Unbezahlbare MietenFrau Neuhaus muss raus – auch aus Köln

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Renate Neuhaus kann sich Köln nicht mehr leisten und zieht jetzt ins Sauerland.

  • 2100 Euro Kaltmiete für eine Vier-Zimmer-Wohnung am Ebertplatz würde Familie Martin zahlen, um wieder ein Schlafzimmer zu haben. Das haben sie vor Jahren für ihre drei Kinder aufgegeben. Seit vier Jahren suchen sie vergeblich.
  • Für 750 Euro Kaltmiete würde die Rentnerin Renate Neuhaus in Mülheim eine neue 50-Quadratmeter-Wohnung finden. Das kann sie sich nicht leisten. Und flieht nach 50 Jahren in Köln zurück ins Sauerland.

Köln – Renate Neuhaus muss raus. Bis Juni 2022 muss sie ihre kleine Wohnung im Rechtsrheinischen geräumt haben. Eigenbedarf. Ein sehr gepflegtes Zuhause, 50 Quadratmeter, kleiner Balkon. In einer Siedlung, die vor Jahren aus der sozialen Bindung gefallen ist. 560 Euro Warmmiete zahlt sie, einschließlich Stellplatz. Ein Schnäppchen für Kölner Verhältnisse – selbst im Rechtsrheinischen.

Renate Neuhaus ist 65 Jahre alt. Sie hat fast 50 Jahre gearbeitet. 49,5 – um genau zu sein. Die meisten davon im Klinikum Merheim. Renate Neuhaus ist sehr genau, in allem, was sie tut. Sie hat Arzthelferin gelernt, sich zur Fachwirtin für Sozial- und Gesundheitswesen weitergebildet, eine Tochter allein großgezogen. Und sie  wird immer noch wütend, wenn man sie fragt, warum sie in all den Jahren keine private Vorsorge betrieben oder Eigentum erworben hat. „Wie sollte das gehen? Mit einem Kind und 1100 D-Mark netto?“

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Natürlich hat sie nach einer neuen Wohnung gesucht. Alleinstehende ältere Menschen sind gefragt bei Vermietern – selbst auf einem Hochpreis-Wohnungsmarkt in Köln. Doch gefunden hat sie nichts. Ganz stimmt das nicht.

Viele Wohnungen sind nicht mehr bezahlbar

In der Nähe des Mülheimer Bahnhofs entstehen 84 neue Wohnungen. Nichts Besonderes. Standard in einer Stadt, wo der Markt brennt. „Ich hätte eine haben können“, sagt sie. „Wenn ich bereit gewesen wäre, die Hälfte meiner Rente für die Wohnung auszugeben.“  50 Quadratmeter für 750 Euro kalt plus Nebenkosten und 80 Euro für den Stellplatz.

„Ich will mich nicht beklagen. Meine Rente ist im Vergleich zu anderen Menschen gar nicht schlecht.“ Aber wenn sie Strom und Wasser hinzurechne, Fernsehgebühren, Telefon und Internetanschluss, sei die 1000-Euro-Grenze schnell erreicht. Das ist ihr schlicht zu teuer. Dass sie vor dreieinhalb Jahren rund 4000 Euro in ihre alte Wohnung gesteckt hat in der Hoffnung, dort langfristig bleiben zu können, will sie keinem anlasten. „Das war halt mein Fehler.“

Renate Neuhaus wird Köln verlassen. Nicht freiwillig, sondern der Umstände wegen. Sie zieht zurück in ihre Heimat. Oder besser in die Gegend, in der sie geboren wurde und aufgewachsen ist, bis sie mit 17 Jahren nach Köln kam. „Ich gehe nicht freiwillig, sondern weil ich muss.“ Im Alter jeden Cent herumdrehen zu müssen, nur weil knapp die Hälfte der Rente für das Wohnen draufgeht, will sie sich nicht zumuten. So traurig das auch ist. Köln könne sie sich einfach nicht mehr leisten, sagt sie. „Mein Bruder hat mir gut zugeredet, zurück ins Sauerland zu gehen.“

Von Köln ins Sauerland

In einem Neubaugebiet in Neheim-Hüsten baut eine Genossenschaft gerade altersgerechte Wohnungen. Mit Carsharing, Seniorentreff, Gemeinschaftsräumen und einem Pflegedienstbüro. 630 Euro warm wird Renate Neuhaus dort zahlen – für 51 Quadratmeter. Sie werde damit schon klarkommen, Köln zu verlassen, sagt sie. Auch wenn das im Grunde eine Zwangsumsiedlung sei. „Man muss selbst was tun.“

Die vielen sozialen Kontakte, die sie sich über Jahre aufgebaut hat, werden sich wohl nicht aufrechterhalten lassen. „Alle sind traurig, dass ich hier gehe. Meiner Etage werde ich sehr hinterherjammern. Wir sind hier alle per Du, man spricht miteinander, trinkt zusammen Kaffee. Das werde ich sehr vermissen.“

Mehr als ein Drittel geht bei Vielen für die Miete drauf

4,1 Millionen Haushalte in Deutschlands Großstädten müssen mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens für die Miete inklusive Nebenkosten und Heizung ausgeben. Betroffen sind 49 Prozent aller großstädtischen Haushalte mit etwa 6,5 Millionen Menschen. Dabei sind eventuelle Sozialtransfers und Wohngeld bereits berücksichtigt. Das ergibt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie eines Forschungsteams um den Berliner Stadtsoziologen Andrej Holm, das die neusten verfügbaren Daten aus dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes ausgewertet hat.

Unter Sozialwissenschaftlern und Immobilienexperten gilt eine Mietbelastungsquote oberhalb von 30 Prozent des Haushaltseinkommens insbesondere bei Haushalten mit niedrigerem Einkommen als problematisch. Auch viele Vermieter ziehen hier eine Grenze, weil sie zweifeln, dass Mieter sich unter diesen Umständen ihre Wohnung dauerhaft leisten können.

Dennoch: Gut ein Viertel der Haushalte – 2,2 Millionen – in den 77 deutschen Großstädten müssen sogar mindestens 40 Prozent ihres Einkommens für die Miete aufwenden, knapp zwölf Prozent oder fast eine Million Haushalte sogar mehr als die Hälfte.

Vor allem für Ärmere entspannt sich die Lage kaum

Im Mittel zahlen Mieterhaushalte in Großstädten 29,8 Prozent ihres Einkommens für die Bruttowarmmiete. In den vergangenen Jahren sind die Mietbelastungsquoten vielerorts zwar etwas zurückgegangen, weil auch bei Großstadtbewohnern die Einkommen im Mittel stärker gestiegen sind als die Wohnkosten. Dabei zeigen sich aber große soziale Unterschiede.

Vor allem für sehr viele ärmere Haushalte entspannt sich die Situation kaum, für sie ist die Miete weiterhin ein besonders großes finanzielles Problem. Obwohl sie im Schnitt weniger Wohnraum zur Verfügung haben und in älteren und schlechter ausgestatteten Wohnungen leben, müssen Mieter mit geringen Einkommen einen überdurchschnittlichen Anteil davon für die Wohnkosten aufwenden: In Haushalten an der Armutsgrenze, die maximal 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Großstädter zur Verfügung haben, sind es im Mittel rund 46 Prozent. Dagegen müssen Mieterhaushalte mit einem hohen Einkommen von mehr als 140 Prozent des mittleren Einkommens nur knapp 20 Prozent für die Warmmiete ausgeben.

Mit drei Kindern auf 85 Quadratmetern

Dass es für die ärmere Gruppe in Köln schier aussichtslos ist, eine bezahlbare Mietwohnung zu finden, wundert keinen mehr. Inzwischen trifft die Misere aber auf Menschen, die sich Köln vor ein paar Jahren noch locker leisten konnten. Wie Familie Martin. Sie möchte ihren wahren Namen nicht veröffentlicht sehen, weil sie sonst Ärger mit ihrem Vermieter befürchtet. Die Martins wohnen seit zehn Jahren hier. In einem Altbau auf 85 Quadratmetern. Mit drei Kindern. Zwei Jungs, ein Mädchen.

„Wir fühlen uns hier im Viertel wohl, würden auch gern bleiben“, sagt Frau Martin. „Wahrscheinlich ist das zu unverschämt.“ Sie arbeitet in der Innenstadt, ihr Mann in Düsseldorf. Wenn nicht gerade Corona ist. „Wir können unsere Kinder sogar allein im Park am Theodor-Heuss-Ring spielen lassen. Das ist problemlos möglich, weil hier viele Familien wohnen und irgendein Erwachsener immer da ist, der auf sie aufpasst. Der Park ist unser Garten. Wenn wir alle am Ebertplatz die Rutsche benutzen, verschwinden die Dealer, weil wir denen das Geschäft kaputt machen.“

Elternschlafzimmer längst aufgegeben

Das Elternschlafzimmer hat Familie M. längst aufgegeben. Am Abend wird das Sofa in einem Mehrzweckraum aufgeklappt, der sich früher mal Wohnzimmer nannte. Der Küchentisch ist zum Homeoffice geworden, aber nur bis mittags, wenn die Kinder aus der Schule kommen. Das Badezimmer hat vier Quadratmeter. Eine Badewanne gibt es nicht. „Wenn Weihnachten oder Geburtstag ist, habe ich immer Sorge, wo ich die neuen Spielsachen überhaupt noch hinstellen soll. Irgendwann haben die Großeltern dem Mädchen ein Puppenbett geschenkt, da habe ich gesagt, tut mir leid, ihr müsst das wieder mitnehmen. Das finde ich schon grenzwertig“, sagt Frau Martin.

Rund um den Ebertplatz haben sie zum zweiten Mal an Laternenmasten und Ampeln eine auffällige Suchanzeige platziert. Bei der ersten Aktion vor drei Jahren habe es noch ein paar Angebote gegeben. „Aber da war nichts Passendes dabei, weil wir einfach nicht kapiert hatten, dass man bereit sein muss, auch 1800 Euro kalt zu zahle. Damals wollten wir noch nicht an unser Erspartes rangehen. Heute haben wir verstanden: Wenn Du in Köln bleiben willst, muss Du das tun. Und Kaufen geht ja gar nicht mehr.“

Sie sind bereit, 2100 Euro Kaltmiete zu zahlen - und finden nichts

Die neue Anzeige hing drei Monate. Die Martins sind längst bereit, bis zu 2100 Euro Kaltmiete zu zahlen. Für eine Vier-Zimmer-Wohnung. Der Mietspiegel sei Makulatur, sagen sie. Das einzige Angebot sei auf den ersten Blick vielversprechend gewesen. 120 Quadratmeter für 2000 Euro kalt. „Davon war ein Zimmer im Keller, der sollte als Schlafraum dienen. Deshalb gab es keinen Keller mehr, dafür sollten wir noch eine Garage anmieten. Als Kellerersatz. Das war eine Schubladen-Garage für nochmal 100 Euro.“

Die Stadtsoziologen der Humboldt-Universität sprechen von einer „weiteren Polarisierung“ der Wohnungssituation. Ein Vergleich der Zahlen von 2006 und 2018 belege, „dass sich die sozialen Ungleichheiten im Bereich des Wohnens verschärft und hohe Mietkostenbelastungen verfestigt haben“. Das zeigt sich etwa, wenn man sich die realen Einkommenszuwächse nach Abzug von Wohnkostensteigerungen zwischen 2006 und 2018 in unterschiedlichen Einkommensgruppen anschaut. So stiegen die monatlichen Nettoeinkommen der Haushalte, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens haben, im Mittel um 90 Euro. Bei den Haushalten, die zwischen 60 und 100 Prozent zur Verfügung haben, blieben die Zuwächse unter 200 Euro. Mieterhaushalte mit mehr als 140 Prozent des mittleren Einkommens kamen dagegen auf über 600 Euro mehr.

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Außerdem lebten den Daten zufolge 2018 mehr als 7,5 Millionen Menschen in 4,4 Millionen Mieterhaushalten in Wohnungen, die für sie zu klein oder zu teuer sind – gemessen an der im Sozialrecht pro Kopf eines Haushaltes als angemessen geltenden Quadratmeterzahl und dem 30-Prozent-Kriterium für die Warmmiete. Die Quote der „real unterversorgten“ Mieterhaushalte in deutschen Großstädten ist zwar seit 2006 um gut vier Prozentpunkte gesunken. Nach wie vor ist aber mit knapp 53 Prozent mehr als die Hälfte der Haushalte betroffen.

Einkommenssituation muss sich verbessern

Aber was tun? Um die Situation zu verbessern, empfiehlt Stadtsoziologe Holm einen mehrgleisigen Ansatz. Neben rechtlichen Instrumenten zum Schutz der bestehenden Mietpreise und dem Ausbau von Belegungsbindungen für Haushalte mit geringen Einkommen sollte der soziale und gemeinnützige Wohnungsbau mit möglichst dauerhaften Mietbindungen erheblich gestärkt werden. Ein weiterer Schlüssel sei die Einkommenssituation der Mieterinnen und Mieter. Ohne wirksame Maßnahmen zur Auflösung des weit verbreiteten Niedriglohnsektors sei eine soziale Wohnversorgung in den Großstädten nicht zu gewährleisten, so der Forscher.

Kaufen ist eine Illusion

Im Niedriglohnsektor sind die Martins keinesfalls unterwegs. Doch wenn selbst gutverdienende Familien in Köln keinen bezahlbaren Wohnraum mehr finden, hat die Stadt ein richtiges Problem. „Wenn der Markt nicht so verrückt wäre, hätten wir auch eine Wohnung oder ein Haus kaufen können. Aber das kann man sein Leben lang doch nicht mehr abbezahlen“, sagt Herr Martin.

Es sei denn, die Familie tritt wie so viele andere die Landflucht an, verlässt Köln. Verlässt ihre Heimat. Verlässt das Kunibertsviertel und pendelt jeden Tag von Gott weiß woher. Sie nach Köln. Er nach Düsseldorf.

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