Tinder-Comedy in NippesFrau Sturm lacht wieder

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Sabine Sturm

Sabine Sturm auf der Bühne.

Köln – Beim ersten Auftritt ist ein Comedian in der Regel jung, nach zehn Minuten fertig und hat bloß ein paar Zuschauer. Für die 54-jährige Sabine Sturm gilt nichts davon. Sie hat gleich einen großen Saal in Köln-Nippes gemietet.

Am letzten Freitagabend im Juni fahren zwei Frauen mit dem Auto durch Köln-Nippes. Es ist nach elf. „Was haben wir da angestoßen?“, fragt Sandra in gleichem Maße die Fahrerin wie sich selbst. Bärbel antwortet: „Da konnte das Kind mal wieder was für sich selbst tun.“

Sabine Sturm hat noch nie allein auf der Bühne gestanden

Das Kind heißt Sabine Sturm und ist 54 Jahre alt. Vier Stunden zuvor sitzt sie in einem engen Raum neben einem Spiegel, ihr gegenüber ihre beste Freundin Insa. Sie hat Sabine Glasschüsselchen mit Weingummi und Walnüssen hingestellt. Sabine sagt, es sei ähnlich aufregend wie bei ihrer Hochzeit, und damals seien dieselben Leute dagewesen. Sie lacht. Ein weiteres Mal putzt sie ihre Brille. Als sie die Hände waagerecht hält, zittern sie leicht. In einer Viertelstunde muss Sabine die schmale Wendeltreppe hinunter und dann auf die Bühne. Sie hat noch nie allein auf einer Bühne gestanden.

Insa verabschiedet sich mit einer Umarmung, dann verlässt sie den Raum. Wenn du schlecht bist, wird der ganze Abend schlecht, denkt Sabine. Sie versucht, ruhig zu atmen, guckt in den Spiegel. Du hast es so gewollt. Fünf Minuten vor ihrem Auftritt geht sie runter, hinter die Bühne, wartet vor den Stufen, die hinaufführen. Noch vor ein paar Wochen hat sie es gar nicht mutig gefunden, was sie da vorhat. Fallschirmspringen wäre für sie mutig. Aber jetzt? „Dont stop me now“ von Queen setzt ein. „I’m having a good time, having a good time.“ Du hast es so gewollt, Sabine.

Neuer Termin im Oktober

Am 25. Oktober wird Sabine Sturm noch einmal mit ihrem Programm im Bürgerzentrum Altenberger Hof, Mauenheimer Straße 92, auftreten. Beginn ist um 19.30 Uhr. Kontakt: frausturm.lacht@gmx.de instagram.com/frausturmlacht  

2019 sagt ihr Mann, dass Schluss ist

Was Sabine nicht gewollt hat, ist ihr Mann, der 2019 sagt, dass Schluss ist. Sie haben zwei Kinder, ein Haus in Pulheim, aber keine Zukunft. Er zieht aus. Die Trennung zieht ihr den Boden unter den Füßen weg. Sie hat es nicht kommen sehen. Im Nachhinein stellt sie fest, dass ihr Humor sie immer verbunden hat, sie aber in den letzten Jahren immer weniger gelacht haben.

Die Trennung bringt die Dinge ins Rutschen. Ohne den Ehetrott fragt sie sich immer häufiger: Was will ich wirklich? Sie meldet sich für ein Online-Seminar an. Die Teilnehmer sollen ihr Leben aufschreiben. Sabine stellt fest, dass sie ihren Job, Assistenz der Geschäftsführung einer großen Supermarktkette, zwar gerne macht, aber ihr Herz schlägt für etwas anderes. „Ich stehe auf der Bühne und bedanke mich für einen Oscar“, sagt sie den anderen Teilnehmern.

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Mit Anfang 20 hat sie eine Zeit lang hobbymäßig Theater gespielt. Nach ihrer Ausbildung will sie eine Schauspielschule besuchen, entscheidet sich aus Vernunft aber für ein BWL-Studium. Später tritt sie mit einem Freund einige Male in einem Friseursalon auf, 30, 40 Leute, sie zehn Minuten allein als Putzfrau.

Dann kommen Ehemann und Kinder. Immer wieder denkt sie: Ich könnte noch mal ... Aber es bleibt beim Gedanken. Ab und zu tritt sie bei Geburtstagen von Freunden auf. Kann sie ihrem Leben nach der Trennung eine neue Richtung geben?

Ein Comedy-Programm über ihre Tinder-Erlebnisse

Kurz nach dem Seminar trifft sie eine frühere Kommilitonin. Claudia sagt, bei ihnen im Bürgerzentrum Nippes stehe jeden Abend dieser Raum leer. Wolle sie da nicht mal was machen? Sabine Sturm überlegt nicht lange und sagt zu. Bald steht auch fest, was sie machen möchte: ein Comedy-Programm über ihre Erlebnisse auf Tinder. Jene Dating-App, bei der zwei Leute aus derselben Gegend miteinander schreiben können, sobald sie das Foto des anderen geliked haben.

Ihre Freundin Sandra hat die App mal nach ein paar Gläsern Wein für sie installiert. Einen neuen Partner findet Sabine nicht, hat aber jede Menge Material für die Bühne. Bärbel, eine weitere Freundin, unterstützt sie beim Schreiben des Programms. Sonst darf es niemand vor dem Auftritt sehen. Die Premiere soll eine Probe sein. Ist auf einer Bühne lustig sein überhaupt was für sie?

Eigentlich fängt ein Comedian in Köln anders an. Als Student mit zehn Minuten in einer Kneipe bei einem Open Mic. Sabines Nummer wächst auf eine Stunde an. Der Raum, den ihr die Freundin kostenlos angeboten hat, ist ihr zu klein. So ein Aufwand und dann passen höchstens 50 Leute rein? Also mietet sie den großen Saal im Bürgerzentrum, der früher eine Scheune war. Der würde sogar für 250 reichen. Sie bucht auch einen Kameramann. Sabine verkauft knapp 110 Karten.

Niemand kann sich selbst zum Lachen zwingen

Es würde ein Heimspiel werden, Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen, Chef. Aber niemand kann sich selbst zum Lachen zwingen. Ihr Mann, von dem sie noch nicht geschieden ist, fragt, ob er kommen darf. Sie sagt nein. Es soll ihr Abend werden. Sabines Kinder, 12 und 14, müssen in Pulheim bleiben. Zu jung. Sabine probt das Programm so oft vorm Spiegel im Schlafzimmer, bis sie denkt: Das ist gar nicht lustig. Ein Spiegel lacht nicht. Am Donnerstagmorgen, einen Tag vorm Auftritt, ist Holland in Not. Der Magen.

Freitagabend, 19.30 Uhr. Sabine Sturm muss jetzt auf die Bühne. Die Decken sind so hoch, dass man hier den olympischen Stabhochsprungwettbewerb austragen könnte. Sabine, 1,80 Meter, trägt ein helles Jeanshemd, schwarze Hose, rosa Sneaker. Sie sieht, dass dort unten Leute sind, aber ihre Gesichter sieht sie nicht. Die Scheinwerfer blenden. „Wie bescheuert kann man eigentlich sein, irgendwas das erste Mal nach 20 Jahren wieder zu machen und sich 100 Leute dazu einzuladen?“, fragt sie.

Ihr Ex, der "bequeme Verpisser"

Sie spricht über ihren Ex, den „bequemen Verpisser“, beschreibt die Trennung mit einem Bild: Sie liegen zusammen am Strand, sie hat für ihn Frikadellen, Senf und kaltes Bier eingepackt, dann dösen sie weg. Als sie wieder aufwacht, liegt er 15 Meter weiter bei einer Jüngeren. „Er schläft nicht mehr mit mir, aber auch nicht mehr neben mir.“ Da bleibt nur Tinder, denn Offline-Dating sei in Zeiten von Corona nicht möglich gewesen.

Sie zitiert die schlimmen Sätze aus den Steckbriefen der Männer. „Ich bin gut drauf, bist du gut drunter?“ Oder: „Ich bin verheiratet, und das soll auch so bleiben.“ Sie versteht Profilfotos nicht. „Welchen Sinn machen Bilder von Haustieren?“ In der Kneipe halte einem auch niemand einen sabbernden Pudel ins Gesicht. Sie spricht über die größte Angst der Frau vor dem ersten Date: Der Mann ist ein Triebtäter oder Axtmörder. Die größte Angst des Mannes: Die Frau ist dicker als auf den Fotos. Offline ist Dating allerdings auch nicht besser. „Du musst unbedingt meinen Cousin kennenlernen.“ „Warum?“ „Der ist auch Single.“

Sabine weiß nicht genau, wie gut es bei den Leuten ankommt. Sie hört zwar die Lacher, aber sie sieht die Gesichter nicht. Nach wenigen Minuten ist ihr Mund trocken. Sie nimmt einen Schluck Wasser. Wer im Publikum sitzt, hört alle Formen des Lachens: unterdrücktes Lachen, Hoho, Lachen, das in Applaus übergeht, eskalierendes Lachen. Von der ersten Sekunde an wirkt es, als wäre es nicht ihr erster, sondern der zwölfte Auftritt in drei Wochen. Sie reiht keine Pointen aneinander. Es wird auch ruhig, nachdenklich, traurig, dann wieder lustig. Die Leute sehen zu ihr auf die Bühne, sie wollen wissen, wie es weitergeht. Wie selten sie sich verspricht, fällt erst auf, wenn sie es tut.

Die Leute erheben sich und klatschen

Nach 50 Minuten sagt Sabine: „Ich muss mal gucken, ob ich an alles gedacht habe.“ Hat sie nicht, sagen ihre Spickzettel. Zehn Minuten später ist Schluss. „Haltet euch an den Händen, bleibt euch treu, lacht, bis euch die Luft wegbleibt und hört um Himmels Willen nicht auf zu knutschen. Ich bin Frau Sturm und ich lache wieder.“ Auf dem Papier trägt sie noch den Nachnamen ihres Mannes. Sturm ist ihr Geburtsname. Die Leute erheben sich und klatschen. Im Grunde sind sie wieder bei einer Hochzeit. Sabine hat Ja gesagt. Zu Sabine.

Als ihre Gäste wieder zur Ruhe kommen, bedankt sich Sabine und sagt: „In diesem Raum sitzt heute mein Leben.“ Dann geht sie in ihre Garderobe, um sich das T-Shirt mit dem Zitat von Leonard Cohen anzuziehen: „Dance me to the end of love“. Draußen auf dem Hof sagt jemand: „Für mich hieß die immer Sabine Sturm.“ Wenige Tage später reserviert Sabine den Saal für den nächsten Auftritt.

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