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Unser Mann im Regenwald

Lesezeit 4 Minuten

Marsdorf –  Brasilien ist gar nicht so weit weg. Das weiß niemand besser als der Marsdorfer Anatol Gunkel. Das Land war ihm persönlich schon immer nah, denn seine Urgroßeltern flohen vor den Nazis dorthin und seine Großmutter wurde dort geboren. Seitdem er selbst in dem lateinamerikanischen Land lebt, ist ihm bewusst geworden, dass auch die geografische Distanz relativ ist: Schließlich spielt es hierzulande eine Rolle, inwieweit die brasilianischen Regenwälder CO2 aus der Atmosphäre speichern, Dunstwolken erzeugen, Regen spenden und den Planeten kühlen können.

Gunkel hat gesehen, wie brasilianische Großgrundbesitzer die Weltklimaanlage langsam abfackeln, um Monokulturen Platz zu machen, die aus Europa kamen, und mit denen sie Mais und Soja für den europäischen, amerikanischen und chinesischen Markt produzieren - während Kleinbauern die brasilianische Bevölkerung ernähren. Als er von einer Studie der ETH Zürich erfuhr, wonach Aufforstung das effektivste Mittel ist, um den Klimawandel einzudämmen, stand die Idee plötzlich im Raum, selbst etwas zu tun, Bäume zu pflanzen und gleichzeitig einen Beitrag zur Ernährung der brasilianischen Bevölkerung zu leisten. Unter dem Titel „Klimaretten selbermachen“ hat er mit seiner Frau Polly ein Projekt ins Leben gerufen: Er möchte mindestens zehn Hektar Land erwerben und einen ganzen Wald pflanzen, einen Agroforst, der zugleich landwirtschaftlich genutzt wird. Gerade läuft seine Crowdfunding-Aktion. Wenn sie Erfolg hat und genug Geld zusammenkommt, wird aus dem kölschen Jung ein brasilianischer Landwirt – zumindest auch.

Es passt zu dem Jungen, der das Schillergymnasium besuchte und auf Gut Horbell in Marsdorf aufgewachsen ist, mit viel Liebe zur Natur unter Menschen, die als Hobbylandwirt ein Gemüsebeet, Schafe oder Hühner haben. Dort wohnt er auch heute noch in einem Bauwagen, wenn er in Deutschland ist. Nach dem Abitur reiste er nach Brasilien, verbrachte ein Auslandssemester im brasilianischen Fortaleza, heiratete eine Brasilianerin und lebt nun die meiste Zeit des Jahres in Bahia.

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Seitdem sieht er die Welt aus zwei Perspektiven, der europäischen und der des Globalen Südens. „Wir sind von Fortaleza aufs Land gezogen, weil wir aus der Stadt herauswollten, mit ihren Problemen, wie Gewalt und Nahrung zweifelhafter Herkunft.“

In Brasilien hat er bereits die ersten Klimaflüchtlinge getroffen. „Es gibt Städte, die sich aufgelöst haben, weil es kein Wasser mehr gibt“, erzählt er. „Die Menschen fliehen aus dem Landesinneren an die Küste.“ Gleichzeitig faszinieren ihn das Land, die Leute, die Kultur, die Natur - und das neue Landwirtschaftskonzept der Agroflorestas. Es ist eigentlich ein ganz altes, ein Konzept der brasilianischen Ureinwohner. Landwirtschaftlich nutzbare Wälder gibt es in Brasilien schon immer. Es handelt sich dabei um Wälder unter deren Bäumen Fruchtsträucher wachsen.

Gunkel hat sich genau damit befasst: „Kakao ist ein ganz klassisches Beispiel“, schildert er. „Er gedeiht eigentlich am besten im Halbschatten. Das wird heute immer weniger beachtet, weil es die neuen genmanipulierten Arten gibt und viele Landwirte möglichst mit dem Traktor über die Felder fahren. Dabei sind die Bäume nur im Weg.“ Aber im Unterholz seien die Kakaopflanzen deutlich resistenter, wenn es wenig regnet, träfe die Trockenheit die Kultur nicht so stark. Aufgrund der größeren Diversität der Pflanzen, könnten manche Krankheiten nicht so heftig durchschlagen. Um einen Agroforst zu pflanzen, muss er allerdings zunächst Land erwerben. Wo, das weiß er bereits: „Es gibt Flächen, die von Monokulturen ausgelaugt wurden und jetzt brach liegen“, erzählt Gunkel.

Sie befinden sich in Privatbesitz, sind aber mittlerweile völlig unproduktiv. Die Besitzer verkaufen sie gerne, denn sie brauchen Geld. „Wir müssten zwischen 12000 und 15000 Euro pro Hektar Land bezahlen und noch ein bisschen mehr für die Bepflanzung.“ Anders, als die brasilianischen Landwirte, hat er die finanzielle Möglichkeit dazu: „Ich bin in der privilegierten Lage, in Deutschland Geld verdienen zu können und es in Brasilien zu investieren“, sagt Gunkel. In Brasilien betrage ein durchschnittliches Tageseinkommen zwölf Euro, wenn man keine hochspezialisierte Fachkraft ist. Gunkel möchte nun in Deutschland mit Baumpflege Geld verdienen. Er hat bereits einen Kletterkurs gemacht und Wissen erworben, das ihm auch im brasilianischen Agroforst nutzt. Langfristig möchte er von seinem Projekt auch leben können und möglichst vielen Brasilianern einen sicheren Arbeitsplatz verschaffen. Vor allem soll es ein Beispiel dafür sein, dass man selbst aktiv werden und etwas gegen den Klimawandel tun kann – und für die Menschen, die die Folgen dafür tragen, dass Produkte aus den Monokulturen in den europäischen Supermarktregalen landen.

www.startnext.com/klimaretten-selbermachen

Anatol Gunkel

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