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TennisKeine Straße für Wimbledon-Siegerin

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  • Die gebürtige Kölnerin Cilly Aussem war Mitglied der NSDAP - Bezirksvertretung lehnt Ehrung erneut ab

Lindenthal/Müngersdorf –  Ein brauner Schopf unter einem weißen Haarband. Dunkle Augen leuchten freundlich. Der Blick ist offen. Auf den alten Bildern wirkt sie sympathisch, hübsch aber nicht abgehoben, obwohl Cilly Aussem nicht nur Tochter aus bestem Hause, sondern sogar eine Kölner Tennisprinzessin war. Cäcilia Edith Aussem wurde 1909 als Tochter eines wohlhabenden Kölner Kaufmanns geboren, und war die erste deutsche Wimbledon-Siegerin. Im Jahr 1931 bezwang sie in einem deutsch-deutschen Finale Hilde Krahwinkel. Der damalige Oberbürgermeister von Köln, Konrad Adenauer, sandte ihr nach dem Sieg ein Telegramm mit folgenden Worten: "Cilly, ganz Köln gratuliert zum großen Sieg. Ihre Heimatstadt ist stolz auf Sie."

Was andere Sportler zu Legenden werden lässt, brachte der Spitzensportlerin vom KTHC Rot-Weiß in Müngersdorf jedoch noch nicht einmal einen Platz auf einem Kölner Straßenschild ein. Bereits 2013 war sie als mögliche Namensgeberin in der Diskussion. Gerade hat die Bezirksvertretung Lindenthal wieder damit geliebäugelt, eine Straße im Neubaugebiet an der Ludwig-Jahn-Straße in Müngersdorf nach ihr zu benennen - und sich letztendlich dagegen entschieden.

Auf ihrem Lebenslauf lastet ein entscheidender Makel. Cilly Aussem war Mitglied in der NSDAP, drei Jahre lang. Am 1. Mai 1933 trat sie in die Partei ein, nach Hitlers Machtergreifung und nach den ersten Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte. 1936 heiratete sie den italienischen Grafen Graf Fermo Murari dalla Corte Brà und zog nach Italien, Die Voraussetzungen ihrer Mitgliedschaft in der Partei waren erloschen. Sie wurde gestrichen, wäre aber bei einer Rückkehr nach Deutschland wieder Parteimitglied gewesen.

Diese Mitgliedschaft macht sie zumindest zur Mitläuferin. Doch inwieweit Aussem von den Nazi-Ideologien überzeugt war, ist schwer zu klären. Das ist auch einer schriftlichen Einschätzung von Karola Frings vom NS-Dokumentationszentrum gegenüber dem Zentralen Namensarchiv zu entnehmen: "Leider konnten trotz vielfältiger Anfragen und Kontaktaufnahmen keine aussagekräftigen Unterlagen ermittelt werden", schreibt sie.

Aussems Schwägerin Gabriele von Burgsdorff beschreibe sie als äußerst unpolitischen Menschen, der in einem katholischen Elternhaus aufwuchs. Ihre Eltern hätten keinerlei Sympathie für das Hitlerregime gezeigt. Aus welchen Motiven sie in die NSDAP eintrat, ob aus Karrieregründen, aus Überzeugung oder vielleicht Opposition gegen das Elternhaus, ließe sich nicht mehr nachvollziehen, ebenso wenig, ob Aussem für das NS-Regime oder später für das faschistische Regime in Italien propagandistisch aktiv gewesen sei. Sollte eine Straßenbenennung gewünscht sein, schreibt Frings, müsste diese Frage streng genommen anhand von zeitgenössischen Dokumenten überprüft werden. Das würde noch weitere aufwendige Recherchen in Italien nötig machen.

Die Expertin empfiehlt daher, nach einer anderen Kandidatin Ausschau zu halten. Claudia Pinl, Mitglied der Lindenthaler Bezirksvertretung, hält diese Entscheidung letztendlich für ratsam: "Wie auch Frau Frings meinte, würde die Stadt Köln einem ziemlichen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sein, dass sie trotz NSDAP-Mitgliedschaft eine Straße nach Cilly Aussem benennt, auch ist unerwünschter Beifall von einer anderen Seite nicht auszuschließen", sagt sie. "Doch Cilly Aussem tut mir auch leid."

Ein Schatten liegt auf dem scheinbar glamourösen Leben, das Aussem wohl mit viel Leidensdruck mehr absolvierte als selbst gestaltete. Als Tochter des deutschen Generalvertreters der französischen Firma Gervais wuchs sie in einem vornehmen Patrizierhaus im eleganten Westen der Stadt auf, in gehobener gesellschaftlichen Position. Nach dem Besuch der Ursulinenschule verbrachte sie ihre Schulzeit auf einem exklusiven Internat im schweizerischen Montreux. Doch das Leben als Spross aus bestem Hause war nicht einfach.

Die ehrgeizige Mutter hatte Ambitionen, vor allem im Hinblick auf ihre Tochter, meldete sie zum damaligen Elitesport Tennis an und besorgte ihr die besten Trainer. Wenn über Aussems Anfangsjahre berichtet wird, fällt ein Begriff selten, nämlich Talent. Sie wird als willens- und laufstark beschrieben, Antrieb ist ihre Mutter. Aussem punktet in der Presse durch ihre äußerliche Anziehungskraft, durch ihre grazilen Bewegungen, wird als "Pin-up-Girl" des Tennissports, als "Herzkönigin" und "Balletttänzerin" beschrieben.

Doch der Leistungssport kostet die nur 1,53 Meter große zarte Person viel Kraft und ungeheure Disziplin. Sie wird Deutsche Meisterin, siegt in Wimbledon. Der Aufenthalt an der Weltspitze ist von relativ kurzer Dauer. Sie ist körperlich anfällig. Von Jugend an kämpft sie mit einer Augenkrankheit. Nach dem Wimbledon-Sieg verschleppt sie wegen einer Südamerika-Tournee eine Blinddarm-Entzündung, zieht sich ein Leberleiden zu, scheitert schließlich bei einem Comeback-Versuch.

Ihre Ehe im Jahr 1936 und ihr Umzug nach Italien gleichen fast einer Flucht aus dem Tenniszirkus und dem Elternhaus. Ihre Heimatstadt Köln besuchte sie danach kaum noch. Man sagte ihr ein schlechtes Verhältnis zu ihrer Mutter nach. Aussem starb am 22. März 1963 nach einer Leberoperation im italienischen Portofino, fast völlig erblindet, und von der deutschen Öffentlichkeit wenig beachtet.

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