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Winzerfest in den Ahr-TrümmernKölner Karnevalisten schenken Dernau ein Weinfest

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Weinfest in den Trümmern von Dernau

Köln – Weinfest in Dernau, das ist eine Institution. Seit 1950 gibt es das jedes Jahr am letzten Septemberwochenende, vier Tage lang. Allein zum Umzug mit etwa 60 Festwagen kamen in den letzten Jahren bis zu 40 000 Besucher in die kleine Ahr-Gemeinde, die gerade mal 1700 Einwohner zählt. „Winzerfest ist Emotion pur – wie Rosenmontag in Köln, das kann man nicht anders beschreiben“, sagt Ingrid Näkel-Surges vom Verkehrsverein, 1970 erste deutsche Weinprinzessin.

Im letzten Jahr war es Pandemie-bedingt erstmals ausgefallen, das drohte sich nach der Flutwelle vom 15. Juli zu wiederholen.

Zahllose Kölner Karnevalisten halfen allerorts im Ahrtal 

Als die Kölner Karnevalsgesellschaft Rocholomäus, zuvor schon wie zahllose andere Karnevalisten vom Rhein im Hilfseinsatz an der Ahr, auf die Idee kamen, der Gemeinde ein Fest zu schenken, ein Stückchen Normalität, schlug die resolute Dame vor, das doch am Winzerfestwochenende stattfinden zu lassen und auch eine Weinkönigin zu küren.

Alles zum Thema Bläck Fööss

 An diesem Samstag fand dieses „Winzerfest in den Trümmern“ nun nur für die Dernauer Bevölkerung statt. Unter dem Motto „Denn he hält m’r zosammen – ejal, wat och passeet“ brachten die Kölner Jecken auch dank der Hilfe hiesiger Sponsoren Würstchen, Reibekuchen, Kölsch, Kaffee und Eis mit an die Ahr.  Und die Mutter aller Kölschen Bands kam auch mit – die Bläck Fööss traten för ömmesöns auf wie  die Musikvereine aus Fronhofen und aus Reinstetten und die Tanzgruppe „Hellige Knäächte un Mägde“.

Das Fest begann mit einer Gedenkfeier für die Flutopfer mit Andacht, gehalten von Dechant Jörg Meyrer aus Ahrweiler, und begleitet vom Jugendchor St. Rochus. „Mitten im Aufräumen, mitten in der Weinlese, machen wir ein Weinfest – irgendwie kann es kaum verrückter sein“, sagte Meyrer. „Es ist ein wunderbares Zeichen in diesen verrückten Zeiten.“ Die Gratwanderung sei schwierig, zwischen zurückschauen, sich anrühren lassen von den Verwundungen der letzten Wochen, und dem nach vorne schauen, im hier und jetzt zu feiern. Der Ahr-Psalm, von  Stephan Wahl direkt nach der Flut verfasst, wurde verlesen: „Starr blicken meine Augen auf meine zerbrochene Welt. Der Bach, den ich von Kind an liebte, sein plätscherndes Rauschen war wie Musik. Zum todbringenden Ungeheuer wurde er, seine gefräßigen Fluten verschlangen ohne Erbarmen. Alles wurde mir genommen. Alles!“

„Die Verrückten aus Köln“

  Es wurde sehr still, die Bilder der Flut-Nacht kamen wieder hoch bei den Dernauern, das schwarze Wasser, das Leid, der Schlamm. „Das Ausflugsparadies, das wir Heimat nennen, ist zerstört“, sagte der Dechant.  13 Tote allein in Dernau. 540 Haushalte, 90 Prozent der Häuser, sind unbewohnbare Rohbauten. „Es gibt viele Durchhänger, die psychische Belastung ist gigantisch“, ergänzte Jörg Meyrer später im Gespräch mit dieser Zeitung. Aber Normalität, die so ein Weinfest erzeugt, hilft der Seele, dass sie gesund wird. Es sind nicht alle behandlungsbedürftig, aber wir brauchen alle viel Normalität.“

Vivien Greber, Vertriebsleiter bei der Winzergenossenschaft Dagernova, hat im Dernauer Ortsteil Marienthal neu gebaut und ist mit seiner Familie 2019 eingezogen. Die Nacht der Flutkatastrophe hat er auf dem Dachfirst  verbracht. Eigentlich wollten er und sein Schwager nur im Haus bleiben, um „schnell wegzuwischen, wenn was von dem Wasser reinkommt“.

Aufbruch statt Abbruch

Unter dem Motto „Aufbruch statt Abbruch“ organisiert der letzte selbstständige Winzer von Altenahr, Lukas Sermann, ein kleines Festival auf seinem Weingut. Am ersten Oktoberwochenende findet traditionell das Winzerfest von Altenahr statt, allerdings fällt es dieses Jahr wegen der Flutkatastrophe aus. Zu groß ist das Ausmaß der Zerstörung im Ort. Sermann lässt sich davon nicht abhalten.

Ab 15 Uhr am Samstag, 2. Oktober, gibt es ein buntes musikalisches Live-Programm mit den Kölner Bands Müller, Lupo und Klüngelköpp. Ansonsten werden das Baskets Dance Team und DJ Dave Noir dabei sein und es gibt ein Feuerwerk. Der Ahrwein kommt von Lukas Sermann, der laut „Kölner Stadt-Anzeiger“-Kritiker Carsten Henn „den besten Weißwein an der Ahr“ produziert, sowie von den bekannten Dernauer Weingütern Meyer-Näkel und vom „Burggarten“ der Familie Kreuzberg. Für das leibliche Wohl sorgen diverse Foodtrucks. Es gelten 3G-Plus-Regeln, Ticketspende pro Person 20 Euro. 

www.sermann.de

Dann kam die Ahr-Welle, mit der so keiner rechnen konnte, und das Erdgeschoss war in weniger als einer halben Stunde komplett unter Wasser. Irgendwann retteten sie sich aus dem ersten Stock aufs Dach, während um sie herum alles in einem tosenden Inferno  unterging. Ein Hubschrauber brachte sie am nächsten Tag „an Land“. Immerhin, sie hatten überlebt.

 Schon zwei Tage später waren die ersten freiwilligen Helfer da.  Herbert Marner, Geschäftsführer der Köln-Messe, ist gebürtiger Dernauer und lebt dort  wieder. Er versuchte, Hilfsangebote aus Köln so zu steuern, dass sie vor Ort sinnvoll ankamen. Und so landeten Hilfswillige von Rocholomäus auch bei Vivien Greber, schaufelten Schlamm im Keller, entrümpelten das untergegangene Haus. „Wir haben deren Leben weggeschmissen“, sagt Benedikt Conin, Präsident der Pfarr-KG von St. Rochus und St. Bartholomäus in Bickendorf,   und erinnert sich an ölverschmierte Fotoalben und den Schmerz, den das Entsorgen auch den Helfern bereitete.  Freundschaften sind entstanden in der Not.

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 „Es ist beglückend zu erleben, dass Menschen einfach kommen und anpacken“, sagte Jörg Meyrer.  Die Solidarität sei auch in dem Weinfest erfahrbar. „Und das gibt es nur, weil die Verrückten aus Köln das machen.“

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