Übernachten mit ObdachlosenSolidaraktion mit AG Arsch huh und prominenten Kölnern

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Obdachlose am Breslauer Platz

Köln  – Dagmar, studierte Medizinerin, lebt nach einem Familiendrama und einem mentalen Zusammenbruch seit dreieinhalb Jahren auf der Straße. In den vergangenen Wochen sei sie mehrfach Opfer von Farbanschlägen geworden, erzählt die 55-Jährige und zeigt auf ihre mit weißen Spritzern besprenkelten Schuhe.

Farbattacken und sexueller Übergriff

Erst vorgestern wurde Dagmar  auf einer Parkbank am Rheinufer von einem sexuell übergriffigen Mann attackiert.

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Dagmar (55), ist studierte Medizinerin

„Ich habe dem Täter in die Hand gebissen und bin weggerannt, um bei der Polizei Anzeige zu erstatten“, sagt die Kölnerin, die froh ist, seit Mittwochmorgen ein eigenes Zimmer mit Schlüssel und Wlan-Zugang zu haben: Wie im vergangenen Winter hat der Kölner Verein Helping Hands mit Hilfe von Spendengeldern das Youth Hostel in der Allerheiligenstraße in der Nähe des Hauptbahnhofs angemietet. Bis Ende März finden dort 25 Obdachlose eine Bleibe.

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Hohe Impfquote

„Viele der Menschen waren wie Dagmar schon im vergangenen Jahr da“, sagt Nicole Freyaldenhoven, die die Aktion für den Verein mitorganisiert. „Sie sind  dankbar, ein warmes Zimmer zu haben und geschützt zu sein – einige wollten unbedingt das gleiche Zimmer wie letztes Jahr, für sie ist das ein bisschen wie nach Hause zu kommen.“ Am Mittwoch lassen sich einige der Obdachlosen an der Überlebensstation Gulliver noch impfen, bevor sie in ihre vorübergehende Bleibe einziehen. Die Impfquote im Youth Hostel ist höher als im Durchschnitt in Deutschland: Nur drei der 25 Bewohner sind noch nicht geimpft.

Am Wochenende werden Dagmar und einige andere Obdachlose, die im Youth Hostel untergekommen sind, am Bahnhofsvorplatz sein. „Helping Hands“ und die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim (SSM) laden alle interessierten Kölnerinnen und Kölner ein, mit Obdachlosen eine oder mehrere Nächte auf der Straße zu schlafen. „Obdachlose sind Menschen, die unter uns leben, neben uns leben, mit uns leben – nur eben draußen“, sagt Rainer Kippe, Mitveranstalter von der SSM. „Wenn wir eine Nacht mit ihnen draußen verbringen und ihnen zuhören, wissen wir besser, über wen wir reden. Uns geht es um Mitgefühl – und Veränderung.“

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Nicole Freyaldenhoven von Helping Hands

Die Veranstalter verbinden die als Kundgebung angemeldete Aktion über drei Tage, bei der es ein offenes Mikrofon gibt, mit Forderungen an die Stadt Köln: Abschließbare Einzelzimmer für alle Obdachlosen zählen dazu, auch für obdachlose Paare, Drogensüchtige und Menschen mit Hunden; mehr Streetworker gerade in den Abendstunden, ein städtisches Sofortbauprogramm für Hundert Wohnungen – und schließlich ein Ende der Obdachlosigkeit bis 2030. „Das sieht sowohl das EU-Parlament wie die neue Ampel-Koalition in ihren Programmen vor“, sagt Kippe.

Wallraff und Becker übernachten draußen

In den vergangenen Jahren seien indes immer mehr Menschen obdachlos geworden. Mehr als 7000 Menschen sind in Köln wohnungslos gemeldet, mehr als 300 Menschen leben auf der Straße.

Zwischen Freitag und Montag wollen jeweils zahlreiche Kölnerinnen und Kölner aus Solidarität auf dem Bahnhofsvorplatz schlafen, darunter sollen auch der Undercover-Journalist Günter Wallraff und der Kabarettist Jürgen Becker sein.

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Die AG Arsch huh wird am Freitag, 3. Dezember, 19.30 Uhr, mit einer neuen Version des Höhner-Songs „Alles verlore“ die Übernachtungsaktion einläuten. Tommy Engel, Arno Steffen, Anke Schweitzer, Harry Alfter und Kai Engel von Brings sowie andere Künstlerinnen und Künstler haben das Lied neu eingespielt. Einige von ihnen werden am Freitag zu Spenden für den Verein „Arche für Obdachlose“ aufrufen, der in Mülheim eine neue Anlaufstelle für Obdachlose nach dem Vorbild des „Gulliver“ am Hauptbahnhof aufbauen will.

Netzwerk mit der Immobilienwirtschaft

„Gerade in Mülheim hatten viele Obdachlose im Lockdown nicht mal die Möglichkeit, aufs Klo zu gehen“, sagt Arsch-huh-Sprecher Hermann Rheindorf. „Wir unterstützen die Aktion von Initiativen wie Helping Hands und SSM auch, weil die Arche für Obdachlose neue Wege geht. Dass Vertreter der Immobilienwirtschaft wie Konrad Adenauer sich auch dafür engagieren, freut uns sehr.“ 

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