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Unterwegs mit ZollfahndernJedes dritte Gramm Crystal Meth wird in Köln umgeschlagen

Lesezeit 6 Minuten
Zollkontrolle eines Nagelstudios auf der Venloer Straße in Ehrenfeld.

Zollkontrolle eines Nagelstudios auf der Venloer Straße in Ehrenfeld.

Beim Anblick der Frau, die mit einer gefrorenen Geburtstagstorte im Zug sitzt, werden die beiden Drogenfahnder sofort stutzig. Die Torte steckt in einer Box, Eispacks halten sie kühl. Die Zollermittler sprechen die Frau an. Sie sei in den Niederlanden eingestiegen und reise in die Schweiz, erzählt sie. Die Torte sei für eine Verwandte.

„Ein paar Stunden Fahrt? Mit einer tiefgefrorenen Torte? Die Kollegen ahnten schnell, dass hier etwas nicht stimmt“, erzählt Ralf Saalfeld, Leiter der Kontrolleinheit Verkehrswege beim Kölner Hauptzollamt (HZA), über jene Kontrolle in einem ICE in Köln voriges Jahr.

Einer der Zivilfahnder bohrt das Ende seiner Plastikhandfessel in den süßen Belag und stößt nach wenigen Millimetern auf Widerstand. Dicht unter der Verzierung entdecken die Zöllner eine versteckte Kammer, darin eineinhalb Kilo Crystal Meth. Straßenverkaufswert: knapp 100 000 Euro.

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Verstecke sind das „Salz in der Suppe“

Es gebe Schmuggler, sagt Saalfeld, die packten einfach fünf Kilo Marihuana in einen Koffer und machten sich auf die Reise. Dann gebe es aber eben auch Kuriere wie die Frau mit der Torte, die machten sich richtig Mühe mit einem Versteck. Und das dann zu enttarnen, sagt Saalfeld, mit dem siebten Sinn, mit dem Bauchgefühl eines erfahrenen Zöllners, das sei für sein Team jeden Tag aufs Neue das „Salz in der Suppe“.

Seit ein paar Monaten ziehen die Ermittler des Hauptzollamts (HZA) Köln immer mehr illegales Rauschgift aus dem Verkehr. Vorigen Monat gelangen ihnen gleich zwei Rekordfunde am Flughafen Köln/Bonn: 173 000 Ecstasy-Tabletten mit einem Straßenverkaufswert von 1,3 Millionen Euro und Cannabissamen für 15 Tonnen Marihuana zu einem Straßenpreis von 147 Millionen Euro. Vergleichbare Aufgriffe hat der deutsche Zoll noch nie gemacht.

Mehr als jedes dritte Gramm Crystal Meth und Marihuana, jedes vierte Gramm Amphetamin, jedes achte Gramm Heroin und beinah jede neunte Ecstasy-Pille, die der Zoll 2020 bundesweit sichergestellt hat, wurden vom Kölner Zoll gefunden
HZA-Sprecher Jens Ahland

Den größten Anteil an den 3,3 Tonnen sichergestellten Drogen in Köln 2020 hatten 1200 Kilo Marihuana und 1600 Kilo Khat. Bei Crystal Meth haben sich die Aufgriffsmengen im Vergleich zu 2019 mehr als vervierfacht, bei Heroin, Haschisch und Marihuana mehr als verdreifacht. Oder anders ausgedrückt: „Mehr als jedes dritte Gramm Crystal Meth und Marihuana, jedes vierte Gramm Amphetamin, jedes achte Gramm Heroin und beinah jede neunte Ecstasy-Pille, die der Zoll 2020 bundesweit sichergestellt hat, wurden vom Kölner Zoll gefunden“, sagt HZA-Sprecher Jens Ahland.

Auffällig sei, dass die geschmuggelten Mengen immer größer würden. „Früher waren wir bei harten Drogen im Grammbereich, heute reden wir oft über Kilos“, sagt Leiter Ralf Saalfeld. Das Rauschgift kommt auf allen erdenklichen Wegen nach Köln – im Zug, im Flugzeug, im Schnellbus, im Privatauto, mit der Post. Fahnder und Kuriere liefern sich ein tägliches Katz-und-Maus-Spiel.

Aussortieren mit Bauchgefühl

Mit seiner Kollegin Bettina Manns, die die Kontrollen am Flughafen Köln-Bonn leitet, steht Oberamtsrat Saalfeld an einem Vormittag Ende Mai in einer zugigen Lagerhalle des HZA in Wahn. Vor ihnen stapeln sich Kisten voller Beweismittel – Briefe, die auf den ersten Blick völlig normal wirken und alle gleich aussehen: ein weißes Kuvert, Briefmarke aus den Niederlanden, kein Absender, die Adresse per Hand geschrieben.

Zöllner haben die Sendungen bei einer Routinekontrolle in einem Kölner Postverteilzentrum aussortiert. Bauchgefühl. Jedes Kuvert steckt in einer Klarsichthülle, darauf steht zum Beispiel: „62 Gramm Amphetamine“, adressiert an eine Privatperson am Wiener Platz. „5,6 Gramm Marihuana“ an eine Frau in der Marktstraße. „1,5 Gramm Kokain“ an eine Anschrift in Trier. Vier Cannabissamen Marke „Sex Bad“ nach Frankfurt. Und so weiter. „Die Drogen wurden vermutlich von Privatpersonen im Darknet bestellt“, erklärt Saalfeld. Den Versender zu ermitteln, eine Struktur in den „Ameisenverkehr“ zu bringen, ist allerdings nicht mehr Aufgabe des HZA, sondern des Zollfahndungsamts in Essen.

Die meisten Drogen, die in Köln landen, sind für den Weitertransport in andere deutsche Städte vorgesehen – nach Südeuropa, in die Türkei oder in den Osten. Köln ist internationales Drehkreuz, weltweit tätige Kurierdienste haben ihrer Basis am Flughafen in Wahn. Eine halbe Million Pakete kommt hier jede Nacht an. Nach einer Risikoanalyse bleiben am Ende ungefähr 300 Sendungen übrig, die die Zöllner genauer unter die Lupe nehmen.

Risikoanalyse wird immer genauer

„Wir schauen, wo die Ware herkommt, wo sie hin soll und ob das schlüssig ist“, erklärt Bettina Manns. „Ist es üblich, einen Drucker von Barbados nach Deutschland zu verschicken? Eher nicht. Und dann gucken wir uns das Paket näher an.“ In einem Set Bettwäsche zum Beispiel, das auffiel, weil es ungewöhnlich schwer wog, fanden die Fahnder zwei Kilo MDMA, eine synthetische Droge. In einer scheinbar herkömmlichen Tüte Gummibärchen steckten zwar Gummibärchen – „aber die bestanden aus MDMA“, berichtet Manns.

Wegen der stetig verbesserten Risikoanalyse und immer modernerer Technik zum Aufspüren illegaler Substanzen würden zwar auch immer größere Mengen Rauschgift herausgefischt, sagt Manns. Dennoch sind nach ihrem Eindruck weltweit auch zunehmend mehr Drogen im Umlauf. In Köln und an Köln vorbei gelangt die größte Menge nach wie vor über die Autobahn, in Lastwagen oder in privaten Fahrzeugen.

Drogen hinter dem Armaturenbrett

Ein Nachmittag Anfang Juni auf der A3, Fahrtrichtung Frankfurt. Die uniformierten Zollfahnder Sebastian N. und Thilo F. (Namen geändert) halten im Streifenwagen Ausschau nach verdächtigen Fahrzeugen. Voriges Jahr hat der Zoll 30 Kilo Opium in einem Lkw gefunden. Auch zehn Kilo Haschisch in einem Leihwagen waren dabei, in einer Tüte hinter dem Fahrersitz – leichtes Spiel für die Fahnder. Das „Salz in der Suppe“ sind verborgene Drogendepots im Tank, hinter dem Armaturenbrett oder in Hohlräumen in der Karosserie – fest verbaut und manchmal nur durch raffinierte elektronische Mechanismen zu öffnen.

„Da muss man dann in einer bestimmten Reihenfolge zum Beispiel den Blinker nach unten drücken, dann die Sonnenblende runterklappen, dadurch öffnet sich der Kofferraum und darin ein doppelter Boden voll mit Kokain“, sagt Thilo F. „Hatten wir alles schon.“ Im Zweifel bauen die Zöllner das Auto auseinander. Welche Fahrzeuge im fließenden Verkehr ihren Verdacht erregen, wollen die Beamten nicht verraten, nur so viel: „Es ist ein Zusammenspiel aus Kennzeichen, Fahrzeug und Insassen.“

Ein schwarzer Kleinwagen rauscht vorbei, Offenbacher Kennzeichen, am Steuer ein junger Mann. Die Ermittler überholen den Peugeot und schalten das Display auf dem Streifenwagendach an: „Zoll – Folgen“. Auf dem Rastplatz Königsforst muss der Fahrer aussteigen. Sebastian N. zieht Einmalhandschuhe über und durchsucht eine Kiste mit Schmutzwäsche im Kofferraum, Thilo F. macht einen Drogenschnelltest beim Fahrer – negativ. Auch auf der Rückbank und im Handschuhfach findet N. nichts Verdächtiges. Eine Viertelstunde später darf der Offenbacher weiterfahren. Heute werden die Fahnder nicht fündig.

Dieser Text ist erstmals am 15. Juni 2021 erschienen.

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