Tod von Schwester Franziska„Dass sie jetzt nicht mehr da ist, trifft mich hart“

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Schwester Franziska starb Anfang August.

Schwester Franziska starb Anfang August.

  • In unserer Serie Nachrufe erinnern wir an Kölner, die in jüngerer Vergangenheit verstorben sind. Wir porträtieren heute Schwester Franziska, die sich unerschütterlich und unermüdlich jahrelang für die Obdachlosen der Stadt Köln einsetzte.

Köln – In unserer Serie Nachrufe porträtieren heute Schwester Franziska, die sich unerschüttlich und unermüdlich jahrelang für die Obdachlosen der Stadt Köln einsetzte.

„Ich merkte sofort, dass der Glaube für die Ordensfrau nicht nur ein Wort war. Sie hörte mir zu. Und schuf Vertrauen. Dass sie jetzt nicht mehr da ist, trifft mich hart.“ So heißt es in einem Nachruf, der im Magazin „Draußenseiter“ erschienen ist. Verfasst hat ihn eine frühere Obdachlose, die sich Kölsche Linda nennt und nicht nur ihren Namen darunter gesetzt hat, sondern auch den ihres Hundes Clayd. Die Ordensfrau, um die sie trauert, ist Schwester Franziska Passeck, die über zehn Jahre lang in der Obdachlosenseelsorge des Stadtdekanats Köln tätig war und im August mit nur 56 Jahren gestorben ist. „Als sie von ihrer Krankheit erfuhr, blieb sie weiterhin mutig und stark“, schreibt die Kölsche Linda. „Sie glaubte eben fest daran, dass Gott sie aufnehmen würde.“

Bernadette nannten die Eltern die Tochter, die im März 1962 in Karl-Marx-Stadt, das heute wieder Chemnitz heißt, zur Welt kam. Bei der Namenswahl stand Bernadette Soubirous Pate, die in der katholischen Kirche als Heilige verehrt wird. Vater Hans-Joachim, der als Schlosser und Schweißer häufig auf Montage war, und Mutter Christa, die eine Verkaufsstelle in einem Betrieb führte, waren tief im katholischen Glauben verwurzelt. Das schuf eine Distanz zur Ideologie der DDR.

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Als Bernadette Passeck das Ende der 4. Klasse erreicht hatte, wurde ihre Mutter zur Klassenlehrerin bestellt. Die wollte wissen, ob die Eltern das Kind in den kommunistischen Kinder- und Jugendorganisationen anmelden würden, bei den Pionieren und in der Freien Deutschen Jugend (FDJ). „Es spricht so vieles gegen unseren Glauben, das machen wir nicht mit“, antwortete Mutter Christa; das galt auch für ihren Sohn Mathias, der drei Jahre jünger als Bernadette war. Daraufhin drohte die Klassenlehrerin: „Das wird Konsequenzen haben.“ Die Eltern blieben bei ihrer Linie; deshalb kam es auch nicht in Frage, die Kinder zur Jugendweihe zu schicken, die der Staat als Alternative zur Konfirmation und Firmung förderte.

Die Drohung der Lehrerin sollte sich erfüllen. Bernadette träumte davon, Medizin zu studieren, aber als es darum ging, drei Schülerinnen für den Besuch der Erweiterten Oberschule auszuwählen, wurde sie übergangen, obwohl sie die Zweitbeste ihrer Klasse war. „Meinem Mann haben sie gesagt, sie wäre eine Streberin,“ erzählt Christa Passeck. Ihr Sohn Mathias erinnert sich so an die offizielle Begründung: „Mangel an gesellschaftlicher Tätigkeit“.

Also musste Bernadette nach der 10. Klasse abgehen. Am katholischen Barbara-Krankenhaus in Halle erlernte sie den Beruf der Kinderkrankenschwester. In dieser Zeit sah sie sich nach einem Orden um, in den sie eintreten könnte. Schon als Schülerin hatte sie die Berufung gespürt. „Sie hat uns aber erst viel später erzählt, dass sie das umgetrieben hat“, sagt Mathias Passeck. Die Mutter hatte es geahnt, „deshalb war ich gar nicht so erstaunt, als sie es mir dann gesagt hat.“

Mit 21 trat sie den Franziskanerinnen in Oschersleben in Sachsen-Anhalt bei, einer Gemeinschaft der Olper Franziskanerinnen. „Sie wollte ihren Nächsten dienen und ihr Leben ganz Christus zur Verfügung stellen“, sagt Franziskaner-Bruder Markus Fuhrmann, der von 2010 an mit ihr in der Obdachlosen-Einrichtung „Gubbio“ des Stadtdekanats zusammengearbeitet hat und bis heute dort tätig ist.

Umzug nach Köln

Nach dem Noviziat wurde Schwester Franziska in einem Säuglingsheim, später in der Kranken- und Altenpflege eingesetzt. Einen neuen Einschnitt brachte das Jahr 2004. Sie siedelte nach Köln über, wo sie in ein kleines Konvent einzog; in den ersten beiden Jahren arbeitete sie allerdings in Duisburg. Dort hatte sie es mit Opfern der Zwangsprostitution, vorwiegend aus Osteuropa und Afrika, zu tun. Traumatisiert und zumeist illegal in Deutschland, lebten sie in einer geheimen Schutzwohnung der Hilfsorganisation Solwodi. „Sie kam jetzt mit Hardcore-Menschen in Kontakt“ , sagt Franziskaner-Bruder Markus.

Auch wenn sie „den Ärmsten der Armen“ habe helfen wollte, sei es „nicht ganz ihr Ding“ gewesen, räumt er ein. Ihre dauerhafte Lebensaufgabe fand sie in der Stadt, in der sie bereits wohnte: 2006 kam sie zu „Gubbio“, das zwei Jahre vorher gegründet worden war. Die Einrichtung in der Ulrichgasse ist Treff und Kirche in einem. Benannt ist sie nach der italienischen Stadt, die einer alten Legende zufolge von einem furchterregenden großen Wolf heimgesucht wurde, bis Franz von Assisi ihn mit seiner Güte zähmte. Er stiftete anhaltenden Frieden, indem er den Einwohnern vorschlug, dem wilden Tier täglich zu essen zu geben; im Gegenzug würde es niemandem mehr etwas zuleide tun. So kam es.

„Sie war eine Powerfrau“, sagt Bruder Markus, Priester und Sozialarbeiter, über seine langjährige Mitstreiterin, die eine halbe Stelle hatte, aber oft weit darüber hinaus gearbeitet habe. Einen großen Teil des Dienstes machte die Straßensozialarbeit aus. Tag für Tag war Schwester Franziska im Einsatz, um Wohnungslose anzusprechen, ihnen zuzuhören und Hilfsdienste zu leisten, ob am Hauptbahnhof bei „Gulliver“, das sich als „Überlebensstation für Obdachlose“ versteht, auf dem Appellhofplatz, wo Mitglieder der „Emmaus-Gemeinschaft“ von Montag- bis Freitagabend Essen ausgeben und medizinische Versorgung anbieten, oder im Vrings-treff. Oder aber auf irgendeiner Straße, wo sie sich zu Bettlern auf den Boden setzte; dafür hatte sie eine Pappe als Sitzunterlage dabei.

„Wenn sie mit ihrem Fahrrad auf den Straßen Kölns unterwegs war, flatterte ihr Schleier immer heftig im Wind. Ohne ihren Weltjugendtagsrucksack – davon hat sie im Laufe der Jahre einige verschlissen – war die Franziskanerin nie anzutreffen“, ist in einer Ausgabe der „Kirchenzeitung“ für das Erzbistum Köln zu lesen. Und weiter: Sie sei eine „Frau ohne Angst“ gewesen, „die ihre Kraft für die nicht immer leichte Arbeit mit den Menschen auf der Straße aus ihrem grenzenlosen Gottvertrauen ableitete“.

Große Überwindung

Freilich war der Anfang nicht leicht. So erzählte Schwester Franziska einmal, es habe sie große Überwindung gekostet, Punker anzusprechen; über eine Ratte, die eine Punkerin auf der Schulter trug, kam sie mit der Frau ins Gespräch und verlor so ihre Scheu. „Mein Ziel ist es nicht, die Menschen aus der Obdachlosigkeit zu führen“, sagte die Ordensfrau über die Grenze ihrer Arbeit , „sondern ihnen beizustehen, den Alltag zu meistern und Kraft zu finden in ihrer Situation“. Bei Bedarf vermittelte sie Obdachlosen Kontakte zu Behörden und Sozialarbeitern. Geld gab sie aus Prinzip nicht, aber stets hatte sie ein paar Bons für eine Essensausgabe dabei. Die Einsamkeit empfand sie als die größte Armut der Menschen auf der Straße.

Christa Passeck hat ihre Tochter immer wieder in Köln besucht und gelegentlich auf der Straße begleitet. „Sie stand voll dahinter. Ich hätte das nicht gekonnt“, sagt die Mutter. „Das ist nichts für einen Weichling, sondern nur für eine starke Persönlichkeit.“ Und die sei ihre Tochter gewesen.

Das tiefe Gottvertrauen trug Franziska Passeck auch durch die schwere Zeit der Krankheit. Um Pfingsten 2017 herum bekam sie Koordinationsprobleme, Dinge fielen ihr aus der Hand, manchmal torkelte sie. Die Diagnose: zwei bösartige Hirntumore. Sie wurden entfernt, Bestrahlung und Chemotherapie folgten. Im Januar 2018 stellte sich heraus, dass drei inoperable Tumore nachgewachsen waren. Schwester Franziska verzichtete auf eine erneute Behandlung und arbeitete so lange wie möglich weiter, den nahen Tod vor Augen. Als es gar nicht mehr ging, zog sie sich zum Sterben in ein Haus ihres Ordens in Drolshagen bei Olpe zurück. „Ihr sollt wissen, es geht mir gut“, diktierte sie einer Freundin einen Brief, mit dem sie sich an „so viele Menschen wie möglich“ wandte. „Dank Eurer mich tragender Gebete kann ich diese, mir von Gott gestellte Herausforderung ruhig und gelassen annehmen. Ich weiß ja, wo ich hingehe. Gott ist für mich das Ziel, darauf freue ich mich.“

So erpicht Schwester Franziska, die gebrauchte Kleidung bevorzugte, darauf war, ein einfaches, Leben zu führen, so sehr freute sie sich, dass ihr Bruder für die Erfüllung eines großen Wunsches sorgte. Vernarrt in den Karneval ihrer neuen Heimat wollte sie einmal auf einem Wagen im Rosenmontagszug mitfahren. Mathias Passeck schrieb die Blauen Funken an, erklärte den Anlass seiner Bitte, und es kam positive Antwort. Vier Stunden hielt seine Schwester trotz Krankheit durch, dann stieg sie ab. Mathias Passeck: „Sie hat’s genossen.“

In unserer Serie Nachrufe erinnern wir an Kölner, die in jüngerer Vergangenheit verstorben sind. Wenn Sie vom Tod eines interessanten Kölners erfahren, über den wir einen Nachruf schreiben können, melden Sie sich bitte bei uns unter 02 21/2 24-23 23 oder ksta-koeln@dumont.de. Bei den Geschichten geht es nicht darum, ob ein Mensch prominent war oder unbekannt, erfolgreich oder verarmt. Es sollen Lebensläufe mit ihren Höhen und Tiefen beschrieben werden. Getreu dem Gedanken: Jeder Mensch hat etwas zu erzählen. Jedes Menschenleben ist einzigartig. 

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