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Verbreitung von KinderpornografieFast jeder vierte Täter in Köln ist jünger als 18

Lesezeit 4 Minuten
Auswerter im KK13

Ein Ermittler des KK13 in Köln sichtet kinderpornografisches Material und wertet es aus.

Köln – Die Sorge, etwas zu übersehen, eine heiße Spur nicht als solche zu erkennen, ist allgegenwärtig bei den Ermittlerinnen und Ermittlern des Kriminalkommissariats 13. „Der Druck ist enorm hoch“, sagt Lisa Walbrodt, die stellvertretende Kommissariatsleiterin. Der Polizei gehe vielleicht schon mal ein Ladendieb durch die Lappen. „Wenn uns aber ein Missbraucher durch die Lappen geht, der dann weiter über Jahre Kindern sexuelle Gewalt antut, hat das ganz andere Konsequenzen.“

Vor einem knappen Jahr hat die Polizei Köln als erste und bislang einzige Behörde im Land eine Dienststelle eingerichtet, die nichts anderes tut als die Herstellung und Verbreitung von Kinderpornografie in Köln und Umland  zu bekämpfen. Ein Kraftakt. Nicht nur organisatorisch und wegen der hohen Verantwortung, die das Team trägt, sondern auch wegen der psychischen Belastung für die Ermittler, die die Filme und Fotos auswerten müssen. „Die Gefahr, den Glauben an die Menschheit zu verlieren, ist in diesem Bereich sehr groß“, sagt Kripochef Stephan Becker.

Jeder vierte Täter ist jünger als 18

Ein Phänomen, das die Beamten des KK13 neuerdings besonders umtreibt, ist die wachsende Zahl an Minderjährigen unter jenen, die kinderpornografisches Material verbreiten. Mehr als 20 Prozent, fast jeder vierte Verdächtige, den die Ermittler identifizieren, ist inzwischen jünger als 18. Pädokriminelle seien das in aller Regel nicht, betont Kommissariatsleiterin Susanne Müller. Stattdessen fänden sie es „einfach angesagt“, manche auch lustig, die Filme und Bilder in Chats zu verbreiten. „Das ist eine ganz gefährliche Entwicklung.“

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Vor allem pädokriminelle Täter wiederum nutzen diese Arglosigkeit mancher Kinder und Jugendlicher skrupellos aus. Müller hat Siebenjährige kennengelernt, die ein eigenes Handy besitzen und Chatkontakte zu Erwachsenen knüpften, die sich als gleichaltrig ausgaben. Geschickt animierten diese ihre jungen Opfer dazu, sich nackt zu filmen oder zu fotografieren und die Bilder und Videos zu verschicken. „Das natürliche Schamgefühl wird von den Tätern ganz subtil ausgehebelt“, erklärt Kripochef Becker.

Videos werden als Mutprobe bei Tiktok verbreitet

Vermehrt luden Schüler kinder- und jugendpornografisches Material, aber mitunter auch tier- und gewaltpornografische Darstellungen beim sozialen Netzwerk Tiktok hoch und verbreiteten es in ihrer Community, sagt Müller. „Sie begreifen das als Challenge, als Mutprobe. Sie machen sich überhaupt keine Gedanken darüber, in welche Hände dieses Material geraten kann.“ Man müsse sich zudem fragen: „Was macht es mit den Kindern und Jugendlichen, dieses Material zu konsumieren? Was bedeutet das für ihre sexuelle Entwicklung?“ Dass sich die jungen Täter überdies strafbar machen, sofern sie mindestens 14 Jahre alt sind, sei den wenigsten bewusst.

Kripochef Becker regt an, die digitale Kompetenz schon im Kindergarten zu schulen, die Hauptverantwortung sieht er aber bei den Eltern. „Wenn ich meinem Kind schon ein Handy in die Hand gebe, sollte ich auch drauf gucken, was es damit eigentlich macht.“ Die soziale Isolation in Pandemiezeiten verschärft das Problem möglicherweise noch. „Das Handy, der PC sind für viele Kinder und Jugendliche gerade die einzige Tür zur Außenwelt“, sagt Becker.

„Die Nachfrage nach diesen Bildern explodiert“

Seit Monaten registriert die Polizei rasant wachsende Fallzahlen im Bereich Kinderpornografie. „Die Nachfrage nach diesen Bildern explodiert und das steigert die Gefahr, dass es zu weiteren Missbrauchshandlungen kommt“, sagt Becker. Noch vor zwei Jahren lagen im Kölner Präsidium 109 offene Ermittlungsverfahren auf dem Tisch, aktuell sind es mehr als 500. Vollstreckten die Beamten 2018 noch 56 Durchsuchungsbeschlüsse im gesamten Jahr, so sind es inzwischen 20 pro Monat, fast an jedem Arbeitstag eine. Längst stellen die Fahnder mehr verdächtiges Material sicher, als sie auswerten können. „Wir werden regelrecht überrollt von Verfahren im Bereich Kinderpornografie“, schildert Becker. Und das, obwohl die Zahl der Ermittler in den vergangenen beiden Jahren schon von sieben auf 29 aufgestockt wurde. Sechs weitere sollen demnächst im KK13 noch dazustoßen. Trotzdem sagt Becker: „Wir kommen personell an unsere Grenzen.“

Ein Grund für die steigenden Zahlen ist: Je intensiver die Polizei ermittelt, desto mehr Fälle gräbt sie auch aus. Ein anderer ist, dass es für die Täter nie leichter war, Bilder und Videos in großer Menge in Chatforen und sozialen Netzwerken zu tauschen als heute. Früher wurde kinderpornografisches Material in Kiosks und Videotheken unter dem Ladentisch gehandelt. Inzwischen kursieren im Internet nahezu frei verfügbar Filme und Fotos schlimmster Missbräuche schon von Kleinkindern und Säuglingen. Und genau an diesem Punkt setzt die Polizei in ihrer Präventionsarbeit an.

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Konfrontiere sie die Schüler, die kinderpornografisches Material verbreitet haben, mit ihren Taten, sagten die einen: „Interessiert mich nicht“, schildert Lisa Walbrodt. Andere dagegen brächen regelrecht zusammen, „wenn man ihnen vor Augen führt, dass für jedes Video ein Kind höllischste Qualen erleiden musste“. Mit Elternbriefen und Handlungsempfehlungen für Lehrerinnen und Lehrer will die Polizei dem Thema auch im Schulumfeld künftig noch mehr Aufmerksamkeit verschaffen.

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