Wegen Corona-KriseAufsehenerregendes Wohnprojekt für Kölner Obdachlose in Gefahr

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Obdachlose Köln WEISER

Schlafstätte an der Kölner Severinstorburg (Symbolbild)

Köln – Die Wohnung ist finanziert, ins Grundbuch eingetragen und auch die Haustürschlüssel sind bereits da: Anfang oder Mitte Mai könnte ein noch kleines, aber aufsehenerregendes Projekt des Vringstreff starten, der sich um obdachlose Menschen in Köln kümmert. In Ehrenfeld hat der Verein eine Wohnung gekauft, in die – ohne Vorbedingungen – ein erster Wohnungsloser einziehen kann. Erst nach dem Einzug wird der neue Mieter von Sozialarbeitern betreut, werden Ideen entwickelt, wie der Obdachlose in möglicherweise vielen Problemlagen unterstützt werden kann.

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Jutta Eggeling vom Vringstreff

Das Konzept „Housing First“ stammt aus den USA, ist über Finnland und Wien ins Rheinland gekommen und stellt die Arbeit der Sozialarbeiter auf den Kopf, wie Jutta Eggeling vom Vringstreff sagt. Denn den Mietvertrag gibt es unabhängig von der Betreuungssituation des wohnungslosen Klienten. Bislang galt, dass Sozialarbeiter ambulant sich etwa um Suchtprobleme oder Schulden gekümmert haben. Wohnungslose Menschen konnten auch an Projekten wie dem betreuten Wohnen auf Zeit teilnehmen. „Was wir hier machen ist ein Leuchtturmprojekt.“

Kölner Vringstreff tritt als Vermieter auf

Und das funktioniert so: Der Vringstreff tritt als Vermieter auf, die Miete kann sich der Mieter etwa vom Jobcenter holen und an den Vringstreff überweisen. Der Sozialarbeiter wird laut Eggeling über die Wohnhilfe des Landschaftsverbands Rheinland finanziert. Finanziell angeschoben – die Wohnungen müssen ja erst einmal gekauft werden – wird das Projekt aber vor allem aus den Mitteln des Düsseldorfer Vereins Asphalt/Fifty-Fifty und der Paritätischen. Diese haben einen Fond mit 1,2 Millionen Euro aufgelegt, mit dem bereits Wohnungen für 60 Obdachlose in NRW unterstützt werden konnten. In den Fond floss übrigens auch Geld aus dem Verkauf von einer Edition mit 18 Bildern des Künstlers Gerhard Richter ein.

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Hubert Ostendorf, Sprecher des Vereins Asphalt, sagt, man habe viel Respekt vor der herkömmlichen Sozialarbeit, aber das Düsseldorfer Projekt sei eine wichtige Ergänzung. Von den 60 Menschen, die daran bislang teilgenommen haben, seien lediglich drei wieder abgesprungen. Günstig sei das Projekt obendrein auch: Denn viele der Obdachlosen lebten seit Jahren auf der Straße. Ostendorf macht folgende Rechnung auf: Wohnungslose, die ein paar Mal in Projekten des betreuten Wohnens untergekommen seien, verursachten schnell Kosten in Höhe von 300.000 Euro. Durchschnittlich sei in NRW ein Apartment dagegen für 80.000 Euro zu haben, wenn auch nicht in Köln oder Düsseldorf.

Obdachlose Menschen erhalten Wertschätzung

Auch aus sozialer Perspektive sei das Projekt erfolgreich: Die Wohnungen hätten eine sehr integrierende Funktion für die zuvor obdachlosen Mieter, so Ostendorf. Diese erhielten nun Wertschätzung, eine Tagesstruktur (durch die Sozialarbeiter) und Kontakt zur bürgerlichen Mitte. „Die Wohnung ist die Basis, damit die Menschen zur Ruhe kommen können.“ Das Projekt wird von der Fachhochschule Münster wissenschaftlich begleitet.

Nun hat auch der Kölner Rat ein Maßnahmenbündel auf den Weg gebracht, um den geschätzt 200 bis 300 obdachlosen Menschen, die tatsächlich auf der Straße leben, in der Stadt zu helfen. Insgesamt gibt es etwa 6000 Kölner, die keinen Mietvertrag haben, aber zum Beispiel bei Freunden wohnen oder von der Stadt untergebracht werden.

Dauerhaften Wohnraum für wohnungslose Menschen schaffen

Um dauerhaften Wohnraum für wohnungslose Menschen zu schaffen, will die Politik den Housing-First-Ansatz als Ergänzung zu den bereits bestehenden Angeboten der Wohnungslosenhilfe testen. Das wurde im Februar auf Antrag der Grünen parteiübergreifend im Rat beschlossen. Insgesamt wurden für die kommenden Jahre 5,4 Millionen Euro bewilligt, im nächsten Haushalt wurden bereits 200.000 Euro eingestellt. Nun ist die Stadt auf der Suche nach passenden Trägern für das Konzept.

Doch nur zwei Monate später droht der Beschluss zu platzen oder zumindest verschoben zu werden. Denn durch die Corona-Krise müsse die Kommune sparen, stelle derzeit nur Geld für zwingende Ausgaben, also Investitionen, Pflichtaufgaben oder strukturerhaltende Maßnahmen, bereit, führte Sozialdezernent Harald Rau im jüngsten Sozialausschuss aus. Ob es sich bei „Housing First“ um eine strukturerhaltende Maßnahme handele, sei unklar und müsse beraten werden. Das bestätigte auch die Stadt auf Anfrage. Damit könnte das Projekt auf der Kippe stehen.

Politiker kritisieren Stadt Köln

„Dieser Sparvorschlag ist nicht durchdacht“, kritisierte Jörg Detjen, Fraktionschef der Linken. „Housing First stärkt nicht nur die bestehende Struktur, sondern überwindet sie langfristig. Wesentlich mehr Obdachlose wachsen mit Housing First nach und nach aus dem Hilfesystem heraus.“ Auch Ursula Gärtner (CDU) zeigte sich überrascht, von der Ankündigung Raus. „Wir stehen weiter hinter dem Projekt. Wenn es Änderungen kommen sollte, muss da mit der Politik ausgiebig diskutiert werden.“ Ähnlich sehen das die Grünen: Man werde es nicht dulden, dass ein politischer Beschluss gekippt werde, sagte Sozialexpertin Marion Heuser.

Ähnlich sieht das der Vorsitzende des Sozialausschusses, Michael Paetzold. „Der Rat hat das Konzept beschlossen und das notwendige Geld für den Haushalt zur Verfügung gestellt. Es wäre unglücklich, wenn das gekippt werden soll.“

Der Vringstreff will indes sein Modellprojekt noch ausweiten. Zehn Apartments sollen wohnungslosen Menschen in den kommenden ein bis zwei Jahren zur Verfügung gestellt werden. Die kommunalen Mittel würden bei der Umsetzung freilich helfen.

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