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Unterirdische VerbindungenDiese Spuren erzählen von der Bomben-Gefahr in Köln

Lesezeit 5 Minuten
LS-Pfeil schräg mit LSR Köln Neustadt-Nord Theodor-Heuss-Ring 20

Markierung am Theodor-Heuss-Ring (Neustadt-Nord)

  • Noch heute erinnern Luftschutz-Markierungen in Köln an die Gefahr des Bombenkriegs vor fast 100 Jahren.
  • Die Stadt war damals eine andere, eine „Verbunkerung der Gesellschaft“ war im Gange. Was bedeutete das?
  • Und: Welche Spuren erzählen noch heute von dieser Zeit? Barbara Schock-Werner hat sich auf eine Entdeckungsreise begeben.

Köln – Seien Sie gewarnt: Heute komme ich Ihnen mit Goethe! Aber nicht mit Fausts Osterspaziergang und „Frühlings holdem, belebendem Blick“, sondern mit meinem Lieblingszitat und Motto meiner Kolumne: Man sieht nur, was man weiß.

Wovon ich Ihnen in dieser Folge erzählen möchte, das habe ich in 20 Jahren Köln nicht gewusst und nie gesehen. Erst als der niederländische Historiker Patrice Wijnands, gemeinsam mit mir Träger des Deutschen Denkmalschutzpreises 2019, mir davon berichtete, wurde ich darauf aufmerksam: Markierungen an Häuserfassaden aus den 1930er und 1940er Jahren, die auf unterirdische Luftschutzräume hinweisen. Hunderte davon sind in Köln erhalten.

Geheime Verbindungen durch Köln

Das hat mich, die ich 1947 geboren bin und keine eigene Erinnerung mehr an den Krieg, an Luftangriffe und Bombardements habe, sofort interessiert. Meine Mutter hat uns Kindern erzählt, eine dass es im Haus ihrer Eltern eine unterirdische Verbindung zu den Nachbarn gab. Wiederholt muss sie bei Fliegeralarm meine ältere Schwester gepackt haben und mit dem Baby in den Luftschutzkeller gerannt sein. Einmal sei sie im Nachbarhaus verschüttet worden – ohne schlimme Folgen, zum Glück.

Alles zum Thema Barbara Schock-Werner

Und auch das gehört zu Mutters Erzählungen: Teile ihrer Aussteuer wie Kristallgläser und Porzellan hatte sie vorsorglich verpackt und in den Luftschutzkeller gestellt, damit sie die Zeiten überdauerten.

Eine „fast europäische Bewegung“

Mit der Einrichtung von Luftschutzräumen in den Häusern der Städte hatte man bereits in den 1920er Jahren begonnen, und das nicht nur in Deutschland. Patrice Wijnands spricht von einer „fast europäischen Bewegung“. Überall machte man sich Gedanken darüber, dass ein kommender Krieg auch in der Luft geführt werden würde und dass somit die Städte durch feindliche Bomber bedroht waren. In Deutschland führte das nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler dazu, dass das NS-Regime die Bevölkerung bewusst und gezielt auf einen Krieg einstimmte. 

Mit dem Reichsluftschutzgesetz vom 26. Juni 1935 wurde staatlicherseits die Grundlage geschaffen, dass jede Hausgemeinschaft sich auf Luftangriffe einstellen und vorbereiten sollte. Die Luftschutzräume sollten im Falle einer Zerstörung des Treppenhauses oder einer Verschüttung der Keller durch Notausgänge verlassen werden können. Vorhandene Kellerfenster wurden, soweit sie nicht vermauert wurden, mit einer Stahltür verschlossen.

Man betrieb, wie Wijnands es nennt, eine systematische „Verbunkerung der Innenstädte“. Das ging so weit, dass man für Schutzräume in öffentlichen Gebäuden wie Bibliotheken oder Kliniken die gleichen Bauteile verwendete, die auch in den Bunkern des Westwalls eingebaut wurden, mit denen Wijnands sich besonders intensiv beschäftigt. „Die Verbunkerung der Grenze und die Verbunkerung der Gesellschaft lagen gedanklich nahe beieinander.“

Der Keller durfte nicht nachgeben

Die deutsche Industrie bot den Bürgern dazu eine ganze Palette spezieller Produkte. Von mehreren Firmen gab es Bausätze für Luftschutz-Vorrichtungen in allen nur denkbaren Formen und Größen. Man konnte sie wie im Otto-Versandkatalog aussuchen und bestellen. Abdeckungen für Kellerluken aus Stahl – etwa von der Firma Mannesmann mit der Prägung „Mannesmann Luftschutz“ - waren so ausgelegt, dass sie auch großem Gewicht standhielten. Selbst wenn also größere Mengen an Schutt darauf fielen, sollten sie nicht nachgeben. Die Feuerwehr konnte dann die Trümmer wegräumen und so den Zugang zu den Verschütteten freilegen.

Aber dazu mussten die Retter erst einmal wissen, wo die Leute sich genau befanden. Und hierfür schrieb das Reichsluftschutzgesetz die „LSR-“, also Luftschutzraum-Markierungen vor. Sinn war es also nicht, Schutzsuchende auf vorhandene Räume hinzuweisen. Die kannten sie ja. Vielmehr sollten die Retter nach einem Angriff darauf aufmerksam werden, wo in ganz oder teilweise eingestürzten Häusern und hinter Bergen von Schutt auf den Straßen noch Menschen in Kellern saßen, aus denen sie sich nicht mehr selbst befreien konnten.

Spuren in Köln erzählen von einem anderen Leben

Wenn Sie in diesen Tagen einen ausgiebigen und natürlich regelkonformen Corona-Spaziergang machen möchten, können auch Sie ja einmal Ausschau nach solchen LSR-Markierungen halten. In Ehrenfeld zum Beispiel: In dem Arbeiter-Vorort der Gründerzeit mit relativ viel erhaltener Bausubstanz sind sie besonders zahlreich erhalten.

Wijnands, der die Luftschutz-Zeichen auf der Grundlage eines Buchs von Robert Schwienbacher Stadtteil für Stadtteil erfasst, spricht von einem „Detektivspiel“ mit einer einfachen Grundregel: Alle Nachkriegsbauten können Sie natürlich direkt auslassen. Unter den Vorkriegsgebäuden ist die Trefferquote bei Häusern der Gründerzeit am höchsten, die oft aus Buntsandstein oder Ziegeln errichtet sind. Das sind beides Materialien, bei denen die Markierungsfarbe tief in den Stein eingezogen ist und somit sehr gut haftet. Selbst mit einem Sandstrahler lässt sie sich kaum entfernen. 

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Es gibt unterschiedliche Typen solcher Markierungen. Am auffälligsten sind mehr oder weniger große Pfeile zusammen mit den Buchstaben „LSR“. Daneben finden sich auch Markierungen mit einem oder zwei großen weißen Punkten – laut Wijnands eine Kölner Spezialität. Sie hatten die gleiche Funktion wie die Pfeile, waren aber wahrscheinlich früher da. „Anfangs verwendete man fluoreszierende Leuchtfarbe. Die war aber teuer. Später kam einfache weiße Farbe zum Einsatz. Dafür wurden die Punkte größer“, sagt Wijnands. Wahrscheinlich hatte man trotzdem die Sorge, dass die Punkte zu unscheinbar sein und zwischen Trümmern leicht übersehen werden könnten. Und so ging man wohl zu den markanteren Pfeilen über, die von 1944 an sogar verpflichtend waren.

So bedrückend der Gedanke an die Luftangriffe auf unsere Städte mit Zerstörung, Tod und Leid ist, so faszinierend finde ich, dass – kaum bemerkt – noch Spuren an den Häusern zu finden sind, in denen die Nachfahren der Kriegsgeneration leben, buchstäblich vor der eigenen Haustür sozusagen. Forscher wie Schwienbacher und Wijnands kommen deshalb genau im richtigen Moment: Zum einen werden die letzten Zeitzeugen bald gestorben sein. Zum anderen werden auch die vorhandenen Luftschutz-Zeichen seltener werden. Wegen baulicher Veränderungen an Altbauten, etwa durch Wärmedämmung, muss Wijnands bei jeder Kartierung in Köln wieder ein paar Einträge streichen.

Aufgezeichnet von Joachim Frank

Lektüre-Tipp: Robert Schwienbacher: LSR – Luftschutz-Relikte des Zweiten Weltkrieges im Kölner Stadtgebiet, Köln 2014/2015 (im Selbstverlag)

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