Verurteilter Missbrauchstäter Ue.Fall hat für Woelki keine juristischen Folgen

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Kardinal Rainer Woelki

Köln – Im Fall des Kölner Priesters und Sexual-Serientäters Hans Ue. ist Kardinal Rainer Woelki juristisch aus dem Schneider. Die Kölner Staatsanwaltschaft lehnt Ermittlungen gegen den Erzbischof und andere hochrangige kirchliche Würdenträger ab.

Aus dem Prozess und der Urteilsbegründung gegen Ue., gegen den Landgericht Köln im Februar eine Haftstrafe von zwölf Jahren verhängt hatte, hätten sich keine „zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für verfolgbare Straftaten“ ergeben, heißt es in einem Bescheid der Behörde, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt. Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller spricht von einer politischen Entscheidung und wirft der Staatsanwaltschaft „Beißhemmung“ der Kirche gegenüber vor. Woelki selbst sieht sich nach Angaben des Erzbistums „von den erhobenen Vorwürfen vollständig entlastet“.

Strafanzeigen gegen Woelki

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Gegen Woelki, seinen ehemaligen Generalvikar Markus Hofmann, den früheren Offizial (Leiter des Kirchengerichts) Günter Assenmacher und den früheren Generalvikar Stefan Heße (heute Erzbischof von Hamburg) waren mehr als 30 Strafanzeigen gestellt worden mit der Aufforderung, gegen die Kirchenmänner unter anderem wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch von Kindern zu ermitteln.

Im Prozess vor dem Landgericht kam wiederholt die Frage einer Mitverantwortung der Kirche für Ue.s Taten zur Sprache, gegen den weder Woelki noch von dessen Vorgänger Joachim Meisner ein striktes Kontaktverbot zu Kindern und Jugendlichen verhängt oder ihm andere Auflagen wie eine Therapie oder regelmäßige Kontrollen gemacht hatten. Wie sich im Prozess herausstellte, setzte der heute 71 Jahre alte Ue. auch in der Zeit, in der das Erzbistum die Missbrauchsvorwürfe gegen ihn kannte, seine Taten fort – bis mindestens 2019. Verurteilt wurde er wegen insgesamt 110 Missbrauchsvergehen an neun Mädchen in der Zeit von 1993 bis 2018. 

Fall Ue.: Gericht macht Kirchenverantwortlichen Vorhaltungen

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Christoph Kaufmann, Vorsitzender Richter der 2. Großen Strafkammer am Landgericht Köln

Der Vorsitzende Richter Christoph Kaufmann stellte in der Hauptverhandlung fest, es hätte seitens der Kirche keiner besonderen Anstrengungen bedurft, um zum damaligen Zeitpunkt unbekannte Opfer von Ue. ausfindig zu machen und weitere Missbrauchsvergehen aufzudecken.

Die Staatsanwaltschaft bezweifelt nun in ihrem Antwortschreiben auf die Anzeigen, dass Woelki und andere eine strafrechtlich relevante Pflicht zum Handeln, eine sogenannte Garantenpflicht, hatten. „Jedenfalls ist nach den hier vorliegenden Erkenntnissen nicht ersichtlich, dass die konkreten Taten durch ein bestimmtes Handeln der angezeigten Personen, zum Beispiel (weitere) dienstliche Sanktionen, sicher hätten verhindert werden können“, schreibt Staatsanwalt Maurice Niehoff, der im Prozess gegen Ue. die Anklage vertreten hatte.

Keine Hinweise auf Strafvereitelung

Auch eine mögliche fahrlässige Körperverletzung durch Unterlassen geeigneter Gegenmaßnahmen sei nicht festzustellen. Hinweise auf Strafvereitelung hätten sich ebenfalls nicht ergeben. „Vor diesem Hintergrund war die beantragte Aufnahme strafrechtlicher Ermittlungen abzulehnen“, so Niehoff abschließend.

Das Erzbistum zeigte sich zufrieden. „Dass die Staatsanwaltschaft Köln die Aufnahme von Ermittlungen abgelehnt hat, bedeutet, dass nicht einmal der geringste Verdachtsgrad im Sinne eines Anfangsverdachts bestanden hat. Der Kardinal und der ehemalige Generalvikar Markus Hofmann sehen sich durch diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft von den erhobenen Vorwürfen vollständig entlastet“. heißt es in einer Mitteilung des Bistums.

Maria 2.0: Schockierende Entscheidung

Die Initiative Maria 2.0 nannte die Entscheidung der Staatsanwaltschaft schockierend. So sei im Prozess gegen Ue. deutlich geworden, dass der damalige Personalchef Heße sowie Offizial Assenmacher 2010 trotz vorliegender Aussagen von Opfern und Hinweisen aus den Gemeinden nichts unternommen hätten, um Ue. zu stoppen. „Es steht außer Frage, dass ein verantwortliches Handeln weitere Taten verhindert hätte", sagte die Sprecherin von Maria 2.0., Maria Mesrian, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Stattdessen habe man „auf die bewährten Mittel Vertuschung und Stillschweigen gesetzt“.

Kardinal Woelki und seinen heutigen Personalchef Mike Kolb treffe insofern Schuld, als sie Ue. auch nach Wiederaufnahme des Verfahrens 2018 nicht mit wirksamen Mitteln überwacht hätten.

Mainzer Juraprofessor: Fragwürdiger Bescheid

Der Mainzer Juraprofessor Jörg Scheinfeld sprach von einem fragwürdigen Bescheid der Staatsanwaltschaft. „Daraus geht nicht hervor, ob die Behörde ihrer Ermittlungspflicht auch nur ansatzweise nachgekommen ist“, sagte der Strafrechtler dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

So hätte die entscheidende Frage, ob Woelki und andere Verantwortliche mit einem Bündel von Maßnahmen gegen Ue. – wie Kontaktverbot, Kontrollen und Information der jeweiligen Dienstvorgesetzten – weitere Missbrauchstaten hätten verhindern können, zunächst einmal geprüft werden müssen, statt sie von vornherein zu verneinen.

Verdacht nach aller kriminalistischen Erfahrung gegeben

Nach aller „kriminalistischen Erfahrung“ bestehe der nötige Verdacht, dass die Unterlassung entsprechender Schritte dem Täter weitere Verbrechen ermöglicht habe. „In diesem Stadium ist die Schwelle zur Aufnahme von Ermittlungen sehr niedrig.“

Die Zweifel der Staatsanwaltschaft an einer Verhinderungspflicht Woelkis hält Scheinfeld für unplausibel. „Ue. hat seine Stellung als Seelsorger eingesetzt, um Missbrauch begehen zu können. Damit ist ein hinreichender Bezug zu einem Handeln in seinem Amt als Priester gegeben, für das der Bischof als Vorgesetzter eine Mitverantwortung trägt.“

Kirchenrechtler Schüller: Beißhemmung gegenüber der Kirche

Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller, ein scharfer Kritiker Woelkis, reagierte ebenfalls mit Unverständnis auf die Entscheidung der Behörde. „Wenn es hart auf hart kommt, schützt die staatliche Strafverfolgung mit einer kirchenfreundlichen Linie die Bischöfe“, sagte Schüller dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Der Kölner Kardinal könne „von Glück sagen, dass die Kölner Staatsanwaltschaft der Kirche gegenüber eine Beißhemmung hat“.

Dass es im Fall Ue. aufseiten der Kirche bis in die jüngste Vergangenheit Versäumnisse und Nichthandeln mit schwerwiegenden Folgen gegeben habe, sei unbestreitbar. „Statt sich formaljuristisch auf die Maximalanforderung einer objektiven Kausalität zwischen Unterlassen und weiteren Missbrauchstaten zurückzuziehen und selbst untätig zu bleiben, hätte die Staatsanwaltschaft zumindest eine eigene Prüfung anstellen sollen, ob die Verantwortlichen der Kirche sich nicht doch strafbar gemacht haben“, so Schüller.

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„Das erinnert alles sehr an die Linie des Kölner Missbrauchsgutachtens mit seiner verengten Sicht auf die Mitverantwortung von Bischöfen und anderen leitenden Geistlichen für Missbrauch im Raum der Kirche.“ Für mindestens bedenklich halte er es, dass derselbe Staatsanwalt mit der Prüfung eines Anfangsverdachts gegen die Kirchenfunktionäre betraut gewesen sei, der auch am Prozess gegen Hans Ue. beteiligt war. „Da hätte ich mir einen wirklich unbefangenen Blick gewünscht.“

Grundmisstrauen angebracht

Der Mainzer Strafrechtsprofessor Jörg Scheinfeld sieht hierin kein fragwürdiges Verhalten der Staatsanwaltschaft. Es sei „vielmehr praktisch sinnvoll und mit Blick auf die Ressourcen geradezu zwingend“, denjenigen Ermittler einzusetzen, der sich mit dem gesamten Fall am besten auskenne. Ein Grundmisstrauen sei zwar verständlich und angesichts eines „insgesamt behutsamen Umgangs“ der Staatsanwaltschaft mit der Kirche durchaus nicht fehl am Platze, räumte Scheinfeld ein. Aber das sei ein Außenblick, den die Staatsanwaltschaft naturgemäß nicht teile. 

Aktenzeichen 261 Js 56/22

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