Werkstatt in LongerichKölner baut seit 20 Jahren Bonanza-Räder

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Die meistgewählte Farbe ist Orange: Christoph Dieckmann baut seit 20 Jahren Bonanza-Räder aus Originalteilen.

Die meistgewählte Farbe ist Orange: Christoph Dieckmann baut seit 20 Jahren Bonanza-Räder aus Originalteilen.

Köln – Eigentlich fiel Christoph Dieckmann genau in die Zielgruppe. Er wuchs auf in einer Zeit, in der ein Kinderfahrrad Furore machte, das zum Etikett für die 1970er-Jahre wurde wie die Prilblume, der Plateau-Schuh und die Schlaghose. In der kollektiven Erinnerung gab es keinen Jungen, der nicht mit quietschbuntem Bonanza-Rad graue Vorstädte durchkreuzte – locker im Bananen-Sattel sitzend, cool die Konsolen-Schaltung in der Hand haltend, stolz den Fuchsschwanz im Wind baumeln lassend. Easy Rider für Vorpubertierende.

Dieckmann hatte kein Bonanza-Rad

Aber nein, Christoph Dieckmann, geboren 1962 in Nippes, hatte als Kind kein Bonanza-Rad. Er war zu schmächtig dafür, beziehungsweise das Bonanza-Rad zu schwer für ihn: „Man musste immens in die Pedale treten“, sagt er in seiner kleinen Privat-Werkstatt in Longerich und schiebt – immer noch schmächtig – ein buntes Bonanza-Rad nach dem anderen auf den Hof.

Was viele Hersteller, aber vor allem Versandhändler Neckermann in den 1960er und 1970er Jahren hunderttausendfach verkauften, beschäftigte ihn zwar erst mit satter Verspätung, dafür aber umso intensiver: Seit fast 20 Jahren schraubt Christoph Dieckmann, Spitzname Crazy D., Bonanza-Räder aus Originalteilen zusammen, die er noch massenweise beim Hersteller Kynast aufstöberte – lange, nachdem Kynast nicht mehr für Neckermann Bonanza-Räder baute und das BMX-Rad für einen neuen Hype sorgte. Doch bald soll damit Schluss sein: Allmählich geht Crazy D.s Teile-Vorrat zur Neige.

Wichtigste Merkmale: Hirschgeweih-Lenker und Motorrad-Sattel

Sein Leben als Bonanza-Guru nahm Ende der 1990er Jahre Fahrt auf. Für einen Freund möbelte Christoph Dieckmann ein Bonanza-Rad auf und für sich gleich ein zweites: „Damit sind wir über die Ringe gefahren, »Bonanzen« haben wir das genannt.“ Die wichtigsten Merkmale des Kult-Objekts: Hirschgeweih-Lenker, Motorrad-Sattel, Federbein-Imitat unter dem Lenker, Drei-Gang-Schaltung im Look einer Pkw-Automatik. Jeder wollte mal die sonderbaren Accessoires des 70er-Jahre-Bikes bewundern.

Lässig schaute es aus, das Bonanza-Rad, das in den 1960er Jahren der US-amerikanische Ingenieur Al Fritz als „Sting-Ray-Bike“ zu einem Millionen-Erfolg gemacht hatte. Fritz hatte in Kalifornien Kinder beobachtet, die ihre Räder nach dem Vorbild der Motorradtuning-Kultur umbauten. In Deutschland kamen die coolen Räder später in abgewandelter Form auf den Markt, Bezeichnungen für das Mode-Vehikel gab es viele, letztendlich setzte sich aber der Name von Neckermanns Eigenmarke durch: Bonanza – wie die US-Westernserie.

Technik machte häufig Probleme

Das Fahrrad wirkte komfortabler, als es war, kostete relativ viel und die Technik bockte des öfteren. „Das war ein Mode-Gag“, sagt Dieckmann: „Eigentlich kann es nichts, was andere Räder nicht auch konnten.“ Als Kinderrad sei es eigentlich eine Katastrophe gewesen. Aber eine gut aussehende Katastrophe immerhin. Und eine mit großem Spaß-Faktor.

Christoph Dieckmann wurde schnell klar, dass sein Bonanza-Ausflug durch die Kölner Innenstadt für ihn mehr war als ein einmaliger Nostalgie-Trip: „Nach der Tour habe ich zu meiner Frau gesagt: »Ich muss Bonanza-Räder restaurieren«“. Dem Fahrrad-Geschäft war er zu diesem Zeitpunkt bereits eng verbunden. Zwar hatte Dieckmann eine Ausbildung zum Industrie-Kaufmann absolviert, wechselte dann aber zu einer Karosseriebau-Firma in Mülheim und arbeitete schließlich als Fahrradteile-Importeur.

Dass der Hersteller Kynast im niedersächsischen Quakenbrück auf einem vergessenen Dachboden noch tonnenweise Original-Material hortete, war eine Insider-Information, die Crazy D.s Leben nachhaltig veränderte. „Das war Material für ein paar Tausend Bonanza-Räder“, sagt Christoph Dieckmann. Nur Rahmen gab es nicht mehr, sie musste er später von Spezialisten nachfertigen lassen.

Finanziell alles auf eine Karte gesetzt

Am wertvollsten seien für ihn die Konsolenschaltungen gewesen, ohne die ein Bonanza-Rad kein Bonanza-Rad ist. „Kynast war der einzige Hersteller, der sowas noch hatte“, sagt Christoph Dieckmann. Wie viel er für die Altbestände zahlte, die er in vielen Touren mit einem Kleintransporter nach Köln schaffte, will der 55-Jährige nicht verraten. Aber er habe finanziell alles auf eine Karte gesetzt. Er sei sich eben sicher gewesen, dass der Weiterbau des Fahrrad-Oldtimers ein Erfolg werden würde. Das war er auch. Zunächst. Die ersten 600 Bonanza-Räder baute Dieckmann selbst zusammen, zeitweilig zwölf Stück am Tag. „Das ist relativ simpel, so viele Teile sind es nicht.“

Später überließ er die Montage auch anderen Firmen. Über das Internet bot er seine Räder an, Medien berichteten, der Verkauf lief gut. Dann kamen die Anschläge vom 11. September 2001 und alles änderte sich. Plötzlich interessierte sich die Öffentlichkeit nur noch für ernstere Themen, der Absatz brach ein: „Es herrschte Spaßverbot.“ Dieckmann musste andere Jobs annehmen, um seine Familie über Wasser zu halten.

Mehrere Tausend Menschen glücklich gemacht

Doch irgendwie ging es dann doch weiter mit der Zweirad-Legende. Mehrere Tausend Menschen habe er in all den Jahren mit seinen Rädern glücklich gemacht, sagt der Kölner – „Kinder“ zwischen acht und 60 Jahren seien seine Kunden, die älteren von ihnen hätten schon früher ein Bonanza-Rad gefahren oder erfüllten sich ihren Traum eben erst jetzt.

Damit die Räder heute nicht unter der Last der größeren „Kinder“ zusammenbrechen, verpasst Dieckmann den Rädern mehr Speichen als in den 1970er Jahren üblich. Auch die Rückenlehnen namens Sissibars sind verstärkt.

„Aber jetzt ist es wirklich vorbei mit den Beständen“, sagt Dieckmann. Noch für 300 Räder habe er Material auf Halde, einige Exemplare seiner „Ultima Edition“ seien bereits verkauft. Danach ist endgültig Schluss mit lustig. Für ihn selbst wird sich das Kapitel Bonanza-Rad aber wohl niemals schließen: ˜Als Ansprechpartner werde ich wohl fungieren, bis ich im Grab liege“, sagt der Longericher Bonanza-Mann und schiebt seine Räder wieder zurück in die Werkstatt.

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