VielfaltIn Kölner Kita kommen Kinder mit zehn Sprachen und vier Religionen zusammen

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Welches Kind zu Hause welche Sprache spricht, ist egal – im „Tausendfüßler“ ist es Deutsch.

Welches Kind zu Hause welche Sprache spricht, ist egal – im „Tausendfüßler“ ist es Deutsch.

Köln – Chinesisches Neujahrsfest, kurdisches Neujahrsfest, Silvester – Lea kommt beim Aufzählen chronologisch etwas durcheinander, aber die Liste ist komplett. Für die Kinder des „Tausendfüßlers“ gehört das Feiern zum pädagogischen Konzept. Zum kurdischen Newrozfest im März brachten zwei Mütter selbst gemachtes süßes Gebäck, wie es für diesen Tag in ihren Familien üblich ist. Neulich packte Oscar nach der Rückkehr von einer Reise in die chinesische Heimat seiner Mutter eine Neujahrsfigur aus, eine Glücksgöttin. Derlei passiert relativ häufig in einer Kita mit 50 Kindern, zehn Sprachen und vier Religionen.

„Bei uns“, sagt Stefanie Meyer, die seit 25 Jahren dort arbeitet und die Tagesstätte seit 2014 leitet, „steht fast jede Woche ein Feiertag im Kalender. Wir haben uns vorgenommen, die religiösen Feste aller Kinder zu erklären und zu würdigen. Es geht darum, zu erkennen, welche Hintergründe die Rituale haben. Und darin sind sich die Religionen ja viel ähnlicher, als man denkt.“

Kita erhielt Auszeichnung

Der Fröbel-Kindergarten in der Kölner Stegerwaldsiedlung ist außerdem zertifizierter „Bewegungskindergarten“. Die 40 Kinder zwischen zwei und sechs tollen täglich in der Turnhalle oder auf dem Spielplatz hinter dem Flachdachbau im 50er-Jahre-Stil. Oder trainieren mit Übungsleiter Konny „Ringen und Raufen“. Für Bemühungen um naturwissenschaftliche Experimente erhielt die Kita die Auszeichnung „Haus der kleinen Forscher“. „Das Schild wird aber erst nächste Woche neben die Eingangstür montiert“, sagt Erzieherin Iryna.

Kinderpflegerin Büsra bastelt mit zwei Mädchen.

Kinderpflegerin Büsra bastelt mit zwei Mädchen.

Bei den Kindern funktioniert das Miteinander ziemlich gut. Aber bei den Eltern? Ganz so einfach ist das nicht. Unterschiedliche Auffassungen, Mentalitäten und Wünsche. Muslime und Kurden, Muslime und Juden. Die Antwort? „Zuhören, zuhören zuhören“, sagt Stefanie Meyer. Sie ruft ihr siebenköpfiges Team (deutsch, spanisch, peruanisch, russisch, polnisch, türkisch, ukrainisch) immer wieder zum Beobachten auf: „Damit wir immer weiter lernen und Missverständnisse vermeiden können.“

Eltern schüchterner als Kinder

Jüngstes Beispiel: Ein talentierter syrischer Praktikant, der eine Ausbildung als Erzieher anstrebt, agierte mit Kindern offen, freundlich und fantasievoll. Den Kolleginnen gegenüber aber senkte er den Blick. Arrogant? Verstockt? Schüchtern? Nichts von alledem, wie sich irgendwann ergab: In Syrien ist es ein Zeichen von Hochachtung, Höhergestellte nicht direkt anzusehen.

„Königin der Suppen“ – Irina Placke aus der Ukraine

„Königin der Suppen“ – Irina Placke aus der Ukraine

„Natürlich“, sagt Meyer, „besuchen uns muslimische Väter, die geben mir als Frau nicht die Hand. Aber mir ist es wichtiger, die Väter kommen überhaupt mal in die Kita, und wenn sie zur Begrüßung lächeln, reicht das doch auch. Es hat sich gezeigt, dass die allermeisten bei der Begrüßung Wege finden, Respekt zu zeigen – und darum geht es.“ Häufig brauchen neu hinzukommende Eltern vor allem muslimischen Glaubens ein paar Wochen, um sich anzunähern und aufzutauen. Kinder sind da sehr viel schneller.

Köchin umschifft jedes kulinarische Verbot

Die Küche macht es ihnen leicht; wenn überhaupt Fleisch zubereitet wird, stammt es von Rind oder Geflügel. Irina Placke, die ukrainische Köchin, umschifft jedes kulinarische Verbot, verbindet Aromen aus aller Welt – und aller Zeiten.

„Ihre Gerstensuppe schmeckt wie die meiner Großmutter, aber irgendwie besser“, sagt Meyer. Heute ist kein Suppentag, in der Küche duftet es nach Huhn, Curry und Aprikosen. An den Wänden hängen viele Listen – auch die mit den besonderen Speisegewohnheiten der Kinder. Zwei Jungs vertragen kein Ei, ein Mädchen kein Gluten und eines darf keine Zitrusfrüchte zu sich nehmen. Elf Kinder essen kein Schweinefleisch.

Geburtstagskinder dürfen sich etwas wünschen

Küchenchefin Irina sieht gleichwohl nicht so aus, als würde sie angesichts der Aufgabe, für alle ein Essen zu kochen, verzweifeln. Erstens hat schon ihre Tante Kochbücher geschrieben und in Moskau TV-Kochsendungen produziert, die im ganzen Land zu sehen waren. Und zweitens gibt es „drei Tage in der Woche sowieso Vegetarisches“. Möhren-Porreesuppe, Spinatlasagne, Kartoffelauflauf, Couscous – gekrönt von Gewürzen aus Orient und Okzident. Im Übrigen findet sie, man könne kochend und genießend gut zurechtkommen mit Geflügel und Rindfleisch. Oder eben ohne.

Oscar setzt einen chinesischen Akzent.

Oscar setzt einen chinesischen Akzent.

Die Kinder lieben ihre Paella und ihre Pfannkuchen. Mineralwasser kommt da rein. Das ist aber nur eines ihrer Rezeptgeheimnisse. Beliebt sind auch die Suppen. „Geburtstagskinder dürfen sich was wünschen, und wenn Kinder nicht Spaghetti Bolognese bestellen, sondern Linsensuppe, dann sagt das doch alles. Oder?“ Irina Placke trägt ihre Spitznamen wie ein Schmuckstück: „Königin der Suppen“ und „Frau Lecker“.

Kinder sprechen viel deutsch

Während die Kinder drinnen spielen, draußen toben oder zwischendurch noch ihre Matsch-Hose suchen, versucht Meyer, das zweite friedliche Wunder zu erklären. „Wo so viele Sprachgeschichten aufeinandertreffen, haben die Kinder in der Gruppe nur eine Chance, wenn sie sich alle auf Deutsch unterhalten.“ Die Tausendfüßler sprechen deshalb so oft wie möglich deutsch.

Ist Erzieherin Cynthia dabei, sprechen die Puppen Spanisch.

Ist Erzieherin Cynthia dabei, sprechen die Puppen Spanisch.

Selbst der knapp Dreijährige, der gerade noch mit seinen Gummistiefeln kämpft und bisher kein Deutsch kann, wird sprachlich bald in der Lage sein, sich gut zu verständigen. „Kinder in diesem Alter lernen das sehr schnell.“ In Kita-Gruppen, in denen nur zwei große Sprachen dominieren, ist das weitaus schwieriger. Aber der Tausendfüßler ist kunterbunt: deutsch, bulgarisch, italienisch, spanisch, albanisch, russisch, türkisch, ukrainisch, chinesisch.

Kein Durcheinander

Kommen die vielfach zweisprachigen Vorschüler nicht zusätzlich durcheinander, wenn sie auch noch Spanisch hören? Nein, sagt Meyer. Die Kita habe ja nicht das Erlernen der Sprache zum Ziel, sondern ein Sprachbad. Wenn die Kinder am Ende Spanisch einigermaßen gut verstehen, ein paar neue Lieder gelernt haben und die gängigsten Sätze kennen, „dann ist das doch auch schon was.“

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Am wichtigsten sei, dass die Kinder ihre Muttersprache solide beherrschen, dann gelinge auch der Ausdruck im Deutschen sicher. Dabei hat das Team beobachtet, dass Kinder, in deren Familien von Anfang an zwei Sprachen gepflegt werden, sich einer dritten selbstverständlicher nähern.

Feste werden nicht umbenannt

Wenn das Jahr sich seinem Ende zuneigt, wird wieder „ein St. Martins-Zug mit allem Drum und Dran“ nicht Getaufte und Getaufte, Katholiken und Protestanten, Muslime und Griechisch-Orthodoxe in die katholische Kirche St. Urban locken und dort vereinen. Andere Kitas benennen den Tag in „Lichterfest“ um, und Weihnachten in „Winterfest“, um keinerlei Irritationen aufkommen zu lassen. Aber das haben Meyer und ihr Team nie erwogen: „Wozu auch?“

Ein großer Feiertag des Tausendfüßlers steht in keinem Kalender, ist hier aber sehr beliebt. Es ist der „Tag der Gemüsesuppe“, zu dem die Kinder ihre Eltern einladen. Vielleicht planen die Erwachsenen nach dem Essen schon das große Grillen zum muslimischen Opferfest im August – da geht es ums Teilen. Oder sie dösen erst mal neben ihren Kindern in der Habitacion de Suenos – im Raum der Träume.

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