Vor über 80 JahrenWie eine fliegende Apotheke aus Köln die Epidemie bekämpfte

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Die „Bayer“-Ju startete vom Butzweilerhof aus.

  • In den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts traf eine Grippe-Epidemie ganz Europa.
  • Vom Butzweilerhof aus brachte die Junkers Ju 52 der Bayer-Werke damals Grippe-Medizin nach ganz Europa.
  • Wir blicken zurück.

Köln – Für das Jahr 1939 berichtete Flugkapitän Paul Schlafke von einer „außerordentlich starken Grippe-Epidemie in fast ganz Europa“. Viele Menschen starben, und das noch ziemlich neue Transportmittel der Bayer-Werke verfrachtete binnen weniger Wochen mehrere tausend Kilogramm Grippemittel von Köln aus in verschiedene Länder.

Die Junkers Ju 52, die das Leverkusener Pharma-Unternehmen 1937 feierlich auf dem Flughafen Butzweilerhof in Betrieb genommen hatte, war ein Pionier-Flugzeug. Als erste Maschine überhaupt, die von einem Konzern nur für die eigenen Zwecke genutzt wurde, sollte sie schnellstmöglich Medikamente dorthin bringen, wo sie dringend benötigt wurden. Bayer gehörte damals zum Großkonzern IG Farben, das eng mit dem NS-Regime kollaborierte und im Dritten Reich Tausende Zwangs- und Fremdarbeiter sowie KZ-Häftlinge schuften ließ. Die Ju 52 brachte nicht nur den Bayer-Schriftzug und Medikamente in alle Welt, sondern auch das Hakenkreuz. „Die Kaufleute, die dieses Flugzeug für ihre Reisen benutzen, werden mit dazu beitragen, das deutsche Ansehen zu fördern, die Achtung vor dem Werk unseres Führers zu heben“, so Wilhelm Rudolf Mann, Vorstandsmitglied der IG Farben, bei der Flugzeugtaufe auf dem Butzweilerhof.

Begeisterungsstürme in Köln

Die Möglichkeiten der Luftfahrt sorgten damals noch für Begeisterungsstürme: „Die Überwindung von Zeit und Raum ist bis zu einem gewissen Grade derart vollkommen geglückt, dass man mit den heutigen Verkehrsmitteln Reisen, die noch vor wenigen Jahren Wochen und Monate dauerten, in Tagen beziehungsweise Stunden erledigen kann“, so Paul Schlafke.

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Er gehörte mit Bordfunker Max Kohl und Bordmaschinist Willi Matzke zur festen Besatzung der „fliegenden Apotheke“, wie die Bayer-Ju auch genannt wurde. Das dreimotorige Flugzeug, das in Köln von Personal der Lufthansa gewartet wurde, verfügte über zwei Funkstationen, die Möglichkeit, jederzeit Telegramme abzusetzen, einen Platz für Sekretariatsaufgaben mit Schreibmaschine und einen Frachtraum für bis zu zwei Tonnen Nutzlast.

Viele Propagandaflüge

Hinzu kam eine Sitzgruppe aus vier bequemen Sesseln, die auch als Schlafsessel genutzt werden konnten. „Die Ju 52 ist auch gekauft worden, weil man die Kaufleute schneller in bestimmte Regionen Europas bringen wollte“, sagt Reinhold Braun, Vorsitzender des Bergischen Geschichtsvereins Leverkusen-Niederwupper. Sein Großvater Ferdinand Braun war einst Prokurist bei Bayer und bei der Pharma-Sparte zuständig für die südosteuropäischen Länder.

Als Delegationsleiter flog er in der „fliegenden Apotheke“ unter anderem nach Jugoslawien, Griechenland und Bulgarien. An den Zielorten standen Konferenzen in den Bayer-Niederlassungen auf dem Programm und oftmals große Empfänge mit Pressevertretern. Denn das erste Industrie-Großflugzeug sollte sich auch als Werbeträger auszahlen. Im ersten Jahr legte die Ju 52 rund 80 000 Flugkilometer zurück. Ab und zu nahmen hochrangige Vertreter des NS-Regimes Platz im Spezialflugzeug. 1939 flog „Reichsapothekenführer“ Albert Schmierer nach Paris und Zagreb, im Mai 1938 besichtigte Robert Ley, Leiter der „Deutschen Arbeitsfront“, in Budapest die Maschine.

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Die Ju 52, die dank besonders großer Treibstoffbehälter Entfernungen von mehr als 2000 Kilometern nonstop zurücklegen konnte, erwies sich während der Grippe-Epidemie als zuverlässige Hilfskraft – auch in schwer zugänglichen Gebieten, über denen die Medizin teilweise mit Fallschirmen abgeworfen wurde. 

Im Jahr 1939 abgeschossen

Am 1. September 1939 wurde die fliegende Apotheke geschlossen. Das Bayer-Flugzeug wurde von der Luftwaffe beschlagnahmt und zum Verwundetentransport im Zweiten Weltkrieg eingesetzt. „Dazu wurde die Maschine mit dem weißen Anstrich eines Sanitätsflugzeugs und mit dem roten Kreuz neu gestrichen“, so Luftfahrt-Historiker Werner Müller. Trotz des roten Kreuzes überstand die Ju den Krieg nicht: Sie wurde am 24. Juni 1942 auf einem Rückflug von Afrika über dem Mittelmeer von amerikanischen Jägern abgeschossen.

Nähere Informationen und ein Radiobeitrag von der Taufe des Flugzeugs auf dem Butzweilerhof gibt es online.

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