de.

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