KVB-Fahrerin schlägt Alarm„Der Respekt im Allgemeinen geht verloren“

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Jennifer Schulz fährt seit zehn Jahren Straßenbahn – am liebsten auf den Linien 16 und 18.

Jennifer Schulz fährt seit zehn Jahren Straßenbahn – am liebsten auf den Linien 16 und 18.

  • KVB-Fahrerin Jennifer Schulz ärgert sich, wenn die Tür blockiert wird oder Betrunkene randalieren – Öffentlicher Nahverkehr im Veedels-Check

Köln – Ihre Frühschicht hat Jennifer Schulz schon hinter sich. Um 4.40 Uhr hat sie am Neumarkt die Linie 18 Richtung Bonn übernommen, später war sie auf der 16 und der 7 unterwegs. Das Leben der 33-Jährigen ist streng durchgetaktet, seit zehn Jahren fährt Jennifer Schulz für die Kölner Verkehrs-Betriebe Straßenbahnen auf allen Strecken. Die gebürtige Kölnerin liebt Pünktlichkeit. Nur im Urlaub will sie mit der Uhr nichts zu tun haben.

Von welcher Straßenbahn-Linie träumen Sie nachts?

Gott sei Dank von keiner.

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Und was sind Ihre Traum-Linien?

Die 16 und die 18. Dann geht es bis nach Bonn. Da sind die Menschen nicht mehr so gestresst wie in Köln und sie freuen sich noch, wenn sie uns sehen. Das liegt aber auch daran, dass wir hier nur im 20- oder 30-Minuten-Takt fahren.

Ab wann genau werden die Leute lockerer?

Auf der Linie 18 ab dem Kiebitzweg in Hürth. In Hürth-Efferen ist noch Hektik angesagt, dann wird es besser. Generell sind die Leute in den Randgebieten freundlicher, da werde ich auch mal begrüßt. Das gibt es in Köln nicht mehr.

Haben Sie das Gefühl, dass der Respekt verloren geht?

Der Respekt im Allgemeinen geht verloren. Und die Menschen stehen mehr unter Stress. Selbst wenn die Bahn pünktlich ist. Auch die Unaufmerksamkeit durch Handy-Nutzung ist ein Problem. Als Straßenbahnfahrer muss man höllisch aufpassen, weil viele Menschen unachtsam sind. Am schlimmsten ist die Kombination aus Handynutzung und Kopfhörern. Da heißt es bremsen und klingeln.

Hatten Sie mal Unfälle?

Nur einen Blechschaden. Und einmal bin ich vom Barbarossaplatz Richtung Ubierring gefahren, als eine Frau bei Rot über die Fußgängerampel gegangen ist. Ich habe die Gefahrenbremsung ausgelöst, die immer mit einem Klingeln verbunden ist. Dadurch hat sich die Frau erschrocken und ist in die Hocke gegangen. Ich sah sie nicht mehr und wusste nicht, ob ich sie angefahren hatte oder nicht. Das war eine Schrecksekunde. Als ich die Tür öffnete, kam sie zum Glück wieder zum Vorschein. Beinahe-Unfälle gibt es so gut wie jeden Tag. Oder Beschimpfungen. Heute Morgen stand ich auf der Linie 16 an der Haltestelle Kinderkrankenhaus, als ein Mann mit Kind bei Rot über die Gleise laufen wollte. Als ich klingelte, beschimpfte er mich dafür.

Haben Sie Angst, dass Sie mal jemanden mit der Bahn anfahren könnten?

Das Risiko besteht immer, aber wenn ich immer Angst hätte, wäre ich im falschen Beruf.

Warum haben Sie diesen Beruf ergriffen?

Auch, weil mein Onkel mir dazu geraten hat, der war selbst Straßenbahnfahrer. Aber jeder muss seine eigenen Vor- und Nachteile an dem Job erkennen. Für mich haben am Anfang vor allem die Wochenend-Dienste eine Umstellung bedeutet, weil ich damals noch sonntags Fußball gespielt habe.

Und was macht Ihnen besonders Spaß?

Über die Deutzer Brücke zu fahren und den Dom zu sehen. Und das eigenständige Arbeiten, es sitzt mir nicht immer ein Chef im Nacken. Wir Fahrer tragen viel Verantwortung und uns wird viel Vertrauen entgegengebracht. Auch der Zusammenhalt unter den Kollegen ist groß.

Können Sie sich noch an Ihre allererste Fahrt allein erinnern?

Ja, da habe ich einen auf den Deckel bekommen. Ich stand an der Haltestelle und habe meinen Kopf abgestützt. Dummerweise stand mein Onkel auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig und beobachtete mich. „Das kannst Du nicht machen, das sieht gelangweilt aus“, meinte er am nächsten Tag.

Welche Fahrt ist Ihnen besonders positiv im Gedächtnis geblieben?

Ich durfte 2015 die Jungfernfahrt der Linie 17 von Rodenkirchen bis zum Chlodwigplatz mit vielen Ehrengästen fahren. Das war auch für mich sehr spannend und ein Zeichen, dass es auf der Nord-Süd-Stadtbahn weitergeht. Auch die Fahrten mit dem mittlerweile eingestellten Colonia-Partywagen waren immer sehr schön.

Es macht Spaß, mit einem Haufen Betrunkener im Schlepptau zu fahren?

Das stört mich nicht, die habe ich am Wochenende auch immer hinten drin. Dann werden allerdings auch mal Scheiben eingeschlagen. Oder es gibt Prügeleien. Im Colonia-Express haben alle nur gemütlich beieinandergesessen.

Was tun Sie, wenn alkoholisierte Fahrgäste aggressiv werden?

Ich drücke meinen Funkknopf und informiere die Leitstelle, damit die Kollegen Hilfskräfte und Polizei schicken. In der Zeit bitte ich die unbeteiligten Fahrgäste, in den anderen Wagen zu gehen, wo sie in Sicherheit sind. Die Streithähne bleiben dann unter sich, bis die Polizei da ist. Das dauert meistens nur zwei oder drei Minuten.

Lernt man den Umgang mit renitenten Fahrgästen in der Ausbildung?

Ja, man wird drauf geschult, aber Schulung und Ernstfall sind verschiedene Dinge. Es ist ja auch immer unterschiedlich, wie die Leute drauf sind. Insgesamt geht es immer aggressiver zu, weil viele ihre Grenzen nicht kennen, was den Alkoholkonsum angeht. Vor allem in den frühen Morgenstunden an den Wochenenden ist es nicht mehr schön.

Wie sehr sind Sie von Fahrgästen genervt, die die Türen für andere aufhalten?

Manchmal sehr. Wenn eine Tür am Neumarkt 40 Sekunden aufgehalten wird, bildet sich schon ein Stau hinter mir. Vor allem die Fahrgäste, die pünktlich waren, werden bestraft. Ich bin oft in Berlin unterwegs, da gibt es sowas nicht. Warum das in Köln anders ist, weiß ich nicht.

Gibt's dann eine launische Durchsage von Ihnen?

Nein, ich muss es erdulden. Selbst wenn ich was sage, bleibt derjenige ja in der Tür stehen. Ich habe da keine Handhabe einzugreifen.

Wann ist für Sie die Grenze erreicht, wo Sie nicht mehr fahren?

Mit einem kleinen Husten oder Schnupfen würde ich fahren, aber nicht mit Fieber und starken Kopfschmerzen. Jeder sollte seinen Körper gut genug einschätzen können, um seine Grenzen zu kennen. Wenn ich von jetzt auf gleich einen Migräneanfall bekomme, kann ich das Fahrzeug auch schnellstmöglich stehen lassen und es würde jemand geschickt, der es wegfährt.

Träumen Sie davon, mal in anderen Städten Straßenbahn zu fahren?

Nein, ich bin an Köln gebunden. Ich liebe die Stadt. Ich brauche meinen Dom.

Zur Person

Jennifer Schulz absolvierte zunächst eine Ausbildung zur Bürokauffrau, bevor sie sich zur Straßenbahnfahrerin umschulen ließ. Die 33-Jährige, die in Humboldt-Gremberg aufwuchs, ist mittlerweile seit zehn Jahren auf allen Stadtbahn-Linien der Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) unterwegs. Zudem ist sie als Ausbilderin für angehende Straßenbahnfahrer aktiv. Diese werden unter anderem auch darin geschult, mit aggressiven Fahrgästen umzugehen und Unbeteiligte im Notfall in Sicherheit zu bringen. (cht)

Ausbaupläne der KVB für Köln

Die dritte Ausbaustufe der Nord-Süd-Stadtbahn soll in diesem Jahr beginnen, die umstrittene Linien-Verlängerung führt von der Haltestelle Marktstraße über die Bonner Straße bis zum Verteilerkreis Süd und ist 2,1 Kilometer lang.

Die Ost-West-Achse (Linien 1, 7 und 9) ist stark überlastet und soll vom Heumarkt bis zum Melaten-Friedhof ausgebaut werden. Im Raum stehen mehrere Tunnel-Varianten, aber auch rein oberirdische Lösungen. Eine Bürgerbeteiligung ist kürzlich gestartet worden. Langfristige, noch unkonkrete Ausbaupläne gibt es für die Linie 1, die von Weiden nach Widdersdorf verlängert werden soll und für die Linie 7, die von der jetzigen Endhaltestelle Zündorf bis zur Ranzeler Straße führen soll. Auch der Mülheimer Süden soll direkt per Straßenbahn erreichbar sein, eine Anbindung über die Deutz-Mülheimer Straße ist im Gespräch.

Die Linie 13, die heute in Sülz endet, soll eines Tages Richtung Rhein ausgebaut und entweder mit der Nord-Süd-Stadtbahn (Linie 5) oder weiter westlich mit der Linie 16 verknüpft werden.

Die KVB in Zahlen

382 Stadtbahnen gehören zum Fuhrpark des Unternehmens, ebenso wie 222 eigene Busse. Hinzu kommen weitere rund 100 Fahrzeuge von Subunternehmern. Die Busse verbrauchen pro Tag rund 20.000 Liter Diesel. Die KVB beschäftigt rund 760 Bahnfahrer und weitere 650 Busfahrer.

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