Weihnachtsmarkt in Köln-EhrenfeldWie aus „Waste Food“ ein Weihnachtsessen wird

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Verena Kaczmarek an ihrem Stand auf dem Weihnachtsmarkt am Herbrands

Verena Kaczmarek an ihrem Stand auf dem Weihnachtsmarkt am Herbrands

Köln – Es duftet von Weitem nach Herzerwärmendem. Heute gibt es bei Verena Kaczmarek frisches Rahmsauerkraut mit Bratenjus und Kartoffelstampf wie bei Muttern. Der kleine Stand auf dem Weihnachtsmarkt am Herbrands in Ehrenfeld hebt sich mit wechselnden deftig bis feinen Speisen vom über weite Strecken uniformen Weihnachtsmarktangebot ab.

Die hier verarbeiteten Lebensmittel hatten eine Bestimmung: Alles, was hier im Topf landet, sollte eigentlich in der Tonne landen. Verena Kaczmarek kocht mit sogenanntem „Waste Food“, das heißt mit Aussortiertem und Übriggebliebenem aus Supermärkten und Großhandel, von Einzelhändlern oder Wochenmärkten. „Mit ’ner Blötsch. Nicht mehr hübsch, aber trotzdem noch frisch und lecker“, sagt sie.

Weihnachtsmarkt am Herbrands: Kartoffeln frisch vom Acker

Die Kartoffeln, die für heute im Topf gelandet sind, hat Kazcmarek vom Acker eines Bauern eigenhändig aufgeklaubt. Sie waren zu klein, als dass die Erntemaschine sie erfasst hätte. „Wenn Gemüse oder Obst nicht der Norm entspricht, gelangt es vom Feld nicht in den Handel. Da greife ich dann zu“, erklärt sie. Den Kohl hat ein Supermarkt aussortiert, und die Knochen hat ein Ehrenfelder Metzger ihnen zum Auskochen geschenkt.

Aus aussortierten Produkten macht Kaczmarek kreative Gerichte.

Aus aussortierten Produkten macht Kaczmarek kreative Gerichte.

„Ich liebe Soßen“, sagt Kaczmarek, die die Jus mit fein gewürfeltem Gemüse angesetzt und mit Stärke abgebunden hat. „Die Möhren waren abgebrochene Abschnitte, die kein Supermarkt mehr verkaufen kann.“ Aus der großen Menge Möhren hat sie außerdem eine Möhren-Kokossuppe gezaubert, die man sich an ihrem Stand mit allerlei selbst gemachten Toppings – allesamt Chutneys, Relishs und Pesti aus ausrangiertem Gemüse – verfeinern kann. Die knusprigen Croutons hat sie aus Brot vom Vortag aus der Bäckerei gezaubert.

Kochen mit „Waste Food“: Bewusstsein für die Lebensmittel schaffen

Abgesehen von ihrer Leidenschaft für das Kochen geht es dem Projekt, das sie gemeinsam mit ihrer Schwester Leona ins Leben gerufen und „Schwester K“ getauft hat, um Bewusstseinsarbeit: „Der Grundgedanke ist, etwas dagegen zu tun, dass jeden Tag eine große Menge Lebensmittel weggeschmissen wird.“

Laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft wirft jeder einzelne von uns übers Jahr 75 Kilo Lebensmittel weg. Insgesamt landen allein in Privathaushalten jedes Jahr 6,1 Millionen Lebensmittel im Müll. „Vor allem, weil die meisten viel zu viel einkaufen und anschließend die Produkte, die nicht mehr ansehnlich sind, wegwerfen.“ Das belastet das Klima und die Umwelt.

Beim Kochen kreativ mit Resten umgehen

Kaczmarek, die bei inzwischen 20 Betrieben – vom Bauern bis zum Handelshof – ausrangierte Ware abholt, möchte wieder für den Wert von Lebensmitteln werben. Und dafür, wie kreativ man mit vermeintlich Unverwertbarem kochen kann. „Ich habe das Kochen als Kind von meiner Oma gelernt. Die Kriegsgeneration, die wusste alles zu verwerten und kreativ mit Resten umzugehen.“

Auch bei Verena Kazcmarek kommt nichts weg. Es ist für sie quasi ein Sport geworden, sich nicht nur aus dem, was der Tag an Waste Food bringt, etwas Lecker-Kreatives auszudenken, sondern auch alles vollständig zu verwerten: Aus dem Grün von Kohlrabi oder Möhren macht sie leckeres Pesto. Der Strunk vom Brokkoli wird eine Suppe. Aus einer Riesenladung aufgeplatzter Wassermelonen zauberte sie im Sommer Meloneneis. „Die Schalen habe ich dann ausgekocht und aus dem Sud mit Minze versetzt eine Marmelade gemacht. „Ein total interessanter Geschmack“. Papayakerne hat sie geröstet und gemörsert. „Schmeckt wie ein ganz besonderer Pfeffer“.

Es ist immer wieder eine kreative Herausforderung, aus dem, was die Wohlstandsgesellschaft aussortiert, etwas originelles Leckeres zu zaubern. Außerdem kostet es viel Zeit, die Betriebe abzuklappern und die Lebensmittel zu verarbeiten. Jede Menge Idealismus sei da dabei.

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Auf dem Weihnachtsmarkt ist „Schwester K“ das erste Mal dabei. Bisher waren die beiden Schwestern mit ihrem Stand auf kleinen Festen wie dem „Markt des guten Lebens“ von „Helios und Selene“, die meistens in der Ehrenfelder Heliosstraße stattfinden, und manchmal wie zuletzt auf dem Ebertplatz.

Natürlich wollen sie das ausbauen, um die Bewusstseinsarbeit voranzutreiben. Vor allem aber will Verena Kacmarek demnächst mit Workshops an Schulen gehen, um die Schüler für kreative Resteverwertung und den Wert von Lebensmitteln zu sensibilisieren und zu zeigen, wie viel Spaß das macht. „Gerade in den Schulkantinen werden doch Unmengen Essen weggeschmissen.“

Vorbild der Kölnerinnen: „Restlos glücklich“

Vorbild ist für die beiden Kölnerinnen der Verein „Restlos glücklich“, der sich in gleicher Mission in Berlin gegründet hat. Die inzwischen 20 Mitarbeiter werben mit buchbaren Dinner-Abenden, Bildungsprojekten, Kochkursen und Workshops für einen bewussten Umgang mit Lebensmitteln und kreatives Kochen mit „Waste food“.

Am liebsten mag es Kaczmarek, auf dem gemütlichen kleinen Weihnachtsmarkt in Ehrenfeld mit den Besuchern ins Gespräch zu kommen. „So wie gestern, als sich ein Grüppchen Frauen nach längerer Debatte für ihren Stand entschieden und die Currywurst verschmäht hat. Die waren begeistert. Und konnten gratis noch ein paar Rezepttipps mitnehmen.“

Rezept für Kohlrabipesto mit Papayakernen

Verena Kaczmarek an ihrem Stand auf dem Weihnachtsmarkt am Herbrands

Verena Kaczmarek an ihrem Stand auf dem Weihnachtsmarkt am Herbrands

Zutaten: Man benötigt für die Zubereitung 15 Kohlrabiblätter, 50 Gramm gesalzene Erdnüsse, 50 Gramm Sonnenblumenkerne oder Cashewkerne, zwei bis drei Knoblauchzehen, ca. 50 ml Gemüsebrühe, 100 ml Olivenöl. Zudem Salz, Pfeffer sowie die gerösteten und im Mörser nicht zu fein zerstoßenen Kerne einer Papaya (ca. 2 Esslöffel).

Zubereitung: Kohlrabiblätter waschen. Den unteren, holzigen Teil der Stiele entfernen, den Rest grob hacken. Danach die Erdnüsse und Kerne ohne Fett in einer Pfanne braun rösten. Den Knoblauch schälen und hacken. Mit dem Pürierstab pürieren, dabei nach und nach Öl und Brühe zugeben, bis die Konsistenz dicklich und schön cremig ist. Anschließend mit Zitronensaft, Salz und Pfeffer abschmecken und zum Schluss die Papayakerne unterrühren. Dazu schmeckt lauwarmer Kartoffelsalat besonders gut.

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