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Zahl der Radler nimmt deutlich zuDer Weg zur Fahrradstadt ist in Köln noch lang

Lesezeit 10 Minuten
Radfahren in Köln

An der Gladbacher Straße existiert zwar eine großzügige Radspur, diese wird aber oft von Autofahrern blockiert.

Köln – Sobald der Frühling beginnt, nimmt die Zahl der Radfahrer auf den Kölner Straßen wieder zu. Anders als in früheren Jahren werden die Radwege der Stadt inzwischen aber auch während der Wintermonate rege genutzt. Die oft beschworene Mobilitätswende befindet sich im vollen Gange, das Fahrrad boomt wie noch nie. Das merken auch die Händler, die bereits im vergangenen Dezember von ausverkauften Kollektionen berichteten. Die Stadt kann diese Entwicklung mit Fakten belegen, denn an den Dauerzählstellen wurden insgesamt so viele Radfahrer wie nie zuvor erfasst. Die Corona-Pandemie hat diesen Trend zwar nicht ausgelöst, aber noch einmal verstärkt.

Der Radverkehr in Köln hat in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 40 Prozent zugenommen. In Ehrenfeld sind bereits jetzt mehr Menschen mit dem Fahrrad als mit dem Auto unterwegs. Die Infrastruktur ist im zurückliegenden Jahrzehnt allerdings nicht in diesem Tempo mitgewachsen. Marode und viel zu schmale Radwege bestimmen nach wie vor das Bild. Vor allem in den weiter außen gelegenen Stadtteilen existiert oft nicht einmal der Ansatz eines Radwegenetzes. Köln steht ein regelrechter Stadtumbau bevor, um das angestrebte Ziel zu erreichen, eine fahrradfreundliche Stadt zu werden.

Stadt Köln schmückt sich mit Leuchtturmprojekt

Die Stadtverwaltung in ihrer Gesamtheit hat das zentrale Thema nach wie vor nicht wirklich verinnerlicht – in diesem Punkt sind sich die Beobachter einig. „Weder die Verkehrsdezernentin noch der zuständige Amtsleiter haben Köln bislang als Fahrradstadt definiert“, sagt Reinhold Goss, Sprecher der Bürgerinitiative „Ring frei“ und ehrenamtlicher Bicycle Mayor for Cologne – also Kölner Fahrradbürgermeister. Den Titel erhielt er vom niederländischen Fahrradnetzwerk Bycs aus Amsterdam, unter anderem weil er sich für die Neugestaltung der Kölner Ringe einsetzte.

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Die Stadt schmückt sich inzwischen gerne mit dem bundesweit vorbildlichen Leuchtturmprojekt, bei dem auf der zentralen Achse in der Innenstadt nach und nach eine Autospur zugunsten einer Radspur verschwindet und Tempo 30 eingeführt wurde. Der Erfolg zeigte sich schnell. Der Autoverkehr auf den Ringen – einst von der Raserszene dominiert – nahm deutlich ab und der Radverkehr in dieser Zeit noch viel deutlicher zu. Die Zahl der Verkehrsunfälle reduzierte sich gleichzeitig spürbar. „Ring frei“ wird heute von der Stadt als Standardvorstellung dafür herangezogen, wie eine moderne und sichere Radinfrastruktur in Köln aussehen sollte. Doch das war nicht immer so. Denn dass das Projekt überhaupt zustande kommen konnte, ist vor allem der Beharrlichkeit der Bürgerinitiative zu verdanken, die den notwendigen politischen Druck aufbaute. Verkehrsdezernentin Andrea Blome verpasste nach ihrem Amtsantritt die Chance, sich hinter die Umwandlung der Ringe zu klemmen und so den Weg in Richtung Fahrradstadt einzuschlagen. Stattdessen kümmerte sie sich vor allem darum, neue U-Bahn-Tunnel zu planen.

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Die Verantwortung für den Radverkehr liegt vor allem beim langjährigen Fahrradbeauftragten Jürgen Möllers und seinem Team. „Unsere Vorgänger haben sehr lange Zeit die autogerechte Stadt verfolgt, und wir machen jetzt einen kompletten Stadtumbau“, sagt er, um zu erklären, warum es nicht schneller voran geht. Die derzeitige Strategie leitet sich tatsächlich von „Ring frei“ ab, denn das Verkehrsdezernat will nun konsequent Autospuren in Radspuren umwandeln. Das geschieht derzeit auf einem weiteren Abschnitt der Nord-Süd-Fahrt und ist auch für die Riehler Straße zwischen Ebertplatz und Reichensperger Platz geplant. 13 Kilometer der Umwandlung seien bereits umgesetzt, 13 weitere befänden sich in der Umsetzung. „Das gab es vorher noch nie in Köln“, sagt Möllers. Der Autoverkehr nehme ab, wenn die Radinfrastruktur verbessert und ausgebaut werde. Seitdem es auf der Ulrichgasse eine Radspur gibt, habe sich der Radverkehr dort verdreifacht. Die Wegnahme von Parkplätzen am Straßenrand könne deutliche Verbesserungen für den Radverkehr in Bezug auf Sicherheit und Qualität bringen. Die Umwandlung von Einkaufsstraßen wie der Ehrenstraße hin zu mehr Aufenthaltsqualität gehe aufgrund der Corona-Pandemie schneller voran als zuvor. So genehmigte die Stadt innerhalb kürzester Zeit zahlreiche Außengastronomien am Straßenrand und entfernte dafür Parkplätze.

Ein besonderes Augenmerk richten Möllers und sein Team auf zusätzliche Abstellgelegenheiten für die Räder. „Wir sind bundesweit die Stadt, die in Bezug auf das Fahrradparken am meisten macht“, sagt er. Seit 2007 seien 30 000 neue Abstellplätze hinzugekommen. Weitere sind geplant. Hinzu kommen Angebote wie ein Turm für Fahrräder am Park-and-Ride-Parkplatz in Weiden-West.

Trotz der grundsätzlichen Aufbruchstimmung, die in Bezug auf den Radverkehr derzeit herrscht, räumt Möllers einigen Nachholbedarf ein. „Wir haben an vielen Stellen eine völlig veraltete Radinfrastruktur“, sagt er. Eine Eins-zu-eins-Sanierung alter Radwege funktioniere oft nicht. Es seien Neuplanungen notwendig, weil die Radwege nicht mehr den heutigen Anforderungen und den Mengen an Radfahrenden entsprechen.

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So ist den städtischen Planern durchaus bewusst, dass viele Radwege entlang der Hauptverkehrsachsen eine Zumutung sind. Wer etwa die Radwege auf der Inneren Kanalstraße auf Höhe des Agnesviertels, die Amsterdamer Straße in Richtung stadtauswärts oder den Gürtel auf Höhe des Deutschlandfunk-Hauses befährt, benötigt eine ausgesprochen gute Federung, weil die Wurzeln der benachbarten Bäume durch den Asphaltbelag geschlagen sind – hinzu kommt die Sturzgefahr, insbesondere bei regnerischem Wetter.

„Meine Wunschvorstellung wäre es, ein Gesamtnetz entwickelt zu haben“, sagt Möllers über sein Ziel für die nächsten fünf Jahre. Köln benötige möglichst viele mittlere und lange Strecken am Stück. „Niemand verfügt über die Weisheit zu wissen, ob das, was wir jetzt machen, auch in zehn Jahren noch gut ist“, sagt Möllers. Er plädiert deshalb dafür, Veränderungen auszuprobieren und flexible Lösungen zu finden. „Wir haben eine sehr aktive und kritische Radfahrerszene in Köln“, sagt Möllers. Es gebe zurzeit eine unglaubliche Dynamik.

Das hängt auch mit der neuen Konstellation im Stadtrat zusammen. Die Grünen stellen seit der Kommunalwahl im September 2020 die stärkste Fraktion, und sie wollen den Radverkehr so schnell wie möglich ausweiten. Volt, erstmals im Stadtrat vertreten und Partner der Grünen im Ratsbündnis, tritt in diesem Punkt sogar noch vehementer dafür ein, das Auto aus der Innenstadt herauszuholen und Radfahrern und Fußgängern im Gegenzug mehr Raum zu verschaffen. Die CDU als zweitgrößter Partner im Bündnis verfolgt zwar inzwischen ebenfalls die Interessen der Radfahrer, zeigt sich aber bei Entscheidungen mit größerer Tragweite weiterhin zögerlich und abweisend.

So befindet sich das neue Ratsbündnis nur wenige Wochen nach der Vertragsunterzeichnung bereits in einem ersten Streit. 15 Initiativen hatten sich dafür ausgesprochen, kurzfristig auf der Rheinuferstraße eine Autospur in eine Radspur umzuwandeln – also eine sogenannte Pop-up-Bike-Lane, wie es sie etwa in Berlin gibt. Das bedeutet, dass der Radweg zunächst provisorisch, dafür aber sehr schnell eingerichtet wird. Die Grünen unterstützten das Vorhaben, die CDU lehnte es rundweg ab, weil der Autoverkehr zu sehr belastet werde. Der Weg zur fahrradfreundlichen Stadt ist weit, zumal auch die Verwaltung – insbesondere Verkehrsdezernentin Blome – Pop-up-Bike-Lanes grundsätzlich zurückweist.

Wie es innerhalb der Stadtverwaltung mit dem Thema weitergeht, ist unklar. Blome wird im Juni ihren Posten räumen, um Stadtdirektorin zu werden. Die Grünen dürfen dann eine neue Verkehrsdezernentin oder einen Verkehrsdezernenten vorschlagen. Klaus Harzendorf, Leiter des Amts für Straßen und Verkehrsentwicklung, wird bald in Rente gehen, so dass auch diese zentrale Position neu besetzt werden muss. Es steht zu erwarten, dass die Grünen beide Posten mit Menschen besetzen werden, die sich dem Ausbau des Radwegenetzes ohne Einschränkungen verschreiben werden. Bis dahin wird allerdings zeitweise durch die jeweiligen Vakanzen bis zur Neubesetzung ein gefährliches Loch klaffen. Schlimmstenfalls droht eine Zeit des Stillstandes.

Doch zurzeit ist die Stimmung positiv. „Wir erleben vielversprechende Lichtblicke“, sagt Ring-frei-Sprecher Reinhold Goss. Dennoch beobachte er weiterhin, dass Umbauten oft Stückwerk bleiben und nur zögerlich fortgeführt werden. „Wir erleben es häufiger, dass Radspuren abrupt enden, sobald es kniffelig wird“, sagt Goss. Das führe dazu, dass sich bestimmte umgestaltete Abschnitte auf Hauptverkehrsstraßen perfekt fahren ließen, die Infrastruktur dann jedoch plötzlich endet. So ist es etwa auf den Ringen im Bereich vor dem Barbarossaplatz. Zwischen Ubierring und der KVB-Haltestelle Eifelstraße steht eine komplette ehemalige Autospur als Radweg zur Verfügung – danach ist erstmal Schluss mit der breiten Fahrbahn, bis es am Barbarossaplatz weitergeht.

Ähnlich verhält es sich auf der Nord-Süd-Fahrt zwischen Ulrichgasse und Tel-Aviv-Straße – dort wurde gerade erst die Radspur verlängert. In der Gegenrichtung soll es aber noch Jahre dauern, bis auch dort eine Autospur umgewandelt wird. „Die Stadtverwaltung will den Autoverkehr offenbar noch immer nicht zu sehr einschränken“, sagt Goss. Aus dem Erfolg von „Ring frei“ seien nicht die richtigen Schlüsse gezogen worden. „Die Stadt hat gemerkt, dass der Verkehr trotzdem nicht zusammengebrochen ist, macht aber trotzdem nur langsam weiter“, sagt Goss. Es sei dabei geblieben, dass man der Stadt jedes Stück Radweg abringen müsse. „Wir müssen schneller werden, zumal jetzt vermehrt die Lastenräder hinzukommen, die noch mehr Platz benötigen“, so Goss.

Kritik am Baustellenmanagement

Hinzu komme, dass die Stadt bei der Einrichtung von Baustellen den Radverkehr sehr oft vergesse und keine Umleitungen vorsehe. „Der Baustellenmanager sollte alle Orte mit einem Dienstfahrrad abfahren und sich selbst ein Bild von der Lage machen“, sagt Goss. Nur so sei sicherzustellen, dass sich die Situation dauerhaft verbessern könnte.

Als negatives Beispiel dafür, dass die Stadt Projekte nur stückchenweise umsetzt, kann der Friesenwall dienen, der Mitte 2019 als erste Fahrradstraße in Köln ausgewiesen wurde – dafür gab es einen zweiten Platz beim Deutschen Fahrradpreis. Das galt zunächst allerdings lediglich für den Abschnitt zwischen Rudolfplatz und Magnusstraße. Das Stück zwischen Magnusstraße und Im Klapperhof folgte erst jetzt mit fast zwei Jahren Verspätung. Bis vor kurzem mussten sich die Radfahrer dort in Gefahr begeben und sich zwischen parkenden und fahrenden Autos durchquetschen – jetzt hat die Stadt auf einer Seite die Parkplätze entfernt. Dafür erstreckt sich nun zwischen Im Klapperhof und Christophstraße eine mächtige Baustelle, so dass Radfahrer nicht mehr hindurchkommen – eine Umleitung ist nicht ausgewiesen.

„Die Radinfrastruktur baut sich nur sehr langsam zusammen – wir können mit diesem Klein-Klein nicht weitermachen“, sagt Christoph Schmidt, Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) Köln. Es sei kein Wunder, dass Köln beim aktuellen Fahrradklimatest des ADFC bundesweit den letzten Platz belegte. Er führe das auch darauf zurück, dass sich die meisten Projekte auf die Innenstadt beziehen. Die weiter außen liegenden Stadtbezirke und die dazugehörigen Stadtteile würden oft nicht berücksichtigt. „Die Menschen dort fühlen sich abgehängt“, sagt Schmidt. Es sei zwar positiv, dass jetzt Konzepte für alle neun Stadtbezirke auf dem Weg seien, aber diese müssten auch umgesetzt werden. Dafür benötige das Team um den Fahrradbeauftragten Jürgen Möllers mehr Personal und Ressourcen als bislang.

So zeigt etwa der Blick an den westlichen Stadtrand nach Lövenich, dass Radwege dort trotz starken Autoverkehrs so gut wie nicht vorhanden sind. Selbst auf wichtigen Achsen wie der Brauweilerstraße fehlt die Infrastruktur.

ADFC: Radwege müssen sicherer werden

Dabei hält Schmidt eine bessere Anbindung der äußeren Stadtteile für entscheidend, um mehr Menschen auf das Fahrrad zu bringen. Dazu seien allerdings auch Radschnellwege vonnöten, die es bislang noch nicht gibt. So plant die Stadt seit mehr als acht Jahren einen Schnellweg zwischen Frechen und der Universität – doch bislang ist das Projekt über den Planungsstatus nicht hinausgekommen.

Schmidt hält es für sinnvoll, auch den öffentlichen Nahverkehr zu entlasten, indem Menschen von Bus und Bahn auf das Fahrrad umsteigen. Vor der Corona-Pandemie befanden sich die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) an der Kapazitätsgrenze. „Sollte das zurückkommen, wäre es wichtig, das Fahrrad als Alternative anbieten zu können“, sagt Schmidt.

Um möglichst viele Menschen zu erreichen, müssten die Radwege aus seiner Sicht sicherer werden. „Ein Radweg muss für jeden sicher sein“, sagt er. Deshalb seien vor allem auf Hauptverkehrsstraßen Protected Bike Lanes – also vom Autoverkehr abgetrennte Radspuren – sinnvoll. Die Stadt zeigt sich derzeit allerdings noch nicht überzeugt davon. Der Weg zur fahrradfreundlichen Stadt ist für Köln noch weit.

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