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UrteilRaser vom Kölner Auenweg müssen doch ins Gefängnis

Lesezeit 4 Minuten
Auenweg-Raser Krasniqi verpixelt

Die beiden Angeklagten im Kölner Raserprozess mit ihren Verteidigern im Gerichtssaal.

Köln – Saal 13 ist zu klein für das enorme Interesse am Urteil im Raserprozess. Die 50 Sitzplätze im Publikumsbereich sind schnell belegt, Wachtmeister müssen während der Plädoyers immer wieder Zuschauer an der Tür abweisen. Vor der Urteilsverkündung gestattet der Richter, dass Zuschauer ausnahmsweise auch stehen dürfen. Sie reihen sich unter den Fenstern auf und entlang der Sitzreihen.

Als der Vorsitzende Richter verkündet: „Es steht ohne Zweifel fest, dass Bewährungsstrafen nicht in Betracht kommen“, ist es mucksmäuschenstill im Saal. Die Angeklagten Erkan F. (25) und Firat M. (24) verziehen keine Miene, sie starren vor sich auf die Tischplatte. Die Eltern der getöteten Jurastudentin Miriam Scheidel (19) lassen sich ihre Erleichterung nicht anmerken, erst später kommen der Mutter die Tränen. Die Eltern und Geschwister der Angeklagten verharren reglos auf ihren Stühlen im Zuschauerbereich.

So sachlich, umsichtig und unaufgeregt wie der Vorsitzende Richter durch die gesamte Hauptverhandlung geführt hat, so begründet er nun auch das Urteil. Er führt zunächst auf, was aus Sicht der Kammer für die beiden Angeklagten spricht: Sie hätten sich bei der Familie Scheidel entschuldigt, hätten Reue bekundet – auch wenn dies im Fall Firat M. nicht glaubhaft geklungen habe.

Beide seien durch die lange Verfahrensdauer und das hohe Medieninteresse psychisch belastet gewesen, sie seien familiär gut eingebunden, hätten Jobs und seien seit dem Unfall nicht mehr straffällig geworden – wenngleich es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sei, dass man sich an die Rechtsordnung halte, so der Richter.

Nebenkläger sprachen deutliche Worte

All dies begründe zwar eine positive Sozialprognose. Aber: Nichts davon seien „besondere Umstände“, die das Gesetz für eine Strafaussetzung zur Bewährung vorschreibt. Diese Umstände müssen sogar umso gewichtiger sein, je näher die Strafe an der Obergrenze von zwei Jahren liegt, die noch zur Bewährung ausgesetzt werden kann.

Erkan F. liegt laut seiner rechtskräftigen Verurteilung aus dem erstinstanzlichen Urteil von 2016 mit exakt zwei Jahren genau auf dieser Grenze, Firat M. mit einem Jahr und neun Monaten knapp darunter. Besondere Umstände können zum Beispiel sein: eine besonders beeindruckende Zeit in der Untersuchungshaft, handfeste berufliche oder finanzielle Nachteile durch die begangene Tat oder das Gerichtsverfahren oder andere „besondere Belastungen“. Aber nichts davon trifft nach Ansicht der 3. Großen Strafkammer offenbar auf die beiden Raser vom Auenweg zu.

Dass Firat M. sich kurz vor und dann noch ein mal während der laufenden Hauptverhandlung in psychologische und psychiatrische Untersuchungen begab, wertet der Staatsanwalt in seinem Plädoyer nicht als „besondere Belastung“. Das sei eher eine „normale Folge“ nach einem Tötungsdelikt.

Vor allem Firat M. habe kein festes Ziel in seinem Leben vor Augen, stellt der Ankläger fest. Er reagiere nur auf Impulse von außen, zumeist von seiner Mutter – ob es nun um eine Job-Bewerbung ging, um einen ehrenamtliche Job im Flüchtlingsheim oder darum, eine Psychologin aufzusuchen.

Nikolaos Gazeas, der die Familie Scheidel als Nebenkläger vertritt, wird in seinem Plädoyer noch deutlicher. Firat M. habe vor Gericht gelogen, verharmlost und sich selbst in eine Opferrolle versetzt, die ihm nicht zustehe. Er habe behauptet, nach dem Unfall schnellen Autos abgeschworen zu haben, sei dann aber vier Monate nach dem ersten Urteil 2016 als Beifahrer in einem getunten Mercedes in eine Raserkontrolle der Polizei geraten.

Verteidiger hielten Bewährungsstrafen für angemessen

Den tödlichen Unfall will er aus einer „Sorglosigkeit“ heraus verursacht haben, statt die Dinge so zu benennen, wie sie sind: eine laut Gazeas „rücksichtslose, aggressive Raserei“. Firat M. sehe sich als Opfer einer Medienhetze, obwohl die Medien über den Prozess „völlig neutral und objektiv berichtet hätten“. Kurzum: Der 24-Jährige habe ein „trauriges Bild“ abgegeben.

M.s Anwalt Sebastian Schölzel kontert in seinem Schlussvortrag: „Was hätte er denn machen müssen, um sich den Erhalt seiner Bewährung zu verdienen?“ Er sei mit seinen 24 Jahren noch unreif, gebe sich aber Mühe. Und sicher sei: „Im Knast wird er das nicht lernen.“ Michael Biela-Bätje beschreibt seinen Mandanten Erkan F. im Plädoyer als „gereift“. Beide Anwälte wollen, dass die Bewährungsstrafen aufrechterhalten werden – vergeblich.

„Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten“, schließt der Richter seine Begründung: „Entweder Sie akzeptieren das Urteil und schließen mit der Sache ab. Das wäre für Sie, aber auch für die Familie Scheidel ein wichtiger Schritt. Oder Sie legen Revision ein.“ Dann ginge das Verfahren erneut vor den Bundesgerichtshof (BGH).

„Abschließen“ ist ein großes Wort – vor allem für die Eltern und den Bruder von Miriam Scheidel. „Die Gefängnisstrafe kann Miriam nicht zum Leben erwecken, die schwere Last bleibt bestehen“, sagt Anwalt Gazeas nach dem Prozess. Dennoch hoffe die Familie, dass die Angeklagten das Urteil nicht vor dem BGH angriffen.

Dass die Angeklagten die volle Strafe im Gefängnis absitzen müssen, ist indes unwahrscheinlich. Als Ersttäter dürfen sie auf den offenen Vollzug hoffen, sie müssten also nur die Nächte im Gefängnis verbringen. Bei guter Führung könnten sie zudem vorzeitig auf Bewährung entlassen werden.  

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