Stadt findet keine WohnungObdachloses Paar aus Köln wohnt im Wald

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Zwischen Mäusen und Müllsäcken zelten Andreas Hein und Sandra Kümmel seit Monaten in einem Waldstück bei Höhenberg.

Zwischen Mäusen und Müllsäcken zelten Andreas Hein und Sandra Kümmel seit Monaten in einem Waldstück bei Höhenberg.

Köln – Ein Fußabstreifer liegt auf dem vom Regen aufgeweichten Waldboden zwischen den Bäumen. Matsch rieselt auf die Erde, als Andreas Hein vor seiner Unterkunft die Schuhe abklopft. Eine olivgrüne Plane schimmert zwischen dem kahlen Geäst hervor: Ein Zeltbau mitten in einem Waldstück bei Höhenberg.

Zwischen Mäusen und Mülltüten leben Andreas und seine Partnerin hier seit Monaten – fehlenden Sanitäranlagen und eisigen Temperaturen zum Trotz. Denn die Stadt findet für das obdachlose Pärchen keine gemeinsame Wohnung.

Es ist kalt an diesem Dienstagabend. Sehr kalt. Minus drei Grad. Andreas gähnt, eine dünne Atemwolke schiebt sich aus seinem Mund und verdampft in der eisigen Luft. In der vergangen Nacht haben er und Sandra besonders schlecht geschlafen. Nicht wegen der Feldmäuse, die die beiden jede Nacht durch das angenagte Loch in der Zeltwand besuchen. An die sind sie inzwischen gewöhnt.

Die Gasflasche mit Heizaufsatz, die im Zelt wenigstens etwas Wärme spendet, war plötzlich leer. Im beengten Zelt, wo sich die beiden zwischen Aschenbecher, Klopapierrollen, Milchpackungen und leeren Fastfoodtüten eine abgenutzte Matratze und eine kärgliche Decke teilen, war es dann kaum wärmer als außerhalb der dünnen Zeltwände. „Jetzt im Winter ist es schlimm. Ich kann die Kälte gar nicht in Worte fassen“, sagt Sandra und zieht hustend den Schal um ihren Hals noch etwas enger.

Seitdem das Paar im Wald lebt, sind die beiden dauererkältet, haben ständig Kopfschmerzen. wirken ausgezehrt – mehr als zehn Kilo hat Andreas bereits abgenommen. Und auch zwischen den beiden hat die zum Dauerzustand gewordene Situation Spuren hinterlassen: Wegen der Enge im Zelt geraten Sandra und Andreas häufig aneinander. „In der letzten Zeit immer öfter“, sagt Sandra.

Gemeinsame Verzweiflung

Aber ohneeinander können die beiden nicht. Vor zwei Jahren lernten sie sich kennen - damals waren sie schon obdachlos. Erst ein paar Wochen war es her, dass der Ehemann von Sandra an einer plötzlichen Hirnhautentzündung verstorben war. Sie musste aus der gemeinsamen Wohnung, weil sie nicht im Mietvertrag stand – und sich nach dem Tod in der Wohnung ohnehin nicht mehr wohlfühlte.

Tagelang irrte die 43-Jährige, die eine Ausbildung zur Friseuse abgebrochen hat, orientierungslos durch Köln, traf dann auf den ein Jahr jüngeren Andreas. Auch er war einige Wochen zuvor aus seiner Wohnung geflogen – Streitigkeiten mit dem Sohn seiner Ex-Frau. Die gemeinsame Verzweiflung schweißte das obdachlose Paar zusammen. „Uns hat es direkt voll erwischt, jetzt lassen wir uns nicht mehr alleine“, sagt Andreas. Deshalb wollen die beiden auch die bisherigen Angebote der Stadt Köln nicht annehmen. Fast jede Woche spricht das Paar vor dem Kölner Wohnungsamt vor – dort hören sie immer dasselbe: Es gäbe zwar freie Notunterkünfte. Aber immer nur für eine Nacht – und vor allem ohne den geliebten Partner, denn das einzige Wohnheim für Paare ist voll.

Hoffnung fast verloren

Andreas müsste in ein Männerwohnheim, Sandra in eine Unterkunft für Frauen. Die Hoffnung auf eine freie Sozialwohnung hat das Paar fast verloren und auch bei Freunden können die beiden nicht unterkommen. In ihrer Not entschied sich das Paar für ein Leben unter freiem Himmel – besser das als eine Trennung, meinen Andreas und Sandra.

Vor zwei Jahren schlugen sie ihre Zelte erstmals in einem Wald bei Merheim auf. Irgendwann kam die Polizei und schickte sie weg, in diesem Sommer zogen sie um in das Waldstück bei Höhenberg. Versteckt hinter Bäumen und Gestrüpp – und die olivgrüne Plane, die Andreas vor einigen Wochen über das Zelt gespannt hat, lässt die Behausung der beiden fast unsichtbar werden. Und doch haben Polizei und Ordnungsamt sie auch hier bereits gefunden – aber ließen sie diesmal bleiben.

Eimer als Toilette

„Warum, wissen wir selbst nicht“, sagt Andreas. Kurz zucken seine Lippen, er runzelt mit der Stirn. Dann stapft er mit seinen dicken Stiefeln durchs Dickicht neben dem Zelt, vorbei an vollen Mülltüten, dem gemeinsamen alten Fahrrad, zu einem umgedrehten Eimer - darunter röhrt ein Generator. Er versorgt eine flackernde Lampe im Zelt mit Strom. Lange haben sich die beiden den spärlichen Luxus von ihrem Arbeitslosengeld abgespart. Fließendes Wasser haben die beiden nicht, deshalb tragen sie täglich einen Kanister Wasser von einer nahegelegenen Tankstelle in den Wald .

Als Toilette benutzen sie einen roten Eimer, der einige Meter entfernt vom Zelt steht - und duschen dürfen sie ab und zu bei Freunden. Wenn sie Glück haben, sogar mehrmals pro Woche, manchmal aber auch eine Woche gar nicht. „Natürlich schäme ich mich dafür“, sagt Sandra und vergräbt dann den Mund hinter ihrem Schal, Andreas senkt den Kopf.

Der gebürtige Kasache hat bis zur Obdachlosigkeit als Möbelpacker gearbeitet und eigentlich eine abgeschlossene Ausbildung als Maschinenbauschlosser. Doch jeinen Job finden die beiden ohne Wohnung nicht mehr. „Ich vermisse sogar das Spülen und Saubermachen, so dringend wünsche ich mir eine Wohnung für uns“, sagt Sandra.

Gerade kümmert sich der Höhenberger Pfarrer Franz Meurer um die beiden, doch auch er macht sich zunehmend Sorgen um Andreas und Sandra. Für die kommende Woche werden Temperaturen bis zu minus zehn Grad erwartet. Das weiß auch Sandra. Ihr Blick wird nachdenklich, ihre Augen verengen sich. Dann sagt sie: „Hoffentlich ist die Gasflasche dann nicht wieder leer.“

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