Trotz geistiger EinschränkungStadt Köln schiebt schwangere 16-Jährige ab

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Marianna Arndt Hassan Hasani GRÖNERT

Marianne Arndt im Beratungsgespräch

Köln – Die Mitarbeiter der Ausländerbehörde kamen am frühen Morgen. Am 16. Dezember klingelten sie um 5.45 Uhr an der Unterkunft der Roma-Familie Hymerllaj am Neubrücker Ring, um sie nach Albanien abzuschieben. Die Mitarbeiter sollen offenbar ein paar Tage vor Weihnachten wenig sensibel vorgegangen sein. So soll die Tür der 16-jährigen schwangeren Tochter Xhilliana, die sich eingeschlossen hatte, aufgebrochen worden sein, wie ein Bekannter der Familie, der bei der Abschiebung dabei war, Marianne Arndt, Gemeindereferentin und Mitglied der AG Bleiben, berichtete. Die Stadt widerspricht der Darstellung allerdings komplett.

Beim Aufbrechen der Tür habe die Schwangere einen Schlag gegen den Bauch erhalten. Die vierköpfige Roma-Familie habe anschließend nur 15 Minuten Zeit gehabt, um ihre Sachen zu packen. Die Handys seien ihnen abgenommen worden, ein Übersetzer war offenbar nicht anwesend.

„Ich bin entsetzt und schockiert über den Umgang der Behörden mit Menschen“, sagt Arndt. Die Eltern und ihre beiden 16-jährigen Zwillingsgeschwister waren im Herbst 2019 aus Albanien nach Deutschland gekommen. Laut Arndt habe sich die Familie inzwischen gut integriert. Die Eltern besuchten Sprachkurse, Sohn Romeo die Kalker Hauptschule. Letzterer habe sich in der Schule angestrengt und wollte Elektriker werden. „Er hätte sicher in zwei Jahren seine Ausbildung beginnen können“, so Arndt. Besonders nachdenklich macht sie der Fall der Tochter. Denn die junge Frau, die zudem in der 19. Woche schwanger ist, sei geistig eingeschränkt und befinde sich auf dem geistigen Niveau einer Neunjährigen.

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Ein Eilantrag vor dem Kölner Verwaltungsgericht wurde dennoch abgelehnt. Die Richter erkannten keinen Anhaltspunkt für eine Risikoschwangerschaft, da die Schwangere während des Fluges und bei der Ankunft in der albanischen Hauptstadt Tirana medizinisch betreut würde. Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats konstatiert, dass die Abschiebung wohl rechtlich korrekt war. „Rechtmäßig bedeutet aber nicht immer richtig.“ Prölß stelle fest, dass Teile des Ausländeramts, die für die Rückführung von Flüchtlingen zuständig sind, in den vergangenen Monaten rigider vorgehen. „Es gab keinen Grund, warum die Familie abgeschoben werden musste.“ Insbesondere bei der schwangeren Tochter hätte man einen Härtefall vermuten können.

„Selbst Hunde leben besser”

Nach der Abschiebung ist die Familie in einer Barackensiedlung in der albanischen Stadt Skodre untergekommen, die Arndt mit einem Obdachlosen-Camp vergleicht. Ein kurzes Video, das offenbar vor Ort aufgenommen wurde, zeigt provisorische Hütten, die auf Erde errichtet wurden. Eine ehrenamtliche Helferin habe Arndt gesagt: „Selbst Hunde leben besser als diese Menschen.“ Die Familie habe weder eine Krankenversicherung noch Geld, um Ärzte oder auch nur Lebensmittel zu bezahlen. Die 150 Euro, die sie bei der Abschiebung erhalten hätten, habe sie für Tickets von Tirana nach Skodre und Lebensmittel ausgegeben. Der Familie seien zudem alle medizinischen und anderen Unterlagen abgenommen worden.

Die schwangere junge Tochter habe nun Schmerzen im Bauch, „bereits im Flugzeug hat sie bereits vor Schmerzen geschrien“, so Arndt. „Doch auch da ist keiner darauf eingegangen und es war auch kein Arzt dabei, zumindest nicht ersichtlich für die Familie.“ Nachdem Arndt der Familie 200 Euro geschickt hatte, konnte die junge Frau zumindest von einem Arzt untersucht werden. Dieser habe nun große Zweifel, ob das Kind aufgrund des Abschiebungstraumas und des Schlags gegen den Bauch überhaupt auf die Welt kommen kann.

Stadt widerspricht Darstellung

Die Stadt widerspricht der Darstellung Arndts komplett. Es sei weder eine Türe eingetreten worden noch die Abschiebung mit übertriebener Härte durchgeführt worden. Die städtischen Mitarbeiter hätten sich ausgewiesen, anschließend seien sie von der Mutter eingelassen worden. Die schwangere 16-Jährige habe anschließend versucht, sich im Schlafzimmer einzuschließen. Die Türe sei durch Gegenlehnen und der verbalen Aufforderung, die Türe nicht veschließen, ohne Gewalt geöffnet worden. „Es ist festzuhalten, dass kein unmittelbarer Zwang gegen die schwangere Frau oder die anderen Familienmitglieder ausgeübt wurde", schreibt die Stadt.

Weiter teilt die Verwaltung mit, dass die Familie 40 Minuten Zeit gehabt hatte, um ihre Sachen zu packen. Es sei zudem ein Arzt dabei gewesen, der die Reisefähigkeit der jungen Frau festgestellt habe. Auch während des Fluges und der Ankunft in Tirana habe es eine medizinische Betreuung gegeben. „Während des Aufsuchens der Familie und Fahrt zum Flughafen klagte die Schwangere weder über Schmerzen, noch waren sonstige gesundheitliche Beschwerden ersichtlich oder angezeigt", heißt es weiter.

Rückführungen seien „zwingend gesetzlich vorgesehen“, wenn eine Ausreisepflicht bestehe. Die Stadt habe keinen Ermessenspielraum. In jedem Fall erfolge im Vorfeld einer Abschiebung eine individuelle Beratung zu Möglichkeiten der freiwilligen Rückkehr unter Inanspruchnahme von Fördermitteln. Nur wenn dies seitens des Ausreisepflichtigen abgelehnt werde, werde eine Abschiebung eingeleitet und durchgeführt. Liegen besondere Umstände vor, sofern sie bekannt und geltend gemacht wurden, würden zur Entscheidung und Vorbereitung von Rückführungsmaßnahmen Einschätzung von Experten wie Ärzten oder Jugendschutzbehörden eingeholt.

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