Veedels-Check„Die fünf reichsten Kölner Viertel bleiben die gleichen“

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Jürgen Friedrichs

Köln – Wie sieht die Stadt der Zukunft aus? Wie werden sich die Viertel verändern, wenn die Bevölkerung wächst und die Preise fürs Wohnen weiter in die Höhe klettern? Der renommierte Kölner Stadtsoziologe Jürgen Friedrichs forscht seit Jahrzehnten zu diesen und anderen Fragen. Sein Rat ist in Politik und Verwaltung gefragt. Seinen Doktor hat der leidenschaftliche Wahlkölner in Philosophie gemacht. Auch als 79-Jähriger ist er nach wie vor an der Kölner Universität für das Institut für Soziologie und Sozialpsychologie aktiv.

Die Kölner besingen das „Veedel“ mit Tränen und Leidenschaft. Ist dieses „Veedel“ etwas typisch Kölsches?

Da muss ich die Kölner enttäuschen. Anderswo sagt man „mein Kiez“, in Paris spricht man von „mon quartier“. Dieses Gefühl von Verbundenheit mit dem eigenen Viertel gibt es in jeder Großstadt. Hinzu kommt: Durch den Zuzug von Menschen verändert sich die Bevölkerung in den Städten und somit auch in den Stadtvierteln.

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Das bedeutet auch, dass sich die Städte immer ähnlicher werden…

Das Typische wie eine eigene Sprache oder ein Dialekt gehen verloren. Das ist in allen Großstädten ähnlich. Wenn ein Arbeiter in Hamburg mit Helmut Schmidt auf Platt gesprochen hätte, hätte er ihn geduzt. Das ist in Köln nicht anders. Aber diese Formen der Unmittelbarkeit gehen verloren. Ich freue mich, wenn Menschen noch Kölsch sprechen. Aber das geht leider vorbei.

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Ist das besungene Veedel ein Mythos oder nur Nostalgie – oder kann man mit dem Begriff auch ein zukunftstaugliches politisches Ziel beschreiben?

Mit dem Begriff verbindet sich zunächst einmal nur der Wunsch, dass wir unsere Nachbarschaft kennen wollen und dass wir uns in der unmittelbaren Wohnumgebung, in der wir uns bewegen, wohlfühlen wollen. Das kann natürlich auch ein politisches Ziel beschreiben. In Köln gibt es ja das sehr kluge und auch erfolgreiche Programm „Lebenswerte Veedel“. Mit ihm verbindet sich die Idee, ein Viertel und die Identifikation der Bürger mit ihm zu stärken. Man vermutet, dass sich die Menschen dann auch mehr um ihr Viertel kümmern werden.

Ist das keine Selbstverständlichkeit?

Nein. Wir haben eine Studie über Chorweiler gemacht und gesehen, dass es Leute gibt, denen ihr Viertel egal ist. Die ziehen sich raus. Sagen: Ich habe mir den Ort nicht ausgesucht, wo ich leben muss. Dann guckt man nicht mehr hin. Das ist das Schlimmste, was einem Viertel passieren kann. Dann sinkt die Bereitschaft, soziale Kontrolle auszuüben, und es geht bergab. Grundsätzlich kann man aber sagen: Es ist schwer denkbar, dass man irgendwo lebt und überhaupt nicht mitbekommt, was der Nachbar tut. Und dazu muss man nicht auf dem Kissen auf dem Fensterbrett liegen. Es gibt eine fast unbeabsichtigte Form, Nachbarschaft mitzubekommen. Wir kriegen mehr mit, als wir uns klar machen.

Ist dieses Gefühl für das eigene Viertel in den einzelnen Stadtteilen unterschiedlich stark ausgeprägt?

Ich glaube, das hat noch keiner richtig untersucht. Aber ich nehme mal an, dass es so ist. Man kann vermuten, dass in manchen äußeren, weniger urbanen Stadtteilen die Veedelsbeziehungen enger sind als in den dicht bewohnten Vierteln in Innenstadtnähe. So unterscheiden sich auch die Vorstellungen vom Leben in der Stadt. In Worringen und Brück hat man einen anderen Blick auf die Stadt als in Sülz oder der Innenstadt.

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In der Südstadt klagen viele über die zunehmende Gentrifizierung. 

Welche Rolle spielt die Sozialstruktur der Bevölkerung in einem Stadtteil, wenn es um Zusammenhalt und Identifikation geht?

Man kann davon ausgehen, dass man sich in Gebieten, wo die untere Mittelschicht wohnt, eher kennt. Und da, wo Oberschicht und obere Mittelschicht lebt, eher nicht. Entscheidender ist aber, dass man sich darauf verlassen kann, dass es eine gewisse soziale Kontrolle gibt. Und dafür muss nicht jeder jeden persönlich kennen.

Aber die alten Milieus und identitätsstiftenden Verbindungen zerbröckeln. Mancherorts traut sich keiner mehr, Nachbarn, die den sozialen Frieden in der Nachbarschaft stören, anzusprechen. Kann man da gegensteuern?

Die Stadt tut das mit ihrem Programm „Lebenswerte Veedel“ und ihrer Sozialraumorientierung. Es zeigt sich, dass man Bürger für ihr Viertel mobilisieren kann. Die Bürger müssen sich gemeinsam darüber verständigen, was sie wollen und was nicht. Die Bereitschaft sich zu kümmern und auch mal jemanden darauf hinzuweisen, dass er sich falsch verhält, nimmt zu, wenn man weiß, dass man nicht alleine ist.

Die Stadt hält beim Wohnungsbau nicht mit dem Bevölkerungswachstum mit. Welche Folgen hat das für die einzelnen Viertel?

Ärmere Menschen finden nur noch eine Wohnung in sozial schwächeren Stadtteilen, die ohnehin durch hohe Arbeitslosigkeit und hohe Sozialhilfeempfängerquote belastet sind. Auch besteht die Gefahr, dass sich so ethnische Communities bilden, weil alle in den gleichen Stadtteilen wohnen. Die Probleme in diesen Stadtteilen verstärken sich also.

Und wie sieht es in den Vierteln aus, die sozial besser gestellt sind und vielleicht noch über ein hohes Maß an sozialer Mischung verfügen?

Der Druck in diesen Vierteln und die Verdrängung von Menschen wird zunehmen. Wenn in solchen Vierteln gebaut wird, sind es vor allem Häuser mit Eigentumswohnungen, für die alte Gebäude abgerissen werden. Für diejenigen, die vorher in den preiswerteren Wohnungen hätten leben können, gibt es weniger Platz. Das kann man sehr gut in Sülz beobachten. Die Verdrängung findet statt. So wie in der Südstadt, in Nippes oder Ehrenfeld. Die Aufwertung des Rechtsrheinischen wird auch Mülheim und Deutz erfassen. Da entsteht eine Dynamik, die man nicht einfach anhalten kann.

Was muss die Stadt tun?

Sie muss vor allem mehr bauen – und zwar bezahlbare und geförderte Wohnungen. Und sie muss dabei darauf achten, dass es eine Mischung gibt. Und die muss möglichst kleinteilig sein. Ich mag das Bild vom Pfefferstreuer mit den unterschiedlich getönten Körnern auf kleiner Fläche.

Was bedeutet das konkret zum Beispiel für die Unterbringung von Flüchtlingen?

Man sollte Flüchtlinge, die dauerhaft hier bleiben, nicht in sozial schwächeren Vierteln unterbringen. Es ist auch nicht richtig, Wohnungen nur für sie zu bauen. Überall muss kleinteilig sozialer Wohnungsbau entstehen. Und man darf ihm von außen nicht ansehen, dass es sich um geförderte Wohnungen handelt. Das wäre eine Einladung zur Diskriminierung.

Kann man auch in sozial schwächeren Vierteln die Mischung fördern und sie für andere Bevölkerungsgruppen attraktiver machen?

Überall in Europa sind Erfahrungen gesammelt worden. Gemeinhin versucht man, ärmere Gebiete aufzuwerten, indem man Eigentumswohnungen baut, um die Mittelschicht anzuziehen. Das ist das Standardrezept. Es funktioniert aber nur bedingt. Es ziehen zwar neue Leute hin. Aber es entstehen nicht die Verbindungen zwischen den verschiedenen Gruppen, die man eigentlich will. Die neuen Bewohner bleiben in den neuen Häuserblocks unter sich. Man begegnete sich nicht. Die neuen und alten Bewohner haben oft noch nicht einmal die gleichen Wege.

Besteht die Gefahr, dass alle Viertel gleich werden?

Nein. Diese Gleichheit würde man nicht wollen. Außerdem kann man sagen, dass die meisten Viertel in Köln immer noch gemischte Viertel sind. Und es gibt die Viertel, die sich einfach nicht mischen lassen. Wir haben Köln und 14 weitere Städte in Deutschland untersucht: Die fünf ärmsten Viertel und die fünf reichsten Viertel bleiben in der Regel immer die gleichen.

Muss man das akzeptieren?

Ich weiß nicht, ob man das akzeptieren muss. Daran etwas zu ändern, ist aber sehr schwer. So werden immer Menschen in Viertel ziehen, die topografisch attraktiv sind, weil sie zum Beispiel am Rhein oder an anderen Gewässern in einer schönen Umgebung liegen.

Chorweiler liegt auch in einer schönen Umgebung…

Da ist die Architektur der entscheidende Faktor.

Viele Viertel leiden darunter, dass ihre Zentren kaputt gehen, die wichtig für die Identität des Veedels sind. Kann man da etwas gegen tun?

Die Stadt muss sich mit Investoren anlegen. In Kalk haben wir gesehen, was nach dem Bau der Köln-Arcaden passiert ist. Man hat eine gut funktionierende Straße platt gemacht. In Ehrenfeld haben die Bürger eine ähnliche Entwicklung auf dem Helios-Gelände verhindert. Die Stadt hat eine Verantwortung für die Rettung des Einzelhandels in den Stadtteilen.

Dazu braucht es aber auch einsichtige Hausbesitzer, die nicht nur an ihre Miete fürs Ladenlokal denken, sondern das ganze Viertel im Blick haben…

Es gibt die gute alte Idee, eine Einkaufsstraße genauso zu managen wie ein Einkaufszentrum, in dem ein vielfältiges Angebot die Kunden lockt. Es können nicht alle die gleiche Miete zahlen, es gibt eine Mischkalkulation. Man müsste alle Erdgeschosse einer Straße einem gemeinsamen Management übertragen und sich die Einnahmen teilen. Aber das ist meines Wissens noch nirgendwo gelungen.

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