Uniklinik KölnSo kam Vin wieder auf die Beine

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Patient Vin Constantin mit seiner Ärztin Veerle Visser-Vandewalle

Patient Vin Constantin mit seiner Ärztin Veerle Visser-Vandewalle

Köln – „Für einen Lieblingsmenschen“ steht auf der kleinen Papiertüte, die Vin Constantin mit in die Uniklinik Köln gebracht hat. Es ist ein Geschenk für seine Ärztin Professor Veerle Visser-Vandewalle. Dahinter steckt viel mehr als die nette Geste eines wohlerzogenen Jungen. Vor drei Jahren wäre es dem heute Zehnjährigen gar nicht möglich gewesen, das Päckchen in den Händen zu halten, geschweige denn auf seinen eigenen Beinen zu stehen und auch nur einen Schritt zu gehen. „Als ich Vin zum ersten Mal gesehen habe, ging ihm gar nicht gut, er konnte sich kaum bewegen. Er hatte eine Dystonie, eine Bewegungsstörung.

Die Symptome der Erkrankung sind die Folge einer elektrischen Störung im Gehirn“, sagt Visser-Vandewalle, Direktorin der Klinik für Stereotaxie und funktionelle Neurochirurgie an der Uniklinik Köln. Bei Vin wurde als Ursache für die Dystonie eine genetische Abweichung festgestellt. „Das war Glück im Unglück. Denn bei diesem Typ, der sogenannten Dystonie DYHT 1, haben wir sehr gute Ergebnisse mit der Tiefen Hirnstimulation erzielt.“ So wie bei Vin.

Ohne OP hätte sich der Zustand immer weiter verschlechtert

Bei der Tiefen Hirnstimulation (THS) werden mittels Stereotaxie, einer minimalinvasiven Operationsmethode, ganz feine Elektroden mit einem Durchmesser von etwa 1,3 Millimeter durch ein kleines Bohrloch in der Schädeldecke punktgenau tief im Gehirn an die Stelle mit der größten elektrischen Störung gebracht. „Die Elektrode wird implantiert, um die Störung positiv zu beeinflussen“, erläutert Visser-Vandewalle. „Ohne Operation hätte sich der Zustand von Vin immer weiter verschlechtert, seine Gelenke hätten sich versteifen können.“

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Die Patienten müssen sich bei der THS zwei Eingriffen unterziehen. Bei der ersten Operation werden die Elektroden ins Gehirn eingesetzt. Bei der zweiten wird der Impulsgeber unter die Haut implantiert. Dieser Generator wird über eine Batterie gesteuert, die irgendwann gewechselt werden muss. Vin kann sich damit Zeit lassen. Er lebt mit einem wiederaufladbaren Generator, für den der Hersteller eine Laufzeit von 25 Jahren angibt. Einmal im Jahr kommt der Neu-Gymnasiast aus Hagen zur Nachkontrolle in die Kölner Uniklinik. Dann wird die Stromstärke überprüft und wenn nötig die Stimulation erhöht. Für Vin ist das alles kein Problem. Außer einer etwa zehn Zentimeter lange Narbe auf der rechten Brustseite, ungefähr zwei Handbreit unter dem Schlüsselbein, deutet nichts auf die OP und die davor liegende Leidenszeit hin.

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Vin war erst sechs Jahre alt, als ihm im wahrsten Wortsinn der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. „Er war ein kerngesunder und agiler Junge. Er spielte Basketball, machte sein Seepferdchen und flitzte mit seinen Freunden durch die Gegend“, erzählt seine Mutter. Im März 2014 machte sich die zunächst rätselhafte Krankheit erstmals bemerkbar. Zunächst hinkte Vin leicht. Dann traten Gleichgewichtsstörungen auf. Sein Zustand verschlechterte sich immer mehr. Schließlich konnte der Junge nicht mehr aus eigener Kraft stehen und nicht mehr gehen.

Als Vin Mitte 2015 auf seinen Lieblingsmenschen Visser-Vandewalle traf, saß er längst im Rollstuhl. „Er konnte zu diesem Zeitpunkt eigentlich nichts mehr. Nicht mehr sitzen, nur noch liegen, auch in der Schule im Unterricht. Selbst Krabbeln strengte ihn an. Nachts fand er nur mit Mühe in den Schlaf, Muskelkrämpfe quälten ihn, mitunter war sein ganzer Körper bizarr verdreht“, erzählt Vins Mutter. Sie rannte mit ihrem Kind von Arzt zu Arzt, aber niemand fand die Ursache für die Beschwerden. Der entscheidende Hinweis kam schließlich von einem Arzt an der Uniklinik Essen. Er verwies die verzweifelte Mutter an seine Kollegin Anne Koy an der Uniklinik Köln. Die Pädiaterin leitet das Zentrum für dystone Bewegungsstörungen im Kindesalter der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin. Sie stellte gemeinsam mit Visser-Vanderwalle die richtige Diagnose und die Weichen für das neue Leben von Vin Constantin. Der möchte später übrigens mal Erfinder werden. „Dann kann ich anderen Menschen so toll helfen, wie mir geholfen wurde.“

Tag der offenen Tür zum Gehirn

Die Klinikprofessoren Veerle Visser-Vanderwalle und Roland Goldbrunner, Direktor der Klinik für Allgemeine Neurochirurgie, laden zum ersten Tag der offenen Tür des Zentrums für Neurochirurgie ein. Geboten werden Informationen über moderne Diagnostik- und Operationsmethoden aus dem Bereich der Neurochirurgie. In Kurzvorträgen und Live- Demonstrationen möchten Ärzte zeigen, wie die Präzisionsarbeit am Gehirn funktioniert.

Samstag, 6. Oktober, ab 9 Uhr; Uniklinik Köln, Gebäude 13, Kerpener Straße 62.

Veerle Visser-Vanderwalle ist seit August 2012 Direktorin der Klinik für Stereotaxie und Funktionelle Neurochirurgie an der Uniklinik Köln. Die gebürtige Belgierin ist eine Spezialistin auf dem Gebiet unter anderem bei der Anwendung der Tiefen Hirnstimulation für Bewegungsstörungen und psychiatrische Erkrankungen. Die Kölner Professorin behandelte 1997 weltweit den ersten Tourette-Patienten mit der Methode der Tiefen Hirnstimulation. Das Tourette-Syndrom ist eine neuropsychiatrische Erkrankung, bei der unwillkürliche und heftige Muskelzuckungen auftreten. An der Kölner Klinik werden pro Jahr etwa 80 THS-Operationen durchgeführt. Unter den Patienten sind etwa zwei bis drei Kinder mit einer Dystonie. (mos)

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