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Vorwurf der PolizeigewaltEx-Polizistin belastet Kölner Kollegen vor Gericht

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Symbolbild

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Köln – Hat ein junger Mann am Rande des Christopher Street Days 2016 Widerstand gegen Polizisten geleistet, einen Beamten verletzt, beleidigt und den Vorfall im Internet falsch dargestellt? Oder gab es vor den Toiletten eines überfüllten Fastfood-Restaurants an der Marzellenstraße, vor und in einem Streifenwagen einen Fall von „brutalster Polizeigewalt“, wie der Anwalt des jungen Mannes in seinem Plädoyer sagt?

Am Ende des Prozesses gegen den jungen Mann erweist sich die Strafanzeige eines Polizisten zumindest als Bumerang: Die Beamten hätten „übertrieben gehandelt“, mindestens einer der Schläge sei „außerhalb jeder Verhältnismäßigkeit“ gewesen, der Einsatz „komplett aus dem Ruder gelaufen“, urteilt die Vorsitzende Richterin und verweist auf die Hämatome auf dem Körper des Beschuldigten. Bei ihrer Urteilsbegründung für den Freispruch stützt sich die Richterin auch auf die Aussagen einer ehemaligen Kommissaranwärterin, die sich seinerzeit in den letzten Ausbildungswochen befand und ihren Ausbilder belastet, unangemessen aggressiv und rabiat gehandelt zu haben.

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Vor Gericht sind Zeugen verpflichtet, die Wahrheit zu sagen; tun sie es nicht, können sie sich strafbar machen. Angesichts dieser Verpflichtung ist die erinnerte Wahrheit der Zeugen an diesem schwülen Tag im stickigen Raum 246 des Amtsgerichts erstaunlich unterschiedlich.

Alles zum Thema Christopher Street Day

Unstrittig ist, dass der Angeklagte am 3. Juli 2016 gegen 17 Uhr in dem Schnellrestaurant zunächst zwei Frauen helfen wollte, auf die Herrentoilette zu kommen. Daraufhin kam es zu einem – von Augenzeugen bestätigten – Disput mit einem Mann, der wütend war, dass die Frauen aufs Männerklo gehen. Es folgte ein Handgemenge, die Filialleitung des Restaurants rief die Polizei. Der hagere junge Mann saß auf einem Stuhl, als die großen und kräftigen Beamten eintrafen – sodann eskalierte die Situation.

Polizisten fesseln Hände und Füße

Einer der Polizisten schildert, er habe den seinerzeit 55 Kilo wiegenden CSD-Teilnehmer mit einem so genannten „Blendschlag“ („Man kann das auch Ohrfeige nennen“) niedergestreckt, weil dieser „ausgeschlagen“ habe und nicht anders zu kontrollieren gewesen sei. Zeugen hörten einen lauten, dumpfen Knall. Die Polizisten fesselten die Hände des Beschuldigten mit Kabelbinder, trugen ihn hinaus zum Streifenwagen, fesselten dort auch seine Füße, verfrachteten ihn später ins Auto und fuhren mit Blaulicht davon.

Im Auto – auch das bestreitet niemand – hat der Angeklagte die Beamten beleidigt, gespuckt und geschrien, er habe HIV und hoffe, dass sie sich ansteckten. Die Polizisten stülpten ihm schließlich eine Maske über. Sieben Stunden musste der Mann in einer Zelle verbringen – der Polizist, der den Mann bis zum Polizeipräsidium brachte, gab an, den Bereitschaftsrichter nicht erreicht zu haben. Die Richterin zieht die Braue hoch – bis 21 Uhr seien immer Bereitschaftsrichter erreichbar, um eine Inhaftierung anzuordnen.

Mann soll gespuckt und gekratzt haben

Die zwei Polizisten sind die einzigen, die diese Version der Geschichte erzählen. Beide beschreiben den Beschuldigten als „äußerst aggressiv und provokant“, der eine berichtet von seinem „Blendschlag“, obwohl er die „Situation auf die freundliche Tour lösen wollte“, der andere von „Schlägen auf die Arme des Angeklagten, weil dieser sich wehrte“, der Angeklagte habe „gespuckt, gekratzt und fortwährend beleidigt“. Er habe nach dem Vorfall mehrere Tage Schmerzmittel nehmen müssen.

Die beiden anderen Polizistinnen, die am Einsatzort waren, bestätigen nicht, was ihre Kollegen aussagen: Während die eine angibt, sich kaum erinnern zu können und so vage klingt, als wolle sie lieber nichts sagen, schildert die andere, dass nicht der Angeklagte, sondern ihre Kollegen „aggressiv“ gewesen seien und den jungen Mann mehrfach in die Körpermitte geschlagen hätten – auch dann noch, als dieser schon am Boden gelegen habe; sowohl in der Filiale als auch draußen. Die Zeugin ist drei Wochen nach dem Vorfall aus dem Polizeidienst ausgeschieden – unfreiwillig, wie sie der Richterin auf Nachfrage sagt. Sie hat die dienstliche Bewertung ihrer Ausbildung nicht bestanden. Ihr Ausbilder war: der Polizist im Zeugenstand, der auch den Demonstranten angezeigt hatte. Die ehemalige Kommissaranwärterin bezeichnet der Polizist als „damalige Praktikantin“.

Die Situation vor dem Restaurant erinnern alle Zeugen unterschiedlich: Zwei Passanten sagen aus, der Angeklagte sei zu Boden geworfen worden, „aus einer Höhe von bestimmt 50 Zentimetern“, sagt einer. Der Mann sei beim Raustragen „wie bewusstlos“ gewesen, sagen sie. Der stellvertretende Demonstrationsleiter dagegen spricht von „heftigen Bewegungen“ des Angeklagten und einem „völlig angemessenen Verhalten der Polizei“ – die Richterin maßregelt ihn, die Situation nicht zu bewerten.

Der Angeklagte, der Lehramt studiert, aber nicht beendet hat, seit April 2016 aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeitet und Hartz IV bezieht, sagt in seinem letzten Wort: „Ich kann nicht mehr. Ich komme in der Gesellschaft nicht mehr an. Ich hoffe, ich kann heute einen Schlussstrich ziehen.“ Es sei ihm unverständlich, warum er hier angeklagt werde. Nach seiner Freilassung hatte er auf Facebook nach Zeugen gesucht und auch von „Folter“ geschrieben. Die Presse machte die Staatsanwaltschaft auf die Vorwürfe aufmerksam, die Behörde sah keinen Anlass, ein Ermittlungsverfahren gegen die Polizisten einzuleiten. Drei Monate später wurde der Demonstrant angeklagt.

Der Staatsanwalt plädiert für eine geringe Geldstrafe. Er sehe „keinen Anlass, an den Aussagen der Polizisten zu zweifeln“. Die Richterin sieht diesen Anlass wohl.

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