Zwangsgeld drohtKölner Eltern unterrichten Kind zuhause – und erheben Vorwürfe

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Seit sieben Monaten wird Leo nur zuhause unterrichtet. (Symbolbild)

Köln – Eigentlich sollte der kleine Leo jetzt mit seinen Schulkameradinnen und -kameraden in der ersten Klasse sitzen. Seit August ist der siebenjährige Erstklässler Schüler in einer Kölner Grundschule. Aber in die Schule ist er nur ganze zwei Tage gegangen – zur Einschulungsfeier und am ersten richtigen Schultag. Dann haben seine Eltern Alexandra Jahnz (32) und Pascal Warscheid (36) entschieden, ihren Sohn aus Infektionsschutzgründen zuhause zu unterrichten.

Präsenzpflicht halten sie angesichts der völligen Unklarheit bezüglich der Gefahren von Langzeitfolgen der Infektion bei Kindern für nicht verantwortbar – vor allem angesichts unzureichender Schutzkonzepte in den Schulen. Seit sieben Monaten sitzt der Junge zuhause und wird von seinen Eltern im Schreiben, Lesen und Rechnen unterrichtet. Eine Entscheidung, um ihn und seine beiden jüngeren Geschwister zu schützen, wie die Mutter sagt.

Kölner Eltern: „Wir werden kriminalisiert“

„Wir wollen doch nur, dass es eine Möglichkeit gibt, dass Eltern für ihre Kinder in einer Pandemie aus Gesundheitsgründen eine solche Entscheidung treffen können. Stattdessen werden wir kriminalisiert und der Staat schlägt mit voller Härte zu“, beklagt die Medizinstudentin und selbstständige Stillberaterin.

Die Kölner Familie zahlt nämlich einen hohen Preis, um das Homeschooling ihres Kindes aufrecht zu erhalten. Sie steht nicht nur in einer juristischen Auseinandersetzung mit dem Schulamt als Schulaufsichtsbehörde, sondern sorgt sich auch ganz konkret darum, sich finanziell zu ruinieren.

Bereits im September – also ein paar Wochen nach Schulbeginn – erhielt die Familie eine Zwangsgeldandrohung von 2500 Euro je Elternteil, wogegen sie juristisch Einspruch einlegte. Vergeblich. Prozesse am Verwaltungsgericht Mitte Oktober und dann auch am Oberverwaltungsgericht Mitte Dezember gingen verloren. Damit war der rechtliche Weg ausgeschöpft. Gleichzeitig mit der Zahlungsfestsetzung von 5000 Euro ging bei der Familie ein paar Tage nach Weihnachten die nächste Strafandrohung ein – diesmal in Höhe von 5000 Euro je Elternteil. Für Alexandra Jahnz und ihren Mann, die beiden haben bislang mit ihrem Fall die Öffentlichkeit gemieden, war das der Anlass, in die Offensive zu gehen. „Ich hatte das Gefühl, wir haben nichts mehr zu verlieren. An uns soll augenscheinlich ein abschreckendes Exempel statuiert werden“, sagt die Mutter.

Familien-Homepage dokumentiert den eigenen Fall in Köln

Auf ihrer Familienhomepage dokumentieren sie detailliert ihren Fall und haben auch die Ordnungsverfügung vom Schulamt eingestellt: Darin wird die Familie erneut aufgefordert, ihren Sohn nach den Weihnachtsferien regulär in die Schule zu schicken. Dies sollte die Familie bis gestern durch eine Bescheinigung der Schule nachweisen – andernfalls müsse das nächste Zwangsgeld bezahlt werden.

Die Schulaufsichtsbehörde beruft sich auf die allgemeine Schulpflicht und das Recht auf Bildung, das in der Abwägung zu den vergleichsweise geringen Gesundheitsrisiken von Kindern den Ausschlag gebe. Eine Befreiung vom Präsenzunterricht unter Vorlage eines ärztlichen Attests sei nicht beantragt worden und sei auch von der Schule nicht erteilt worden. Auch eine Krankmeldung liege der Schule nicht vor, hieß es zur Begründung. Zahlen soll die Familie bis zum 31. Januar.

Kann die Familie das Geld nicht aufbringen, werde das Schulamt beim Verwaltungsgericht „Ersatzzwangshaft“ beantragen. Jahnz und ihren Mann schreckt das nicht: „Zahlen können wir das Geld nicht. Zur Not gehen wir in Haft. Abwechselnd, da ja der andere die drei Kinder betreuen muss. Aber erstmal wollen sie erneut alle juristischen Mittel ausschöpfen. Über ihren Anwalt Thorsten Frühmark haben sie auch gegen diese Androhung Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht. „Aber wir sind auch bereit, bis vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen“, kündigt Jahnz an. Um die entsprechende Klage im Eilverfahren vorzubereiten, habe man in dieser Woche einen Verfassungsrechtler gefunden, der sich mit der sehr speziellen Materie auskenne.

Präsenzunterricht als Pflicht in der Corona-Pandemie ist die Kernfrage

Die Anwalts- und Prozesskosten versucht die Familie durch eine Spenden-Plattform auf ihrer Homepage zu organisieren. Knapp 10.000 Euro sind dabei inzwischen zusammengekommen. Ihr Anwalt Frühmark sieht die Familie Jahnz-Warscheid „nur als die Spitze des Eisbergs“ wie er sagt.

Allein 40 Zwangsgeldbescheide in Köln

Die Familie Jahnz-Warscheid ist kein Einzelfall. Es sind allein in Köln nach Angaben der Stadt bislang insgesamt rund 40 Zwangsgeldbescheide für die Grund-, Haupt- und Förderschulen verschickt worden. Die Zahlen für die anderen Schulformen lägen der Stadt nicht vor. Auch zu den jeweiligen Beweggründen der Eltern könnten keine Angaben gemacht werden.

NRW-weite Zahlen über Zwangsgeldbescheide gibt es ebenfalls keine. Zuletzt war die Klage eines Düsseldorfer Vaters ebenfalls abgewiesen worden, der gegen die Pflicht auf Präsenzunterricht für seine Tochter im Grundschulalter geklagt hatte. Nach Ansicht von Rechtsanwalt Thorsten Frühmark, der in Niedersachsen eine Online-Petition gestartet hat, in der die Aussetzung der Präsenzpflicht gefordert wird, bis Covid19 unter Kontrolle ist, ist NRW besonders streng bei der Androhung von Bußgeldern. Während es in anderen Bundesländern bisweilen nur niedrige Bußgelder verhängt würden, seien es in NRW sehr hohe Summen je Elternteil. (ari)

Viele Familien – gerade auch solche mit Vorerkrankungen in der Familie – kämpften um Atteste und das Recht, selbst darüber zu entscheiden, ihre Kinder in der Pandemie in die Schule zu schicken. „Es geht letztlich um die Frage, ob man den Präsenzunterricht in der Pandemie erzwingen kann und die Frage, was Vorrang hat: Das Recht auf Bildung oder Gesundheitsschutz. Ich meine, es muss Eltern möglich sein, ohne Bestrafung in der Pandemie ihre Kinder zuhause zu unterrichten.“

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Mehr wollen wir nicht erreichen, sagt Alexandra Jahnz, die sich auch darüber ärgert, dass die Grundschule keine Materialien zur Verfügung stellt, damit ihr Sohn lernen kann.

Auch den Zugang zu Microsoft-Teams, den alle Mitschüler hätten, sei ihm verweigert worden. „Wir haben alles selbst besorgt und machen das eigenverantwortlich.“ Leo freue sich sehr darauf, irgendwann richtig zur Schule zu gehen. „Und wir auch“, betont die Mutter. Wenn es eine auf Kinder angepasste Dreifachimpfung gebe und gleichzeitig die Inzidenzen sehr niedrig seien, könne sie sich das vorstellen. „Eher auf keinen Fall.“

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