Zwischen Wohnlichkeit und Wildpinklern

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Thorsten Mehnert (links) ließ sich von Bürgern aus Lindweiler die Probleme im Stadtteil schildern und schrieb fleißig mit.

Thorsten Mehnert (links) ließ sich von Bürgern aus Lindweiler die Probleme im Stadtteil schildern und schrieb fleißig mit.

Lindweiler –  Die neuen Sitzmöbel im Marienberger Hof sind aufgestellt, der von Schließung bedrohte Supermarkt wird nun doch weitergeführt. In Lindweiler passiert viel, es gibt aber auch noch viel zu tun – das ist das Fazit nach einem Rundgang durch den Stadtteil, zu dem die Stadt Köln und das Kuratorium Deutsche Altershilfe eingeladen hatten. Rund 20 zumeist ältere Bürger gingen mit.

Lindweiler habe sich in jüngster Zeit zum Vorteil entwickelt, erklärte Inge Zeitel. Seit 1970 lebt sie im Viertel. „Früher war hier gar nichts los.“ Auch Brigitte Pfotenhauer und Marlis Kunze nahmen am Rundgang teil, sie sind ebenfalls Siedlerinnen der ersten Stunde. Ihnen missfällt die Situation auf dem Kirchplatz. Der ist Anlaufpunkt für Wildpinkler, ein oft beklagter Zustand, der seit Jahren währt: „Diejenigen, die am Kiosk rumhängen und ihr Bier trinken, gehen bei der Kirche in die Büsche und erleichtern sich da.“ Benutzte Präservative im Gebüsch, der Türgriff der Marienkirche mit Hundekot beschmiert, alles schon vorgekommen. „Dunkle Ecken müssen heller werden“, verlangte Pfotenhauer. Der Stadtteilspaziergang war der Auftakt zu einer Projektreihe mit dem Titel „Gemeinsam jung bleiben in Lindweiler“. Die läuft bis April 2021, mit Bewohnern wird die Frage „Wie lässt es sich in Lindweiler unbeschwert alt werden?“, behandelt. Ziel ist es, den Stadtteil stärker auf die Bedürfnisse älterer Menschen auszurichten. Die Bürger von Anfang an mit ins Boot zu holen, sei für die Stadtverwaltung ein innovativer Ansatz, sagte Vanessa Weller vom Amt für Stadtentwicklung zur Begrüßung im Lindweiler Treff. „Wir setzen anders an als sonst, möchten Sie als Experten zunächst befragen, was wünschen Sie sich an Verbesserungen im Stadtteil, um auf gute Weise alt zu werden?“

Die Ergebnisse sollen als Basis dienen, um die weiteren Angebote zu konzipieren. Anna Maria Müther, wie Weller vom Stadtentwicklungsamt, forderte die Teilnehmer auf: „Berichten Sie uns ohne Scheu, was Sie im Alltag erleben!“ Thorsten Mehnert, Miriam Arnolds und Rebecca Schmelzle vom Kuratorium Deutsche Altershilfe hatten die Veranstaltung vorbereitet. Es wurden zwei Gruppen gebildet, die eine besah sich die baulichen Gegebenheiten, die Leitung hatte Arnolds. Mehnert führte die Gruppe an, bei der es um die alltäglichen Erledigungen ging: Wo finde ich einen Arzt, kaufe ich Lebensmittel ein, gibt es eine Apotheke oder eine Bank? Bei Letzteren: Fehlanzeige. Die nächste Bankfiliale ist in Pesch, ebenso die Apotheke. Wenigstens bietet der Frischmarkt Kurt im Marienberger Hof an, ab einem Einkauf von 20 Euro Geld abzuheben.

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Der Supermarkt wechselte im Herbst 2019 den Besitzer, Mehdi Saremi, der das Geschäft 20 Jahre lang mit seiner Frau geführt hatte, hörte aus Altersgründen auf. Die Familie habe alles darangesetzt, einen Nachfolger zu finden, so Pfotenhauer. „Dafür sind wir dankbar, wir haben um den Markt gekämpft.“ Das Ladenzentrum Marienberger Hof ist zwar frisch saniert – bunte Sitzgelegenheiten, Blumenbeete, junge Bäume –, macht dennoch einen eher traurigen Eindruck. Ladenlokale stehen leer. Friseur und Änderungsschneiderei – schon lange weg. Vermisst wird auch eine Vollbäckerei. Die türkische Bäckerei produziert hauptsächlich für die Auslieferung, verkauft Kuchen und Brötchen, aber kein Brot. Ins Auge fällt die verrammelte Fensterfront der Café-Bar. „Ein Schandfleck“, findet Pfotenhauer. Ständig wechselten die Besitzer, es gebe Gerüchte, der Laden diene der Geldwäsche. Dabei sei der Standort ideal, um ein Veedelscafé zu etablieren. Wenigstens an Ärzten herrscht in Lindweiler kein Mangel, vier Mediziner, darunter ein Zahnarzt, gibt es.

Der Treppenaufgang zum Ärztehaus am Marienberger Weg wurde kürzlich so umgebaut, dass auch Menschen mit Rollator ihn gefahrlos beschreiten können – die Stufen sind extra langgezogen. Stolperfallen gibt es in Lindweiler viele, auf dem Kirchplatz und auf Gehwegen, schuld sind die Baumwurzeln, sie heben den Belag an. „Die lockeren Platten sind ganz gefährlich“, sagte Anneliese Montag (87). Auch sie monierte die fehlende Beleuchtung: „Die Wege zwischen den Häusern sind dunkel und uneinladend, und die Poller sieht man im Dunkeln nicht.“ Wann und wo die Folgeveranstaltung stattfinden wird, werde rechtzeitig bekanntgegeben, sagte Vanessa Weller.

Inge Zeitel, Anwohnerin

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